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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Zu den MnZstscricn des Reichstages.

Das neue Baumlaub entfaltet sich fröhlich in warmer Frühlingsluft
und die großen Blüthentrauben des Flieders senden ihren Wohlgeruch bis
an das Portal, durch welches die Reichstagsabgeordneten ehrbar zu ihrer
Arbeit schreiten. Sonnenlicht und frisches Grün kommt auch der Stimmung
zu gute, in welcher der Reichstag die Gesetze des neuen Staates beräth.
Denn leichter wird dem Deutschen aller Erdenkampf in der Maienzeit; wäh¬
rend dem Dunkel des kalten Winters lastet Ernst und grämliche Sorge
schwerer auf unserem Geschlecht. Im preußischen Landtag wird man auch
deshalb stets bärbeißiger sein, als im Reichstag. Wir gönnen den Boten
des Deutschen Reiches von Herzen die kurzen Ferien, welche ihnen zum Feste
zugetheilt sind, und möchten dankbar für ihre gute Arbeit ihnen allen das An¬
genehmste in Küche und Keller leiten, was nur der heimische Boden erzeugt.

Die Acte der Gesetzgebung, bei denen sie thätig sind, haben diesmal die
segensvolle Bedeutung, daß sie fast auf jedem Gebiete des deutschen Binnen¬
verkehrs die Einheit des neuen Staates zur Wahrheit machen werden. Glückt
ihr Werk auf Grundlage liberaler Compromisse mit den Regierungen, so dürfen
wir mit Recht sagen, daß der neue Bund seine Probe abgelegt hat und daß
unser Staat jetzt eine Befestigung erhält, welche die Stämme untrennbar an
einander bindet, der Nation das Gefühl freier Bewegung und die Bürgschaft
des Gedeihens giebt. Verleihen die guten Geister der Natur uns noch eine
gute Ernte, dann sind wir, im dritten Jahre nach 1866, in Wahrheit eine
geeinigte Nation und aller Widerspruch ist ohnmächtig geworden.

Auch der weitere Ausbau des Bundes ist nicht mehr aufzuhalten; es
wird dabei noch manche Stöße geben, aber der Reichstag hat einen Bundes¬
genossen, der zuletzt unwiderstehlich wirkt, das Deficit. Zur Zeit des preußi¬
schen Militairconflicts waren die Cassen voll, die Regierung brauchte den Land¬
tag nicht, und wo ihr einmal Geld fehlte, schaltete sie als Herr mit Sicherheit
über alten festgefügten Besitz. Jetzt singen die Schwalben dem neuen Haus¬
halt ein anderes Lied, die Kisten sind leer, jetzt hat unser oberster Hausherr
ganz andere Rücksichten zu nehmen auf die öffentliche Meinung, aus die ver¬
bündeten Regierungen, auf die gesteigerten Bedürfnisse. welche nicht wieder
beschränkt werden können. Schon jetzt ist eingetroffen, was man im
Jahre 1866 voraussagen konnte, der Reichstag ohne verantwortliche Minister
hat die Schnüre des Geldbeutels viel sicherer in der Hand als der preußische
Landtag trotz seiner verfassungsmäßigen Rechte, und auch die höchste Staats¬
leitung wird sich, so hoffen wir, diesen Consequenzen eines großen nationalen
Fortschritts nicht verschließen, welcher der Krone Preußen und der deutschen
Nation eine so mächtige Stellung unter den Völkern der Erde bereitet hat.


Grenzboten II. 1869. 35
Zu den MnZstscricn des Reichstages.

Das neue Baumlaub entfaltet sich fröhlich in warmer Frühlingsluft
und die großen Blüthentrauben des Flieders senden ihren Wohlgeruch bis
an das Portal, durch welches die Reichstagsabgeordneten ehrbar zu ihrer
Arbeit schreiten. Sonnenlicht und frisches Grün kommt auch der Stimmung
zu gute, in welcher der Reichstag die Gesetze des neuen Staates beräth.
Denn leichter wird dem Deutschen aller Erdenkampf in der Maienzeit; wäh¬
rend dem Dunkel des kalten Winters lastet Ernst und grämliche Sorge
schwerer auf unserem Geschlecht. Im preußischen Landtag wird man auch
deshalb stets bärbeißiger sein, als im Reichstag. Wir gönnen den Boten
des Deutschen Reiches von Herzen die kurzen Ferien, welche ihnen zum Feste
zugetheilt sind, und möchten dankbar für ihre gute Arbeit ihnen allen das An¬
genehmste in Küche und Keller leiten, was nur der heimische Boden erzeugt.

Die Acte der Gesetzgebung, bei denen sie thätig sind, haben diesmal die
segensvolle Bedeutung, daß sie fast auf jedem Gebiete des deutschen Binnen¬
verkehrs die Einheit des neuen Staates zur Wahrheit machen werden. Glückt
ihr Werk auf Grundlage liberaler Compromisse mit den Regierungen, so dürfen
wir mit Recht sagen, daß der neue Bund seine Probe abgelegt hat und daß
unser Staat jetzt eine Befestigung erhält, welche die Stämme untrennbar an
einander bindet, der Nation das Gefühl freier Bewegung und die Bürgschaft
des Gedeihens giebt. Verleihen die guten Geister der Natur uns noch eine
gute Ernte, dann sind wir, im dritten Jahre nach 1866, in Wahrheit eine
geeinigte Nation und aller Widerspruch ist ohnmächtig geworden.

Auch der weitere Ausbau des Bundes ist nicht mehr aufzuhalten; es
wird dabei noch manche Stöße geben, aber der Reichstag hat einen Bundes¬
genossen, der zuletzt unwiderstehlich wirkt, das Deficit. Zur Zeit des preußi¬
schen Militairconflicts waren die Cassen voll, die Regierung brauchte den Land¬
tag nicht, und wo ihr einmal Geld fehlte, schaltete sie als Herr mit Sicherheit
über alten festgefügten Besitz. Jetzt singen die Schwalben dem neuen Haus¬
halt ein anderes Lied, die Kisten sind leer, jetzt hat unser oberster Hausherr
ganz andere Rücksichten zu nehmen auf die öffentliche Meinung, aus die ver¬
bündeten Regierungen, auf die gesteigerten Bedürfnisse. welche nicht wieder
beschränkt werden können. Schon jetzt ist eingetroffen, was man im
Jahre 1866 voraussagen konnte, der Reichstag ohne verantwortliche Minister
hat die Schnüre des Geldbeutels viel sicherer in der Hand als der preußische
Landtag trotz seiner verfassungsmäßigen Rechte, und auch die höchste Staats¬
leitung wird sich, so hoffen wir, diesen Consequenzen eines großen nationalen
Fortschritts nicht verschließen, welcher der Krone Preußen und der deutschen
Nation eine so mächtige Stellung unter den Völkern der Erde bereitet hat.


Grenzboten II. 1869. 35
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[0281] Zu den MnZstscricn des Reichstages. Das neue Baumlaub entfaltet sich fröhlich in warmer Frühlingsluft und die großen Blüthentrauben des Flieders senden ihren Wohlgeruch bis an das Portal, durch welches die Reichstagsabgeordneten ehrbar zu ihrer Arbeit schreiten. Sonnenlicht und frisches Grün kommt auch der Stimmung zu gute, in welcher der Reichstag die Gesetze des neuen Staates beräth. Denn leichter wird dem Deutschen aller Erdenkampf in der Maienzeit; wäh¬ rend dem Dunkel des kalten Winters lastet Ernst und grämliche Sorge schwerer auf unserem Geschlecht. Im preußischen Landtag wird man auch deshalb stets bärbeißiger sein, als im Reichstag. Wir gönnen den Boten des Deutschen Reiches von Herzen die kurzen Ferien, welche ihnen zum Feste zugetheilt sind, und möchten dankbar für ihre gute Arbeit ihnen allen das An¬ genehmste in Küche und Keller leiten, was nur der heimische Boden erzeugt. Die Acte der Gesetzgebung, bei denen sie thätig sind, haben diesmal die segensvolle Bedeutung, daß sie fast auf jedem Gebiete des deutschen Binnen¬ verkehrs die Einheit des neuen Staates zur Wahrheit machen werden. Glückt ihr Werk auf Grundlage liberaler Compromisse mit den Regierungen, so dürfen wir mit Recht sagen, daß der neue Bund seine Probe abgelegt hat und daß unser Staat jetzt eine Befestigung erhält, welche die Stämme untrennbar an einander bindet, der Nation das Gefühl freier Bewegung und die Bürgschaft des Gedeihens giebt. Verleihen die guten Geister der Natur uns noch eine gute Ernte, dann sind wir, im dritten Jahre nach 1866, in Wahrheit eine geeinigte Nation und aller Widerspruch ist ohnmächtig geworden. Auch der weitere Ausbau des Bundes ist nicht mehr aufzuhalten; es wird dabei noch manche Stöße geben, aber der Reichstag hat einen Bundes¬ genossen, der zuletzt unwiderstehlich wirkt, das Deficit. Zur Zeit des preußi¬ schen Militairconflicts waren die Cassen voll, die Regierung brauchte den Land¬ tag nicht, und wo ihr einmal Geld fehlte, schaltete sie als Herr mit Sicherheit über alten festgefügten Besitz. Jetzt singen die Schwalben dem neuen Haus¬ halt ein anderes Lied, die Kisten sind leer, jetzt hat unser oberster Hausherr ganz andere Rücksichten zu nehmen auf die öffentliche Meinung, aus die ver¬ bündeten Regierungen, auf die gesteigerten Bedürfnisse. welche nicht wieder beschränkt werden können. Schon jetzt ist eingetroffen, was man im Jahre 1866 voraussagen konnte, der Reichstag ohne verantwortliche Minister hat die Schnüre des Geldbeutels viel sicherer in der Hand als der preußische Landtag trotz seiner verfassungsmäßigen Rechte, und auch die höchste Staats¬ leitung wird sich, so hoffen wir, diesen Consequenzen eines großen nationalen Fortschritts nicht verschließen, welcher der Krone Preußen und der deutschen Nation eine so mächtige Stellung unter den Völkern der Erde bereitet hat. Grenzboten II. 1869. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/281>, abgerufen am 04.07.2024.