Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

spricht. Die Saat ist reif -- wird noch das zweite Kaiserreich sie ernten?
Mit einer Frage schließt heutzutage jede Betrachtung über französische Ver¬
hältnisse; so auch die unsere, die doch nur ein abgeschlossenes, scheinbar dem
Strome der großen politischen Bewegung entzogenes Gebiet berührt.




Der letzte Tiroler Landtag.
(Schluß zu Ur. 6.)

Die Sitzung vom 29. October, welche zur Debatte über die von Dietl
eingebrachten großen Reformanträge festgesetzt war, begann mit der Beant¬
wortung einer an den Statthalter gerichteten Jnterpellation über die am
13. Mai verfügte Auflösung des katholischen Filialvereins er Schlanders.
Sie bestand der Hauptsache nach in der Eröffnung der Ministerialerledigung
über die diesfällige Beschwerde, welche feststellte, daß jener Verein bei der
Versammlung vom 9. Mai seinen statutenmäßigen Wirkungskreis überschritten
und durch das tumultarische Benehmen den Bedingungen seines rechtlichen
Bestandes nicht entsprochen habe. Der Statthalter versicherte, in Vereins¬
sachen nur durch das Gesetz und seine Pflicht geleitet zu werden, damit ver¬
band er noch die Mittheilung, daß der Vorarlberger Landtag den Vorschlag der
Regierung betreffs der Verwendung der Schützen außer Landes angenommen
habe. Sie blieb ohne Wirkung.

Als man bald nachher an den Dietl'schen Antrag kam, erhob sich der
zum Berichterstatter erkorene Dr. Jäger und las aus einer vielblättrigen
Schrift einen Vortrag ab. des Inhalts, daß es sich in Oestreich seit der
pragmatischen Sanction immer nur um die Aufrechthaltung der alten Rechte
und Freiheiten der einzelnen Länder gehandelt habe. Aber schon unter
Maria Theresia und noch mehr unter Kaiser Joseph hätten die bureaukrati¬
schen Centralisationsversuche begonnen. Unter der ersten Regierungsperiode
des Kaisers Franz, in welcher für Oestreich die Frage über Sein und Nicht¬
sein zur Entscheidung kam, hätten die Völker Oestreichs nur den einen Satz
des pragmatischen Grundgesetzes ins Auge gefaßt, der sie den untheilbaren
Länderbesitz des Hauses Habsburg zu erhalten verpflichtete, wofür sie dann
der patriarchalische Monarch im Jahre 1816 durch Zurückgabe der freilich
etwas beschränkten Landtage belohnte. Hierauf sei die vulkanische Episode
des Jahres 1848 mit dem nicht ganz unberechtigten Gedanken der Wieder-


spricht. Die Saat ist reif — wird noch das zweite Kaiserreich sie ernten?
Mit einer Frage schließt heutzutage jede Betrachtung über französische Ver¬
hältnisse; so auch die unsere, die doch nur ein abgeschlossenes, scheinbar dem
Strome der großen politischen Bewegung entzogenes Gebiet berührt.




Der letzte Tiroler Landtag.
(Schluß zu Ur. 6.)

Die Sitzung vom 29. October, welche zur Debatte über die von Dietl
eingebrachten großen Reformanträge festgesetzt war, begann mit der Beant¬
wortung einer an den Statthalter gerichteten Jnterpellation über die am
13. Mai verfügte Auflösung des katholischen Filialvereins er Schlanders.
Sie bestand der Hauptsache nach in der Eröffnung der Ministerialerledigung
über die diesfällige Beschwerde, welche feststellte, daß jener Verein bei der
Versammlung vom 9. Mai seinen statutenmäßigen Wirkungskreis überschritten
und durch das tumultarische Benehmen den Bedingungen seines rechtlichen
Bestandes nicht entsprochen habe. Der Statthalter versicherte, in Vereins¬
sachen nur durch das Gesetz und seine Pflicht geleitet zu werden, damit ver¬
band er noch die Mittheilung, daß der Vorarlberger Landtag den Vorschlag der
Regierung betreffs der Verwendung der Schützen außer Landes angenommen
habe. Sie blieb ohne Wirkung.

Als man bald nachher an den Dietl'schen Antrag kam, erhob sich der
zum Berichterstatter erkorene Dr. Jäger und las aus einer vielblättrigen
Schrift einen Vortrag ab. des Inhalts, daß es sich in Oestreich seit der
pragmatischen Sanction immer nur um die Aufrechthaltung der alten Rechte
und Freiheiten der einzelnen Länder gehandelt habe. Aber schon unter
Maria Theresia und noch mehr unter Kaiser Joseph hätten die bureaukrati¬
schen Centralisationsversuche begonnen. Unter der ersten Regierungsperiode
des Kaisers Franz, in welcher für Oestreich die Frage über Sein und Nicht¬
sein zur Entscheidung kam, hätten die Völker Oestreichs nur den einen Satz
des pragmatischen Grundgesetzes ins Auge gefaßt, der sie den untheilbaren
Länderbesitz des Hauses Habsburg zu erhalten verpflichtete, wofür sie dann
der patriarchalische Monarch im Jahre 1816 durch Zurückgabe der freilich
etwas beschränkten Landtage belohnte. Hierauf sei die vulkanische Episode
des Jahres 1848 mit dem nicht ganz unberechtigten Gedanken der Wieder-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123354"/>
            <p xml:id="ID_734" prev="#ID_733"> spricht. Die Saat ist reif &#x2014; wird noch das zweite Kaiserreich sie ernten?<lb/>
Mit einer Frage schließt heutzutage jede Betrachtung über französische Ver¬<lb/>
hältnisse; so auch die unsere, die doch nur ein abgeschlossenes, scheinbar dem<lb/>
Strome der großen politischen Bewegung entzogenes Gebiet berührt.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der letzte Tiroler Landtag.<lb/>
(Schluß zu Ur. 6.) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_735"> Die Sitzung vom 29. October, welche zur Debatte über die von Dietl<lb/>
eingebrachten großen Reformanträge festgesetzt war, begann mit der Beant¬<lb/>
wortung einer an den Statthalter gerichteten Jnterpellation über die am<lb/>
13. Mai verfügte Auflösung des katholischen Filialvereins er Schlanders.<lb/>
Sie bestand der Hauptsache nach in der Eröffnung der Ministerialerledigung<lb/>
über die diesfällige Beschwerde, welche feststellte, daß jener Verein bei der<lb/>
Versammlung vom 9. Mai seinen statutenmäßigen Wirkungskreis überschritten<lb/>
und durch das tumultarische Benehmen den Bedingungen seines rechtlichen<lb/>
Bestandes nicht entsprochen habe. Der Statthalter versicherte, in Vereins¬<lb/>
sachen nur durch das Gesetz und seine Pflicht geleitet zu werden, damit ver¬<lb/>
band er noch die Mittheilung, daß der Vorarlberger Landtag den Vorschlag der<lb/>
Regierung betreffs der Verwendung der Schützen außer Landes angenommen<lb/>
habe. Sie blieb ohne Wirkung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_736" next="#ID_737"> Als man bald nachher an den Dietl'schen Antrag kam, erhob sich der<lb/>
zum Berichterstatter erkorene Dr. Jäger und las aus einer vielblättrigen<lb/>
Schrift einen Vortrag ab. des Inhalts, daß es sich in Oestreich seit der<lb/>
pragmatischen Sanction immer nur um die Aufrechthaltung der alten Rechte<lb/>
und Freiheiten der einzelnen Länder gehandelt habe. Aber schon unter<lb/>
Maria Theresia und noch mehr unter Kaiser Joseph hätten die bureaukrati¬<lb/>
schen Centralisationsversuche begonnen. Unter der ersten Regierungsperiode<lb/>
des Kaisers Franz, in welcher für Oestreich die Frage über Sein und Nicht¬<lb/>
sein zur Entscheidung kam, hätten die Völker Oestreichs nur den einen Satz<lb/>
des pragmatischen Grundgesetzes ins Auge gefaßt, der sie den untheilbaren<lb/>
Länderbesitz des Hauses Habsburg zu erhalten verpflichtete, wofür sie dann<lb/>
der patriarchalische Monarch im Jahre 1816 durch Zurückgabe der freilich<lb/>
etwas beschränkten Landtage belohnte. Hierauf sei die vulkanische Episode<lb/>
des Jahres 1848 mit dem nicht ganz unberechtigten Gedanken der Wieder-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0266] spricht. Die Saat ist reif — wird noch das zweite Kaiserreich sie ernten? Mit einer Frage schließt heutzutage jede Betrachtung über französische Ver¬ hältnisse; so auch die unsere, die doch nur ein abgeschlossenes, scheinbar dem Strome der großen politischen Bewegung entzogenes Gebiet berührt. Der letzte Tiroler Landtag. (Schluß zu Ur. 6.) Die Sitzung vom 29. October, welche zur Debatte über die von Dietl eingebrachten großen Reformanträge festgesetzt war, begann mit der Beant¬ wortung einer an den Statthalter gerichteten Jnterpellation über die am 13. Mai verfügte Auflösung des katholischen Filialvereins er Schlanders. Sie bestand der Hauptsache nach in der Eröffnung der Ministerialerledigung über die diesfällige Beschwerde, welche feststellte, daß jener Verein bei der Versammlung vom 9. Mai seinen statutenmäßigen Wirkungskreis überschritten und durch das tumultarische Benehmen den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes nicht entsprochen habe. Der Statthalter versicherte, in Vereins¬ sachen nur durch das Gesetz und seine Pflicht geleitet zu werden, damit ver¬ band er noch die Mittheilung, daß der Vorarlberger Landtag den Vorschlag der Regierung betreffs der Verwendung der Schützen außer Landes angenommen habe. Sie blieb ohne Wirkung. Als man bald nachher an den Dietl'schen Antrag kam, erhob sich der zum Berichterstatter erkorene Dr. Jäger und las aus einer vielblättrigen Schrift einen Vortrag ab. des Inhalts, daß es sich in Oestreich seit der pragmatischen Sanction immer nur um die Aufrechthaltung der alten Rechte und Freiheiten der einzelnen Länder gehandelt habe. Aber schon unter Maria Theresia und noch mehr unter Kaiser Joseph hätten die bureaukrati¬ schen Centralisationsversuche begonnen. Unter der ersten Regierungsperiode des Kaisers Franz, in welcher für Oestreich die Frage über Sein und Nicht¬ sein zur Entscheidung kam, hätten die Völker Oestreichs nur den einen Satz des pragmatischen Grundgesetzes ins Auge gefaßt, der sie den untheilbaren Länderbesitz des Hauses Habsburg zu erhalten verpflichtete, wofür sie dann der patriarchalische Monarch im Jahre 1816 durch Zurückgabe der freilich etwas beschränkten Landtage belohnte. Hierauf sei die vulkanische Episode des Jahres 1848 mit dem nicht ganz unberechtigten Gedanken der Wieder-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/266
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/266>, abgerufen am 26.06.2024.