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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Antonello da Messina und sein Bild in Berlin.

Ist es schon ein Uebelstand der modernen Kunstgeschichte, gerade von den
interessantesten Malern älterer Zeit wenig biographische Notizen erlangt zu
haben, so muß doppelt beklagt werden, daß dies Wenige in der Regel nicht
viel Positives oder aber Thatsachen enthält, die keinen großen Werth haben.
Mit diesem leidigen Refrain schließt die Forschung der meisten exacten Unter¬
suchungen auf dem Gebiet der classischen Periode italienischer Kunst; und
wir müssen sie hier auch den Bemerkungen über einen Mann vorausschicken,
der für die Geschichte der venezianischen Malerei und darum für die Ent¬
wickelung der Malerei überhaupt epochemachende Bedeutung hat und dessen
historische Feststellung deshalb von umso höherem Interesse ist. Denn wie
ansehnlich auch der Erwerb sein mag, den die Archive Italiens, Deutsch,
lands. Belgiens in jüngster Zeit an Bruchstücken geboten haben, mit deren
Hilfe sich bestimmte Anhaltepuncte zur Reconstruction dieser oder jener Maler¬
biographie ergeben. Antonello da Messina, einer der merkwürdigsten
Künstler, in dem sich nordische und südliche Kunstthätigkeit berühren, ist
bisher ziemlich leer ausgegangen. -- Die meiste Schuld an der Dunkelheit, die
ihn umgibt, hat auch hier nationale und locale Eifersucht, jener leidige
Kunstpartieularismus. der die allgemeinen Geschenke der Musen womöglich
monopolisirt. Bei den neapolitanischen Kunstschriftstellern ist es Glaubens¬
artikel, daß Antonello die technische Verwerthung des Oeles erfunden oder
doch bereits geübt habe, ehe er aus dem Süden wegging, die Niederländer
setzen ihren Stolz in die Gegenbehauptung, er sei erst durch Johann van
Eyck mit dem Verfahren bekannt geworden, Im Laufe der Zeit ist von den
erhitzten Gegnern manches unerlaubte Beweismoment in die Conrroverse hin¬
eingezogen worden, und hauptsächlich aus diesem Grunde versuchen wir in
den nachfolgenden Bemerkungen eine Reihe von Thatsachen in Erinnerung
zu bringen, auf welche bisher auch von der unparteiischen Kritik zu wenig
Rücksicht genommen worden ist.

Zu den interessantesten Stücken in den Künstlerbiographien Vasari's ge¬
hört ohne Frage die mit gewohnter Sicherheit gegebene Erzählung von
Antonello's Reise nach den Niederlanden. Wir erfahren, daß der Maler,
ein Mann von großer geistiger Behendigkeit und bedeutender Praxis, der
nach mehrjährigen Studien in Rom sich erst in Palermo und dann in Messina
niederließ, eines Tags auf einer Geschäftsreise in Neapel zufällig ein Oel-
gemälde van Eyck's (Giovanni da Bruggia) sah. das florentinische Händler
für den König Alphons mitgebracht hatten; und die technische Beschaffenheit


Antonello da Messina und sein Bild in Berlin.

Ist es schon ein Uebelstand der modernen Kunstgeschichte, gerade von den
interessantesten Malern älterer Zeit wenig biographische Notizen erlangt zu
haben, so muß doppelt beklagt werden, daß dies Wenige in der Regel nicht
viel Positives oder aber Thatsachen enthält, die keinen großen Werth haben.
Mit diesem leidigen Refrain schließt die Forschung der meisten exacten Unter¬
suchungen auf dem Gebiet der classischen Periode italienischer Kunst; und
wir müssen sie hier auch den Bemerkungen über einen Mann vorausschicken,
der für die Geschichte der venezianischen Malerei und darum für die Ent¬
wickelung der Malerei überhaupt epochemachende Bedeutung hat und dessen
historische Feststellung deshalb von umso höherem Interesse ist. Denn wie
ansehnlich auch der Erwerb sein mag, den die Archive Italiens, Deutsch,
lands. Belgiens in jüngster Zeit an Bruchstücken geboten haben, mit deren
Hilfe sich bestimmte Anhaltepuncte zur Reconstruction dieser oder jener Maler¬
biographie ergeben. Antonello da Messina, einer der merkwürdigsten
Künstler, in dem sich nordische und südliche Kunstthätigkeit berühren, ist
bisher ziemlich leer ausgegangen. — Die meiste Schuld an der Dunkelheit, die
ihn umgibt, hat auch hier nationale und locale Eifersucht, jener leidige
Kunstpartieularismus. der die allgemeinen Geschenke der Musen womöglich
monopolisirt. Bei den neapolitanischen Kunstschriftstellern ist es Glaubens¬
artikel, daß Antonello die technische Verwerthung des Oeles erfunden oder
doch bereits geübt habe, ehe er aus dem Süden wegging, die Niederländer
setzen ihren Stolz in die Gegenbehauptung, er sei erst durch Johann van
Eyck mit dem Verfahren bekannt geworden, Im Laufe der Zeit ist von den
erhitzten Gegnern manches unerlaubte Beweismoment in die Conrroverse hin¬
eingezogen worden, und hauptsächlich aus diesem Grunde versuchen wir in
den nachfolgenden Bemerkungen eine Reihe von Thatsachen in Erinnerung
zu bringen, auf welche bisher auch von der unparteiischen Kritik zu wenig
Rücksicht genommen worden ist.

Zu den interessantesten Stücken in den Künstlerbiographien Vasari's ge¬
hört ohne Frage die mit gewohnter Sicherheit gegebene Erzählung von
Antonello's Reise nach den Niederlanden. Wir erfahren, daß der Maler,
ein Mann von großer geistiger Behendigkeit und bedeutender Praxis, der
nach mehrjährigen Studien in Rom sich erst in Palermo und dann in Messina
niederließ, eines Tags auf einer Geschäftsreise in Neapel zufällig ein Oel-
gemälde van Eyck's (Giovanni da Bruggia) sah. das florentinische Händler
für den König Alphons mitgebracht hatten; und die technische Beschaffenheit


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[0061] Antonello da Messina und sein Bild in Berlin. Ist es schon ein Uebelstand der modernen Kunstgeschichte, gerade von den interessantesten Malern älterer Zeit wenig biographische Notizen erlangt zu haben, so muß doppelt beklagt werden, daß dies Wenige in der Regel nicht viel Positives oder aber Thatsachen enthält, die keinen großen Werth haben. Mit diesem leidigen Refrain schließt die Forschung der meisten exacten Unter¬ suchungen auf dem Gebiet der classischen Periode italienischer Kunst; und wir müssen sie hier auch den Bemerkungen über einen Mann vorausschicken, der für die Geschichte der venezianischen Malerei und darum für die Ent¬ wickelung der Malerei überhaupt epochemachende Bedeutung hat und dessen historische Feststellung deshalb von umso höherem Interesse ist. Denn wie ansehnlich auch der Erwerb sein mag, den die Archive Italiens, Deutsch, lands. Belgiens in jüngster Zeit an Bruchstücken geboten haben, mit deren Hilfe sich bestimmte Anhaltepuncte zur Reconstruction dieser oder jener Maler¬ biographie ergeben. Antonello da Messina, einer der merkwürdigsten Künstler, in dem sich nordische und südliche Kunstthätigkeit berühren, ist bisher ziemlich leer ausgegangen. — Die meiste Schuld an der Dunkelheit, die ihn umgibt, hat auch hier nationale und locale Eifersucht, jener leidige Kunstpartieularismus. der die allgemeinen Geschenke der Musen womöglich monopolisirt. Bei den neapolitanischen Kunstschriftstellern ist es Glaubens¬ artikel, daß Antonello die technische Verwerthung des Oeles erfunden oder doch bereits geübt habe, ehe er aus dem Süden wegging, die Niederländer setzen ihren Stolz in die Gegenbehauptung, er sei erst durch Johann van Eyck mit dem Verfahren bekannt geworden, Im Laufe der Zeit ist von den erhitzten Gegnern manches unerlaubte Beweismoment in die Conrroverse hin¬ eingezogen worden, und hauptsächlich aus diesem Grunde versuchen wir in den nachfolgenden Bemerkungen eine Reihe von Thatsachen in Erinnerung zu bringen, auf welche bisher auch von der unparteiischen Kritik zu wenig Rücksicht genommen worden ist. Zu den interessantesten Stücken in den Künstlerbiographien Vasari's ge¬ hört ohne Frage die mit gewohnter Sicherheit gegebene Erzählung von Antonello's Reise nach den Niederlanden. Wir erfahren, daß der Maler, ein Mann von großer geistiger Behendigkeit und bedeutender Praxis, der nach mehrjährigen Studien in Rom sich erst in Palermo und dann in Messina niederließ, eines Tags auf einer Geschäftsreise in Neapel zufällig ein Oel- gemälde van Eyck's (Giovanni da Bruggia) sah. das florentinische Händler für den König Alphons mitgebracht hatten; und die technische Beschaffenheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/61>, abgerufen am 28.06.2024.