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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Aus einem englischen Notizbuch.
Das Haus zum Löwen und Einhorn in der City.

Bor einigen Jahren -- es war gerade vor dem Fenierschrecken und der
letzten Agitation gegen die irische Staatskirche -- betrat ich mit meinem.
Freunde Mink den Saal des grauen Hofes zum Löwen und Einhorn, in wel¬
chem die Sitzung eines Londoner Bierparlaments abgehalten werden sollte.
Der Raum war bereits eine Stunde vor Beginn der Verhandlungen voll und
das Geplauder bis auf die Straße zu hören. An einem großen Tisch, der
fast durch die ganze Länge des Raumes ging, saßen die ältesten Stammgäste
des Debattirclubs. Im Getäfel über dem Kamin , war wieder der von Rauch
und Zeit arg mitgenommene Wappenschild mit seinen Thieren: Löwe und
Einhorn. In der Devise hatte Jemand das erste Wort durch einen Namen
ersetzt, so daß es hieß: Nola^ soit <mi mu,! pguss, als Zeichen der Stim¬
mung, welche vor Jahren hier gegen Frankreich geherrscht hatte. Darunter
stand eine Inschrift:


"So in den Himmel du kommen Willi,
In Ehrfurcht blick auf diesen Schild.
Treu stellt er dar, sinnreich und klar,
Ganz Englands Pracht und große Macht,
Darüber oben der HERNGOTT wacht.
Kein schwacher Christ der Leu hier ist,
Das Roß hat vorn ein spitzes Horn,
Hüt' Euch der HERR vor Britenzorn. ,

An den Wänden hingen Portraits. Mein Führer Mink wurde als alter
Bekannter ehrenvoll von den Parlamentsgenvssen aufgenommen, er ver¬
mittelte uns einen Sitz und stellte mich den Nachbarn vor. Horner, der,
fromme Schullehrer, winkte ihm freundlich zu, mit einer Handschwenkung
grüßte Buckville, der Tapetenhändler, ein stämmiger, grogtrinkender Jung¬
geselle von einigen vierzig Jahren, der den Jüngling und Sportsmann
spielte. Ebenso Salomons, der "Juwelier", d. h. Pfandleiher aus Fore-street.
Der wohlhabende Johnson war da, lächelnd im Bewußtsein, Glanz und Ge¬
wicht in die Gesellschaft zu bringen, denn er hatte einst am Banket in der
Guildhall den 9. November theilgenommen und keine 50 Schritt vom Lord
Mayor und den Sheriffs gesessen. Dann der "Künstler", d. h. Kalligraph
Pecquerd, mit großen hungrigen Augen eine Seele suchend, die ihn frei halte.
Auch der "kleine Unbekannte", ein sanft aussehender Sechsziger. Man traf
ihn manchmal auf der Straße, in einem fadenscheinigen, geflickten Anzug,


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Aus einem englischen Notizbuch.
Das Haus zum Löwen und Einhorn in der City.

Bor einigen Jahren — es war gerade vor dem Fenierschrecken und der
letzten Agitation gegen die irische Staatskirche — betrat ich mit meinem.
Freunde Mink den Saal des grauen Hofes zum Löwen und Einhorn, in wel¬
chem die Sitzung eines Londoner Bierparlaments abgehalten werden sollte.
Der Raum war bereits eine Stunde vor Beginn der Verhandlungen voll und
das Geplauder bis auf die Straße zu hören. An einem großen Tisch, der
fast durch die ganze Länge des Raumes ging, saßen die ältesten Stammgäste
des Debattirclubs. Im Getäfel über dem Kamin , war wieder der von Rauch
und Zeit arg mitgenommene Wappenschild mit seinen Thieren: Löwe und
Einhorn. In der Devise hatte Jemand das erste Wort durch einen Namen
ersetzt, so daß es hieß: Nola^ soit <mi mu,! pguss, als Zeichen der Stim¬
mung, welche vor Jahren hier gegen Frankreich geherrscht hatte. Darunter
stand eine Inschrift:


„So in den Himmel du kommen Willi,
In Ehrfurcht blick auf diesen Schild.
Treu stellt er dar, sinnreich und klar,
Ganz Englands Pracht und große Macht,
Darüber oben der HERNGOTT wacht.
Kein schwacher Christ der Leu hier ist,
Das Roß hat vorn ein spitzes Horn,
Hüt' Euch der HERR vor Britenzorn. ,

An den Wänden hingen Portraits. Mein Führer Mink wurde als alter
Bekannter ehrenvoll von den Parlamentsgenvssen aufgenommen, er ver¬
mittelte uns einen Sitz und stellte mich den Nachbarn vor. Horner, der,
fromme Schullehrer, winkte ihm freundlich zu, mit einer Handschwenkung
grüßte Buckville, der Tapetenhändler, ein stämmiger, grogtrinkender Jung¬
geselle von einigen vierzig Jahren, der den Jüngling und Sportsmann
spielte. Ebenso Salomons, der „Juwelier", d. h. Pfandleiher aus Fore-street.
Der wohlhabende Johnson war da, lächelnd im Bewußtsein, Glanz und Ge¬
wicht in die Gesellschaft zu bringen, denn er hatte einst am Banket in der
Guildhall den 9. November theilgenommen und keine 50 Schritt vom Lord
Mayor und den Sheriffs gesessen. Dann der „Künstler", d. h. Kalligraph
Pecquerd, mit großen hungrigen Augen eine Seele suchend, die ihn frei halte.
Auch der „kleine Unbekannte", ein sanft aussehender Sechsziger. Man traf
ihn manchmal auf der Straße, in einem fadenscheinigen, geflickten Anzug,


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[0315] Aus einem englischen Notizbuch. Das Haus zum Löwen und Einhorn in der City. Bor einigen Jahren — es war gerade vor dem Fenierschrecken und der letzten Agitation gegen die irische Staatskirche — betrat ich mit meinem. Freunde Mink den Saal des grauen Hofes zum Löwen und Einhorn, in wel¬ chem die Sitzung eines Londoner Bierparlaments abgehalten werden sollte. Der Raum war bereits eine Stunde vor Beginn der Verhandlungen voll und das Geplauder bis auf die Straße zu hören. An einem großen Tisch, der fast durch die ganze Länge des Raumes ging, saßen die ältesten Stammgäste des Debattirclubs. Im Getäfel über dem Kamin , war wieder der von Rauch und Zeit arg mitgenommene Wappenschild mit seinen Thieren: Löwe und Einhorn. In der Devise hatte Jemand das erste Wort durch einen Namen ersetzt, so daß es hieß: Nola^ soit <mi mu,! pguss, als Zeichen der Stim¬ mung, welche vor Jahren hier gegen Frankreich geherrscht hatte. Darunter stand eine Inschrift: „So in den Himmel du kommen Willi, In Ehrfurcht blick auf diesen Schild. Treu stellt er dar, sinnreich und klar, Ganz Englands Pracht und große Macht, Darüber oben der HERNGOTT wacht. Kein schwacher Christ der Leu hier ist, Das Roß hat vorn ein spitzes Horn, Hüt' Euch der HERR vor Britenzorn. , An den Wänden hingen Portraits. Mein Führer Mink wurde als alter Bekannter ehrenvoll von den Parlamentsgenvssen aufgenommen, er ver¬ mittelte uns einen Sitz und stellte mich den Nachbarn vor. Horner, der, fromme Schullehrer, winkte ihm freundlich zu, mit einer Handschwenkung grüßte Buckville, der Tapetenhändler, ein stämmiger, grogtrinkender Jung¬ geselle von einigen vierzig Jahren, der den Jüngling und Sportsmann spielte. Ebenso Salomons, der „Juwelier", d. h. Pfandleiher aus Fore-street. Der wohlhabende Johnson war da, lächelnd im Bewußtsein, Glanz und Ge¬ wicht in die Gesellschaft zu bringen, denn er hatte einst am Banket in der Guildhall den 9. November theilgenommen und keine 50 Schritt vom Lord Mayor und den Sheriffs gesessen. Dann der „Künstler", d. h. Kalligraph Pecquerd, mit großen hungrigen Augen eine Seele suchend, die ihn frei halte. Auch der „kleine Unbekannte", ein sanft aussehender Sechsziger. Man traf ihn manchmal auf der Straße, in einem fadenscheinigen, geflickten Anzug, 39'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/315>, abgerufen am 28.06.2024.