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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Auch wir haben im letzten Jahre einige Ersahrungen gesammelt. Wir haben
alle Hände voll mit Ordnung unserer eigenen häuslichen Angelegenheiten zu
thun, und wir wünschen in unserem Interesse nicht die Verwickelung unserer
Interessen durch Hinzutritt der Süddeutschen bis zur Confusion gesteigert
zu sehen. Unser verwandtschaftliches Gefühl ist für sie dasselbe, und ebenso
unverändert die Erkenntniß, daß das Zollparlament noch weit mehr als
unser Reichstag an dem Uebelstand krankt, eine halbe Maßregel zu sein, daß
es vorläufig ebenso destructiv auf die Einzelstaaten, als vereinigend und
stärkend für das gemeinsame Leben wirkt, und daß auch darum die politische
Einheit der deutschen Völker für die völlige Gesundheit und ein sicheres Ge¬
deihen der Theile nothwendig ist. Und wenn einmal der Fall eintreten sollte,
daß die Süddeutschen selbst entschlossen den Zutritt zu uns fordern, so wissen
wir wohl, daß wir ihn nicht verweigern dürfen. Unser eigener Wunsch aber muß
jetzt sein, erst mit der übergroßen Unordnung in unserem eigenen Hause fertig zu
werden. Auch wir wollen die Verträge, welche den Süden und Norden ver¬
binden, treulich erfüllen, wir haben in diesem Jahre bereits Gelegenheit ge¬
habt, zu erkennen, daß wir dabei nicht weniger geben, als wir empfangen.
Und deshalb wollen wir mit ihnen recht nüchtern und gewissenhaft die kurze
Parlamentarische Arbeit unserer Zollangelegenheiten besorgen, und im übrigen
ihre demokratische und ultramontane Presse fortfahren lassen, Lügen über uns
zu verbreiten.




Der Streit über das Hudcnthum in der Musik.

Dieses Blatt hat vermieden, die herausfordernde Schrift Wagner's "das
Judenthum in der Musik" und die zahlreichen Entgegnungen seiner gekränk¬
ten Bewunderer und Gegner zu besprechen, obgleich beide Parteien Ver¬
anlassung zu heiterer Kritik gaben. Wir halten aber gegenwärtig einen
ernsten Angriff auf das jüdische Wesen unter uns nach keiner Richtung für
zeitgemäß, nicht in Politik, nicht in Gesellschaft, nicht in Wissenschaft und
Kunst; denn auf allen diesen Gebieten find unsere Mitbürger israelitischen
Glaubens werthe Bundesgenossen nach guten Zielen, auf keinem Gebiete
sind sie vorzugsweise Vertreter einer Richtung, welche wir für gemeinschäd-
lich halten müssen. Es hat Jahre gegeben, in denen die Stimmführer einer
wüsten Demokratie zum großen Theile junge Männer jüdischen Glaubens
waren -- wir wissen wohl warum --, jetzt bilden weit andere Elemente die
äußerste Linke, welche aus den arbeitenden Classen der christlichen Bevölkerung
heraufdringt. In Handel und Verkehr galten lange Zeit die Juden für die
Hauptspeculanten bei gewagten Börsengeschäften und einem großartigen Geld-
Wucher; sie haben auch diesen Ruhm an Christen abtreten müssen, es sind


Auch wir haben im letzten Jahre einige Ersahrungen gesammelt. Wir haben
alle Hände voll mit Ordnung unserer eigenen häuslichen Angelegenheiten zu
thun, und wir wünschen in unserem Interesse nicht die Verwickelung unserer
Interessen durch Hinzutritt der Süddeutschen bis zur Confusion gesteigert
zu sehen. Unser verwandtschaftliches Gefühl ist für sie dasselbe, und ebenso
unverändert die Erkenntniß, daß das Zollparlament noch weit mehr als
unser Reichstag an dem Uebelstand krankt, eine halbe Maßregel zu sein, daß
es vorläufig ebenso destructiv auf die Einzelstaaten, als vereinigend und
stärkend für das gemeinsame Leben wirkt, und daß auch darum die politische
Einheit der deutschen Völker für die völlige Gesundheit und ein sicheres Ge¬
deihen der Theile nothwendig ist. Und wenn einmal der Fall eintreten sollte,
daß die Süddeutschen selbst entschlossen den Zutritt zu uns fordern, so wissen
wir wohl, daß wir ihn nicht verweigern dürfen. Unser eigener Wunsch aber muß
jetzt sein, erst mit der übergroßen Unordnung in unserem eigenen Hause fertig zu
werden. Auch wir wollen die Verträge, welche den Süden und Norden ver¬
binden, treulich erfüllen, wir haben in diesem Jahre bereits Gelegenheit ge¬
habt, zu erkennen, daß wir dabei nicht weniger geben, als wir empfangen.
Und deshalb wollen wir mit ihnen recht nüchtern und gewissenhaft die kurze
Parlamentarische Arbeit unserer Zollangelegenheiten besorgen, und im übrigen
ihre demokratische und ultramontane Presse fortfahren lassen, Lügen über uns
zu verbreiten.




Der Streit über das Hudcnthum in der Musik.

Dieses Blatt hat vermieden, die herausfordernde Schrift Wagner's „das
Judenthum in der Musik" und die zahlreichen Entgegnungen seiner gekränk¬
ten Bewunderer und Gegner zu besprechen, obgleich beide Parteien Ver¬
anlassung zu heiterer Kritik gaben. Wir halten aber gegenwärtig einen
ernsten Angriff auf das jüdische Wesen unter uns nach keiner Richtung für
zeitgemäß, nicht in Politik, nicht in Gesellschaft, nicht in Wissenschaft und
Kunst; denn auf allen diesen Gebieten find unsere Mitbürger israelitischen
Glaubens werthe Bundesgenossen nach guten Zielen, auf keinem Gebiete
sind sie vorzugsweise Vertreter einer Richtung, welche wir für gemeinschäd-
lich halten müssen. Es hat Jahre gegeben, in denen die Stimmführer einer
wüsten Demokratie zum großen Theile junge Männer jüdischen Glaubens
waren — wir wissen wohl warum —, jetzt bilden weit andere Elemente die
äußerste Linke, welche aus den arbeitenden Classen der christlichen Bevölkerung
heraufdringt. In Handel und Verkehr galten lange Zeit die Juden für die
Hauptspeculanten bei gewagten Börsengeschäften und einem großartigen Geld-
Wucher; sie haben auch diesen Ruhm an Christen abtreten müssen, es sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/341>, abgerufen am 04.07.2024.