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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Ein neuer Vasari.

Geschichte der italienischen Malerei von I. A. Crowe und G. B. Cavalcaselle.
Deutsche Originalausgabe besorgt von Dr. Max Jordan. Erster Band mit 13 Tafeln.
Leipzig. S. Hirzel. 1869.

Als die, "Ac>v iiistor^ok xaintmZ in ItAlz^ von Crowe und Cavalcaselle
vor fünf Jahren in London veröffentlicht wurde, hatten wir Alle, die wir
der kunsthistorischen Forschung zugethan sind, eine gemeinsame Empfindung
und einen gleichen Wunsch. Wir empfanden Neid darüber, daß ein so tüch¬
tiges, wir hätten beinahe gesagt, mit so deutscher Gründlichkeit gearbeitetes
Werk zuerst den Briten zugänglich wurde, wir hegten dann den Wunsch,
daß wir bald durch eine Uebertragung des Buches in unsere Sprache erfreut
würden. Seit Rumohr's Forschungen, ist keine Schrift erschienen, welche unser
Wissen von der italienischen Kunst in so hohem Maße bereichert hätte, wie
die vorliegende, ja diese überragt an Bedeutung jenes ältere Buch. Sie
ist umfassender angelegt und beruht auf genaueren technischen Studien,
als sie Rumohr anzustellen vermochte. Damit soll Rumohr's Ruhm nicht
geschmälert werden, ebensowenig wie es als Unterschätzung des alten Vasari
aufzufassen ist. wenn ihm das Buch Crowe's und Cavalcaselle's als "neuer
Vasari" gegenüber gestellt wird. Die Nothwendigkeit einer durchgreifenden
Revision des Aretiners steigert sich in dem Maße, als man seinen Ver¬
diensten als Schriftsteller gerecht wird, ihn nicht als einen bloßen Sammler
von Nachrichten betrachtet. Man kann Vasari nur äußerst selten Parteilich¬
keit, niemals wissentliche Entstellung der ihm bekannten Wahrheit vorwerfen.
Er spricht von seinen Landsleuten und von seiner Vaterstadt Arezzo mit
größerer Wärme, als wir es heutzutage thun würden und stellt Florenz
gegen Siena und Pisa ausschließlich in den Vordergrund. Dieses werden
wir ihm leichter verzeihen, wenn wir uns erinnern, wie schwer es uns noch
jetzt, bei allem Fortschritt der Urkundenforschung und des streng sachlichen
historischen Urtheiles wird, den Antheil der verschiedenen toscanischen Städte
an der italienischen Kunstentwickelung zu bestimmen. Einem Sohne des


Gr-njbotcn II. 1869. 11
Ein neuer Vasari.

Geschichte der italienischen Malerei von I. A. Crowe und G. B. Cavalcaselle.
Deutsche Originalausgabe besorgt von Dr. Max Jordan. Erster Band mit 13 Tafeln.
Leipzig. S. Hirzel. 1869.

Als die, „Ac>v iiistor^ok xaintmZ in ItAlz^ von Crowe und Cavalcaselle
vor fünf Jahren in London veröffentlicht wurde, hatten wir Alle, die wir
der kunsthistorischen Forschung zugethan sind, eine gemeinsame Empfindung
und einen gleichen Wunsch. Wir empfanden Neid darüber, daß ein so tüch¬
tiges, wir hätten beinahe gesagt, mit so deutscher Gründlichkeit gearbeitetes
Werk zuerst den Briten zugänglich wurde, wir hegten dann den Wunsch,
daß wir bald durch eine Uebertragung des Buches in unsere Sprache erfreut
würden. Seit Rumohr's Forschungen, ist keine Schrift erschienen, welche unser
Wissen von der italienischen Kunst in so hohem Maße bereichert hätte, wie
die vorliegende, ja diese überragt an Bedeutung jenes ältere Buch. Sie
ist umfassender angelegt und beruht auf genaueren technischen Studien,
als sie Rumohr anzustellen vermochte. Damit soll Rumohr's Ruhm nicht
geschmälert werden, ebensowenig wie es als Unterschätzung des alten Vasari
aufzufassen ist. wenn ihm das Buch Crowe's und Cavalcaselle's als „neuer
Vasari" gegenüber gestellt wird. Die Nothwendigkeit einer durchgreifenden
Revision des Aretiners steigert sich in dem Maße, als man seinen Ver¬
diensten als Schriftsteller gerecht wird, ihn nicht als einen bloßen Sammler
von Nachrichten betrachtet. Man kann Vasari nur äußerst selten Parteilich¬
keit, niemals wissentliche Entstellung der ihm bekannten Wahrheit vorwerfen.
Er spricht von seinen Landsleuten und von seiner Vaterstadt Arezzo mit
größerer Wärme, als wir es heutzutage thun würden und stellt Florenz
gegen Siena und Pisa ausschließlich in den Vordergrund. Dieses werden
wir ihm leichter verzeihen, wenn wir uns erinnern, wie schwer es uns noch
jetzt, bei allem Fortschritt der Urkundenforschung und des streng sachlichen
historischen Urtheiles wird, den Antheil der verschiedenen toscanischen Städte
an der italienischen Kunstentwickelung zu bestimmen. Einem Sohne des


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[0089] Ein neuer Vasari. Geschichte der italienischen Malerei von I. A. Crowe und G. B. Cavalcaselle. Deutsche Originalausgabe besorgt von Dr. Max Jordan. Erster Band mit 13 Tafeln. Leipzig. S. Hirzel. 1869. Als die, „Ac>v iiistor^ok xaintmZ in ItAlz^ von Crowe und Cavalcaselle vor fünf Jahren in London veröffentlicht wurde, hatten wir Alle, die wir der kunsthistorischen Forschung zugethan sind, eine gemeinsame Empfindung und einen gleichen Wunsch. Wir empfanden Neid darüber, daß ein so tüch¬ tiges, wir hätten beinahe gesagt, mit so deutscher Gründlichkeit gearbeitetes Werk zuerst den Briten zugänglich wurde, wir hegten dann den Wunsch, daß wir bald durch eine Uebertragung des Buches in unsere Sprache erfreut würden. Seit Rumohr's Forschungen, ist keine Schrift erschienen, welche unser Wissen von der italienischen Kunst in so hohem Maße bereichert hätte, wie die vorliegende, ja diese überragt an Bedeutung jenes ältere Buch. Sie ist umfassender angelegt und beruht auf genaueren technischen Studien, als sie Rumohr anzustellen vermochte. Damit soll Rumohr's Ruhm nicht geschmälert werden, ebensowenig wie es als Unterschätzung des alten Vasari aufzufassen ist. wenn ihm das Buch Crowe's und Cavalcaselle's als „neuer Vasari" gegenüber gestellt wird. Die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Revision des Aretiners steigert sich in dem Maße, als man seinen Ver¬ diensten als Schriftsteller gerecht wird, ihn nicht als einen bloßen Sammler von Nachrichten betrachtet. Man kann Vasari nur äußerst selten Parteilich¬ keit, niemals wissentliche Entstellung der ihm bekannten Wahrheit vorwerfen. Er spricht von seinen Landsleuten und von seiner Vaterstadt Arezzo mit größerer Wärme, als wir es heutzutage thun würden und stellt Florenz gegen Siena und Pisa ausschließlich in den Vordergrund. Dieses werden wir ihm leichter verzeihen, wenn wir uns erinnern, wie schwer es uns noch jetzt, bei allem Fortschritt der Urkundenforschung und des streng sachlichen historischen Urtheiles wird, den Antheil der verschiedenen toscanischen Städte an der italienischen Kunstentwickelung zu bestimmen. Einem Sohne des Gr-njbotcn II. 1869. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/89>, abgerufen am 04.07.2024.