Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Thatsachen geschöpft werden, welche ohne ihren treuen Fleiß sür immer in Ver¬
gessenheit gerathen sein würden. Freilich sind diese Männer von ungleichem Werth.
Für die Heroen der Musik besitzen wir keinen, der dem für Goethe's Gestalt uner¬
setzlich werthvollen Eckermann verglichen werden könnte. Zumeist schadet ihnen
die eigenthümliche Zwischenstellung, die sie sich zwischen Wissenschaft und Kunst ge¬
wählt haben. Ihre phantastische Begabung ist gerade groß genug, um ihnen ein¬
fache wahrheitsgetreue historische Berichterstattung zu erschweren, während sie zu einer
nennenswerthen selbständigen Thätigkeit in der Kunst, sei es Musik oder Poesie,
nicht ausreicht. > Eine Gestalt, welche so recht als der Typus dieser eigenthüm¬
lichen Gattung in ihren Borzügen und Mängeln erscheint, ist der 1769 zu Leipzig ge¬
borene und ebenda 1842 verstorbene Hofrath Friedrich Rochlitz, bekannt als lang¬
jähriges Borstandsmitglied der Leipziger Gewandhausconzerte, als Begründer
und thätiger Leiter der einflußreichen (Leipziger) Allgemeinen musikalischen Zeitung,
als Redacteur des Leipziger Gesangbuches, sowie als geschickter Berfertiger von
Texten zu geistlichen und weltlichen Kompositionen, endlich als der Verfasser der
gebräuchlichsten Uebersetzung des Don Juan-Textes. Es ist daher ein ganz dankens¬
wertes Unternehmen, die oben angezeigte Sammlung seiner musikalischen Schriften
in neuer Auslage, der im vierten Bande eine kurze von A. Dörffel geschriebene
Biographie des Verfassers beigegeben ist, erscheinen zu lassen. Nur hätte sich eine
strenge Auswahl empfohlen, die Sammlung wäre kleiner und verwendbarer
geworden, und die herzlich schwachen vermischten Aufsätze in schlechter Nach¬
ahmung Jean Paul'schen Humors wären billig weggeblieben, wogegen noch
manches Brauchbare aus Rochlitz' zerstreuten Aufsätzen hätte Aufnahme finden kön-
.nen. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß sich in O. Jahn's Mozart-
^Mgraphie, und zwar besonders in der ersten vierbändigen Ausgabe mehrfache wich¬
tige Beiträge zu einer gerechten Würdigung von Fr. Rochlitz als Aesthetiker und
Historiker der Musik finden; zu Nutz und Frommen von Lesern, welche einen rich¬
tigen Standpunkt seinen Anschauungen und Notizen gegenüber gewinnen wollen,
werde hier auf das genannte Werk III., S. 165, 223, 423, 496, und IV., 4 ver¬
wiesen. Wer ein Auge für dergleichen hat, wird leicht erkennen, daß die dort nach¬
gewiesenen Schwächen des verdienten Mannes weniger ihm selbst als seiner Zeit
und seinem Bildungsgange zur Last fallen. --




Consonanzen und Dissonanzen. Gesammelte Schriften aus älterer und
neuerer Zeit von I. C. Lobe. Leipzig, Baumgärtners Buchhandlung. 1869.

Ein tüchtiger Musiker und Theoretiker bietet hier gesammelte Aufsätze, aller¬
dings von sehr ungleichem Werth. Als besonders gelungen heben wir daraus her¬
vor: Sendschreiben über Preisaufgaben S. 215, Briefe von Jenseits S. 17 ff.,


Thatsachen geschöpft werden, welche ohne ihren treuen Fleiß sür immer in Ver¬
gessenheit gerathen sein würden. Freilich sind diese Männer von ungleichem Werth.
Für die Heroen der Musik besitzen wir keinen, der dem für Goethe's Gestalt uner¬
setzlich werthvollen Eckermann verglichen werden könnte. Zumeist schadet ihnen
die eigenthümliche Zwischenstellung, die sie sich zwischen Wissenschaft und Kunst ge¬
wählt haben. Ihre phantastische Begabung ist gerade groß genug, um ihnen ein¬
fache wahrheitsgetreue historische Berichterstattung zu erschweren, während sie zu einer
nennenswerthen selbständigen Thätigkeit in der Kunst, sei es Musik oder Poesie,
nicht ausreicht. > Eine Gestalt, welche so recht als der Typus dieser eigenthüm¬
lichen Gattung in ihren Borzügen und Mängeln erscheint, ist der 1769 zu Leipzig ge¬
borene und ebenda 1842 verstorbene Hofrath Friedrich Rochlitz, bekannt als lang¬
jähriges Borstandsmitglied der Leipziger Gewandhausconzerte, als Begründer
und thätiger Leiter der einflußreichen (Leipziger) Allgemeinen musikalischen Zeitung,
als Redacteur des Leipziger Gesangbuches, sowie als geschickter Berfertiger von
Texten zu geistlichen und weltlichen Kompositionen, endlich als der Verfasser der
gebräuchlichsten Uebersetzung des Don Juan-Textes. Es ist daher ein ganz dankens¬
wertes Unternehmen, die oben angezeigte Sammlung seiner musikalischen Schriften
in neuer Auslage, der im vierten Bande eine kurze von A. Dörffel geschriebene
Biographie des Verfassers beigegeben ist, erscheinen zu lassen. Nur hätte sich eine
strenge Auswahl empfohlen, die Sammlung wäre kleiner und verwendbarer
geworden, und die herzlich schwachen vermischten Aufsätze in schlechter Nach¬
ahmung Jean Paul'schen Humors wären billig weggeblieben, wogegen noch
manches Brauchbare aus Rochlitz' zerstreuten Aufsätzen hätte Aufnahme finden kön-
.nen. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß sich in O. Jahn's Mozart-
^Mgraphie, und zwar besonders in der ersten vierbändigen Ausgabe mehrfache wich¬
tige Beiträge zu einer gerechten Würdigung von Fr. Rochlitz als Aesthetiker und
Historiker der Musik finden; zu Nutz und Frommen von Lesern, welche einen rich¬
tigen Standpunkt seinen Anschauungen und Notizen gegenüber gewinnen wollen,
werde hier auf das genannte Werk III., S. 165, 223, 423, 496, und IV., 4 ver¬
wiesen. Wer ein Auge für dergleichen hat, wird leicht erkennen, daß die dort nach¬
gewiesenen Schwächen des verdienten Mannes weniger ihm selbst als seiner Zeit
und seinem Bildungsgange zur Last fallen. —




Consonanzen und Dissonanzen. Gesammelte Schriften aus älterer und
neuerer Zeit von I. C. Lobe. Leipzig, Baumgärtners Buchhandlung. 1869.

Ein tüchtiger Musiker und Theoretiker bietet hier gesammelte Aufsätze, aller¬
dings von sehr ungleichem Werth. Als besonders gelungen heben wir daraus her¬
vor: Sendschreiben über Preisaufgaben S. 215, Briefe von Jenseits S. 17 ff.,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121748"/>
            <p xml:id="ID_1580" prev="#ID_1579"> Thatsachen geschöpft werden, welche ohne ihren treuen Fleiß sür immer in Ver¬<lb/>
gessenheit gerathen sein würden. Freilich sind diese Männer von ungleichem Werth.<lb/>
Für die Heroen der Musik besitzen wir keinen, der dem für Goethe's Gestalt uner¬<lb/>
setzlich werthvollen Eckermann verglichen werden könnte. Zumeist schadet ihnen<lb/>
die eigenthümliche Zwischenstellung, die sie sich zwischen Wissenschaft und Kunst ge¬<lb/>
wählt haben. Ihre phantastische Begabung ist gerade groß genug, um ihnen ein¬<lb/>
fache wahrheitsgetreue historische Berichterstattung zu erschweren, während sie zu einer<lb/>
nennenswerthen selbständigen Thätigkeit in der Kunst, sei es Musik oder Poesie,<lb/>
nicht ausreicht. &gt; Eine Gestalt, welche so recht als der Typus dieser eigenthüm¬<lb/>
lichen Gattung in ihren Borzügen und Mängeln erscheint, ist der 1769 zu Leipzig ge¬<lb/>
borene und ebenda 1842 verstorbene Hofrath Friedrich Rochlitz, bekannt als lang¬<lb/>
jähriges Borstandsmitglied der Leipziger Gewandhausconzerte, als Begründer<lb/>
und thätiger Leiter der einflußreichen (Leipziger) Allgemeinen musikalischen Zeitung,<lb/>
als Redacteur des Leipziger Gesangbuches, sowie als geschickter Berfertiger von<lb/>
Texten zu geistlichen und weltlichen Kompositionen, endlich als der Verfasser der<lb/>
gebräuchlichsten Uebersetzung des Don Juan-Textes. Es ist daher ein ganz dankens¬<lb/>
wertes Unternehmen, die oben angezeigte Sammlung seiner musikalischen Schriften<lb/>
in neuer Auslage, der im vierten Bande eine kurze von A. Dörffel geschriebene<lb/>
Biographie des Verfassers beigegeben ist, erscheinen zu lassen. Nur hätte sich eine<lb/>
strenge Auswahl empfohlen, die Sammlung wäre kleiner und verwendbarer<lb/>
geworden, und die herzlich schwachen vermischten Aufsätze in schlechter Nach¬<lb/>
ahmung Jean Paul'schen Humors wären billig weggeblieben, wogegen noch<lb/>
manches Brauchbare aus Rochlitz' zerstreuten Aufsätzen hätte Aufnahme finden kön-<lb/>
.nen. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß sich in O. Jahn's Mozart-<lb/>
^Mgraphie, und zwar besonders in der ersten vierbändigen Ausgabe mehrfache wich¬<lb/>
tige Beiträge zu einer gerechten Würdigung von Fr. Rochlitz als Aesthetiker und<lb/>
Historiker der Musik finden; zu Nutz und Frommen von Lesern, welche einen rich¬<lb/>
tigen Standpunkt seinen Anschauungen und Notizen gegenüber gewinnen wollen,<lb/>
werde hier auf das genannte Werk III., S. 165, 223, 423, 496, und IV., 4 ver¬<lb/>
wiesen. Wer ein Auge für dergleichen hat, wird leicht erkennen, daß die dort nach¬<lb/>
gewiesenen Schwächen des verdienten Mannes weniger ihm selbst als seiner Zeit<lb/>
und seinem Bildungsgange zur Last fallen. &#x2014;</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Consonanzen und Dissonanzen.  Gesammelte Schriften aus älterer und<lb/>
neuerer Zeit von I. C. Lobe.  Leipzig, Baumgärtners Buchhandlung. 1869.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1581" next="#ID_1582"> Ein tüchtiger Musiker und Theoretiker bietet hier gesammelte Aufsätze, aller¬<lb/>
dings von sehr ungleichem Werth.  Als besonders gelungen heben wir daraus her¬<lb/>
vor: Sendschreiben über Preisaufgaben S. 215, Briefe von Jenseits S. 17 ff.,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] Thatsachen geschöpft werden, welche ohne ihren treuen Fleiß sür immer in Ver¬ gessenheit gerathen sein würden. Freilich sind diese Männer von ungleichem Werth. Für die Heroen der Musik besitzen wir keinen, der dem für Goethe's Gestalt uner¬ setzlich werthvollen Eckermann verglichen werden könnte. Zumeist schadet ihnen die eigenthümliche Zwischenstellung, die sie sich zwischen Wissenschaft und Kunst ge¬ wählt haben. Ihre phantastische Begabung ist gerade groß genug, um ihnen ein¬ fache wahrheitsgetreue historische Berichterstattung zu erschweren, während sie zu einer nennenswerthen selbständigen Thätigkeit in der Kunst, sei es Musik oder Poesie, nicht ausreicht. > Eine Gestalt, welche so recht als der Typus dieser eigenthüm¬ lichen Gattung in ihren Borzügen und Mängeln erscheint, ist der 1769 zu Leipzig ge¬ borene und ebenda 1842 verstorbene Hofrath Friedrich Rochlitz, bekannt als lang¬ jähriges Borstandsmitglied der Leipziger Gewandhausconzerte, als Begründer und thätiger Leiter der einflußreichen (Leipziger) Allgemeinen musikalischen Zeitung, als Redacteur des Leipziger Gesangbuches, sowie als geschickter Berfertiger von Texten zu geistlichen und weltlichen Kompositionen, endlich als der Verfasser der gebräuchlichsten Uebersetzung des Don Juan-Textes. Es ist daher ein ganz dankens¬ wertes Unternehmen, die oben angezeigte Sammlung seiner musikalischen Schriften in neuer Auslage, der im vierten Bande eine kurze von A. Dörffel geschriebene Biographie des Verfassers beigegeben ist, erscheinen zu lassen. Nur hätte sich eine strenge Auswahl empfohlen, die Sammlung wäre kleiner und verwendbarer geworden, und die herzlich schwachen vermischten Aufsätze in schlechter Nach¬ ahmung Jean Paul'schen Humors wären billig weggeblieben, wogegen noch manches Brauchbare aus Rochlitz' zerstreuten Aufsätzen hätte Aufnahme finden kön- .nen. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß sich in O. Jahn's Mozart- ^Mgraphie, und zwar besonders in der ersten vierbändigen Ausgabe mehrfache wich¬ tige Beiträge zu einer gerechten Würdigung von Fr. Rochlitz als Aesthetiker und Historiker der Musik finden; zu Nutz und Frommen von Lesern, welche einen rich¬ tigen Standpunkt seinen Anschauungen und Notizen gegenüber gewinnen wollen, werde hier auf das genannte Werk III., S. 165, 223, 423, 496, und IV., 4 ver¬ wiesen. Wer ein Auge für dergleichen hat, wird leicht erkennen, daß die dort nach¬ gewiesenen Schwächen des verdienten Mannes weniger ihm selbst als seiner Zeit und seinem Bildungsgange zur Last fallen. — Consonanzen und Dissonanzen. Gesammelte Schriften aus älterer und neuerer Zeit von I. C. Lobe. Leipzig, Baumgärtners Buchhandlung. 1869. Ein tüchtiger Musiker und Theoretiker bietet hier gesammelte Aufsätze, aller¬ dings von sehr ungleichem Werth. Als besonders gelungen heben wir daraus her¬ vor: Sendschreiben über Preisaufgaben S. 215, Briefe von Jenseits S. 17 ff.,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/527>, abgerufen am 22.07.2024.