Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutschen Bischöfe und das Concilium.

Als die deutschen Kirchenfürsten zu dem Concilium abreisten, war eine
weitverbreitete Meinung, daß sie zu den ergebensten Anhängern des ultra¬
montanen Papismus in der katholischen Kirche gehören würden. Die vor¬
sichtigen Erklärungen, welche dieselben vor der Romfahrt in Versammlungen
oder einzeln über die Unfehlbarkeitsfrage abgegeben hatten, widerlegten noch
nicht die pessimistische Auffassung der Fernstehenden. Unsere Landsleute hatten
in ihren Bischossitzen seit einem Menschenalter in eifriger, nicht selten erbitter,
ter Opposition gegen die Forderungen des modernen Staates und gegen die
Lehren moderner Wissenschaft gestanden und ihre,Seelsorge in einem Volke,
welches zur großen Hälfte protestantisch ist, hatte ihrem confessionellen Eifer
zuweilen eine besondere Schärfe zugetheilt. Ja es hatte sich überhaupt in
Deutschland seit der letzten jesuitischen Reaction gegen die liberalen Anläufe
der Kirche bei aufgeklärten Katholiken und Protestanten die Annahme fest¬
gesetzt, daß in dem System der katholischen Kirche sür einen Kampf des deut¬
schen Gemüthes gegen die romanistischen Tendenzen kein Raum mehr sei.
Das Kirchenthum der Gläubigen erschien Vielen als ein entgeistigter und
versteinerter Organismus, als verhängnißvolle Erbschaft aus alter Zeit, die
in ihrem letzten Grunde undeutsch und fast nach jeder Richtung feindselig
gegen die neue Cultur und den deutschen Staat bleiben müsse. Die so ur¬
theilten, zogen eine Thatsache nicht in Rechnung. Ein Glaube, welcher viele
Millionen deutscher Seelen erwärmt, Trost und Frieden zu geben, die größte
Hingebung und Opferfreudigkeit hervorzurufen vermag, dem kann auch kei¬
neswegs die Kraft fehlen, für das, was ihm als wahrhafte Gotteslehre gilt,
in den Kampf zu treten gegen falsche Lehre und gegen Gotteswidriges in
der eigenen Kirche. Wenn unsere katholischen Landsleute noch von der mit¬
telalterlichen Anschauung erfüllt sind, daß sie als bevorzugte Dienstleute
Christi durch gute Werke und die Gnadenmittel der Kirche ihres Gottes
Segen und die ewige Seligkeit erwerben, so ist doch bei den Meisten der
letzte Grund ihres Verhältnisses zur Kirche nicht willenloser Knechtsinn, son-


Grenzbotc" I. 1870. L(!
Die deutschen Bischöfe und das Concilium.

Als die deutschen Kirchenfürsten zu dem Concilium abreisten, war eine
weitverbreitete Meinung, daß sie zu den ergebensten Anhängern des ultra¬
montanen Papismus in der katholischen Kirche gehören würden. Die vor¬
sichtigen Erklärungen, welche dieselben vor der Romfahrt in Versammlungen
oder einzeln über die Unfehlbarkeitsfrage abgegeben hatten, widerlegten noch
nicht die pessimistische Auffassung der Fernstehenden. Unsere Landsleute hatten
in ihren Bischossitzen seit einem Menschenalter in eifriger, nicht selten erbitter,
ter Opposition gegen die Forderungen des modernen Staates und gegen die
Lehren moderner Wissenschaft gestanden und ihre,Seelsorge in einem Volke,
welches zur großen Hälfte protestantisch ist, hatte ihrem confessionellen Eifer
zuweilen eine besondere Schärfe zugetheilt. Ja es hatte sich überhaupt in
Deutschland seit der letzten jesuitischen Reaction gegen die liberalen Anläufe
der Kirche bei aufgeklärten Katholiken und Protestanten die Annahme fest¬
gesetzt, daß in dem System der katholischen Kirche sür einen Kampf des deut¬
schen Gemüthes gegen die romanistischen Tendenzen kein Raum mehr sei.
Das Kirchenthum der Gläubigen erschien Vielen als ein entgeistigter und
versteinerter Organismus, als verhängnißvolle Erbschaft aus alter Zeit, die
in ihrem letzten Grunde undeutsch und fast nach jeder Richtung feindselig
gegen die neue Cultur und den deutschen Staat bleiben müsse. Die so ur¬
theilten, zogen eine Thatsache nicht in Rechnung. Ein Glaube, welcher viele
Millionen deutscher Seelen erwärmt, Trost und Frieden zu geben, die größte
Hingebung und Opferfreudigkeit hervorzurufen vermag, dem kann auch kei¬
neswegs die Kraft fehlen, für das, was ihm als wahrhafte Gotteslehre gilt,
in den Kampf zu treten gegen falsche Lehre und gegen Gotteswidriges in
der eigenen Kirche. Wenn unsere katholischen Landsleute noch von der mit¬
telalterlichen Anschauung erfüllt sind, daß sie als bevorzugte Dienstleute
Christi durch gute Werke und die Gnadenmittel der Kirche ihres Gottes
Segen und die ewige Seligkeit erwerben, so ist doch bei den Meisten der
letzte Grund ihres Verhältnisses zur Kirche nicht willenloser Knechtsinn, son-


Grenzbotc» I. 1870. L(!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div type="corrigenda" n="1">
          <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123375"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die deutschen Bischöfe und das Concilium.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_793" next="#ID_794"> Als die deutschen Kirchenfürsten zu dem Concilium abreisten, war eine<lb/>
weitverbreitete Meinung, daß sie zu den ergebensten Anhängern des ultra¬<lb/>
montanen Papismus in der katholischen Kirche gehören würden. Die vor¬<lb/>
sichtigen Erklärungen, welche dieselben vor der Romfahrt in Versammlungen<lb/>
oder einzeln über die Unfehlbarkeitsfrage abgegeben hatten, widerlegten noch<lb/>
nicht die pessimistische Auffassung der Fernstehenden. Unsere Landsleute hatten<lb/>
in ihren Bischossitzen seit einem Menschenalter in eifriger, nicht selten erbitter,<lb/>
ter Opposition gegen die Forderungen des modernen Staates und gegen die<lb/>
Lehren moderner Wissenschaft gestanden und ihre,Seelsorge in einem Volke,<lb/>
welches zur großen Hälfte protestantisch ist, hatte ihrem confessionellen Eifer<lb/>
zuweilen eine besondere Schärfe zugetheilt. Ja es hatte sich überhaupt in<lb/>
Deutschland seit der letzten jesuitischen Reaction gegen die liberalen Anläufe<lb/>
der Kirche bei aufgeklärten Katholiken und Protestanten die Annahme fest¬<lb/>
gesetzt, daß in dem System der katholischen Kirche sür einen Kampf des deut¬<lb/>
schen Gemüthes gegen die romanistischen Tendenzen kein Raum mehr sei.<lb/>
Das Kirchenthum der Gläubigen erschien Vielen als ein entgeistigter und<lb/>
versteinerter Organismus, als verhängnißvolle Erbschaft aus alter Zeit, die<lb/>
in ihrem letzten Grunde undeutsch und fast nach jeder Richtung feindselig<lb/>
gegen die neue Cultur und den deutschen Staat bleiben müsse. Die so ur¬<lb/>
theilten, zogen eine Thatsache nicht in Rechnung. Ein Glaube, welcher viele<lb/>
Millionen deutscher Seelen erwärmt, Trost und Frieden zu geben, die größte<lb/>
Hingebung und Opferfreudigkeit hervorzurufen vermag, dem kann auch kei¬<lb/>
neswegs die Kraft fehlen, für das, was ihm als wahrhafte Gotteslehre gilt,<lb/>
in den Kampf zu treten gegen falsche Lehre und gegen Gotteswidriges in<lb/>
der eigenen Kirche. Wenn unsere katholischen Landsleute noch von der mit¬<lb/>
telalterlichen Anschauung erfüllt sind, daß sie als bevorzugte Dienstleute<lb/>
Christi durch gute Werke und die Gnadenmittel der Kirche ihres Gottes<lb/>
Segen und die ewige Seligkeit erwerben, so ist doch bei den Meisten der<lb/>
letzte Grund ihres Verhältnisses zur Kirche nicht willenloser Knechtsinn, son-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotc» I. 1870. L(!</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Die deutschen Bischöfe und das Concilium. Als die deutschen Kirchenfürsten zu dem Concilium abreisten, war eine weitverbreitete Meinung, daß sie zu den ergebensten Anhängern des ultra¬ montanen Papismus in der katholischen Kirche gehören würden. Die vor¬ sichtigen Erklärungen, welche dieselben vor der Romfahrt in Versammlungen oder einzeln über die Unfehlbarkeitsfrage abgegeben hatten, widerlegten noch nicht die pessimistische Auffassung der Fernstehenden. Unsere Landsleute hatten in ihren Bischossitzen seit einem Menschenalter in eifriger, nicht selten erbitter, ter Opposition gegen die Forderungen des modernen Staates und gegen die Lehren moderner Wissenschaft gestanden und ihre,Seelsorge in einem Volke, welches zur großen Hälfte protestantisch ist, hatte ihrem confessionellen Eifer zuweilen eine besondere Schärfe zugetheilt. Ja es hatte sich überhaupt in Deutschland seit der letzten jesuitischen Reaction gegen die liberalen Anläufe der Kirche bei aufgeklärten Katholiken und Protestanten die Annahme fest¬ gesetzt, daß in dem System der katholischen Kirche sür einen Kampf des deut¬ schen Gemüthes gegen die romanistischen Tendenzen kein Raum mehr sei. Das Kirchenthum der Gläubigen erschien Vielen als ein entgeistigter und versteinerter Organismus, als verhängnißvolle Erbschaft aus alter Zeit, die in ihrem letzten Grunde undeutsch und fast nach jeder Richtung feindselig gegen die neue Cultur und den deutschen Staat bleiben müsse. Die so ur¬ theilten, zogen eine Thatsache nicht in Rechnung. Ein Glaube, welcher viele Millionen deutscher Seelen erwärmt, Trost und Frieden zu geben, die größte Hingebung und Opferfreudigkeit hervorzurufen vermag, dem kann auch kei¬ neswegs die Kraft fehlen, für das, was ihm als wahrhafte Gotteslehre gilt, in den Kampf zu treten gegen falsche Lehre und gegen Gotteswidriges in der eigenen Kirche. Wenn unsere katholischen Landsleute noch von der mit¬ telalterlichen Anschauung erfüllt sind, daß sie als bevorzugte Dienstleute Christi durch gute Werke und die Gnadenmittel der Kirche ihres Gottes Segen und die ewige Seligkeit erwerben, so ist doch bei den Meisten der letzte Grund ihres Verhältnisses zur Kirche nicht willenloser Knechtsinn, son- Grenzbotc» I. 1870. L(!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/287>, abgerufen am 26.06.2024.