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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Zwei Tage darauf, am 4. Juni, war Ministerrath. Der König war
unnachgiebig. Er sagte zu den versammelten Ministern (Mllamarina, la
Margherita, Apel, Revel, Desambrois): "Ich stelle die Frage der nationalen
Würde und Ehre nicht allein über jeden materiellen Streit oder Nachtheil,
sondern auch über die Opfer, welche ich vielleicht gezwungen sein werde von
meinen Unterthanen zu verlangen; denn ich bin sicher, daß sie sich mit
Freuden lieber allen Prüfungen unterziehen, als daß durch Nachgiebigkeit die
Ehre und Unabhängigkeit von Thron und Nation beeinträchtigt wird."

Karl Albert war zwar noch keineswegs am Ende jener Periode zwei¬
deutigen und widerspruchsvollen Schwankens angelangt. Aber die Schale
neigte sich jetzt auf die andere Seite. Die nationale Bewegung, der in
Kurzem die Papstwahl Mastai Feretti's einen neuen Anstoß geben sollte,
veränderte die Lage dermaßen, daß sie nicht mehr mit den Recepten der
alten Staatskunst zu behandeln war. Schon zeigten sich an anderen italie¬
nischen Höfen Neigungen, sich der Bewegung zu bemächtigen. An Piemont
trat die Frage heran, ob es im Kampf gegen die Revolution oder im Bund
mit der Revolution und diese zügelnd das eigene Heil versuchen solle. Der
Einsatz war beidemal der höchste, aber im einen Fall war nichts, im anderen
Alles zu gewinnen. Das eigene Interesse des piemontestschen Staats ent¬
schied dafür, die nationale Bewegung in die Hand zu nehmen.


^. I..


Aus der Provinz Hannover.

Mehr als zwei Jahre sind es nun, seit Hannover den stolzen Titel
eines selbständigen Königreichs mit dem bescheideneren einer preußischen Pro¬
vinz vertauscht hat. Zwei Male schon hat in denselben Räumen, in welchen
früher die getreuen Stände des Königreichs Hannover sich zu versammeln
pflegten, der neue Provinziallandtag getagt. Die Organisation der mittleren
und unteren Provinzialverwaltung ist der Hauptsache nach zum Abschluß ge¬
macht und die zur Ueberführung in die neuen Zustände dienende Zwi¬
schenzeit kann als beendet angesehen werden. Fest gefügt und sicher unter
Dach gebracht steht der neue Bau da. Freilich, noch immer bläst die wel-
stsche Agitation ihre Drohungen in die Welt, vor denen Niemand sich fürch¬
tet, und wirft mit Prophezeiungen um sich, an die Niemand glaubt. Je
Mehr die neuen Zustände sich consolidiren, um so ungefügiger geberden sich


Grenzboten II. 1869. 30

Zwei Tage darauf, am 4. Juni, war Ministerrath. Der König war
unnachgiebig. Er sagte zu den versammelten Ministern (Mllamarina, la
Margherita, Apel, Revel, Desambrois): „Ich stelle die Frage der nationalen
Würde und Ehre nicht allein über jeden materiellen Streit oder Nachtheil,
sondern auch über die Opfer, welche ich vielleicht gezwungen sein werde von
meinen Unterthanen zu verlangen; denn ich bin sicher, daß sie sich mit
Freuden lieber allen Prüfungen unterziehen, als daß durch Nachgiebigkeit die
Ehre und Unabhängigkeit von Thron und Nation beeinträchtigt wird."

Karl Albert war zwar noch keineswegs am Ende jener Periode zwei¬
deutigen und widerspruchsvollen Schwankens angelangt. Aber die Schale
neigte sich jetzt auf die andere Seite. Die nationale Bewegung, der in
Kurzem die Papstwahl Mastai Feretti's einen neuen Anstoß geben sollte,
veränderte die Lage dermaßen, daß sie nicht mehr mit den Recepten der
alten Staatskunst zu behandeln war. Schon zeigten sich an anderen italie¬
nischen Höfen Neigungen, sich der Bewegung zu bemächtigen. An Piemont
trat die Frage heran, ob es im Kampf gegen die Revolution oder im Bund
mit der Revolution und diese zügelnd das eigene Heil versuchen solle. Der
Einsatz war beidemal der höchste, aber im einen Fall war nichts, im anderen
Alles zu gewinnen. Das eigene Interesse des piemontestschen Staats ent¬
schied dafür, die nationale Bewegung in die Hand zu nehmen.


^. I..


Aus der Provinz Hannover.

Mehr als zwei Jahre sind es nun, seit Hannover den stolzen Titel
eines selbständigen Königreichs mit dem bescheideneren einer preußischen Pro¬
vinz vertauscht hat. Zwei Male schon hat in denselben Räumen, in welchen
früher die getreuen Stände des Königreichs Hannover sich zu versammeln
pflegten, der neue Provinziallandtag getagt. Die Organisation der mittleren
und unteren Provinzialverwaltung ist der Hauptsache nach zum Abschluß ge¬
macht und die zur Ueberführung in die neuen Zustände dienende Zwi¬
schenzeit kann als beendet angesehen werden. Fest gefügt und sicher unter
Dach gebracht steht der neue Bau da. Freilich, noch immer bläst die wel-
stsche Agitation ihre Drohungen in die Welt, vor denen Niemand sich fürch¬
tet, und wirft mit Prophezeiungen um sich, an die Niemand glaubt. Je
Mehr die neuen Zustände sich consolidiren, um so ungefügiger geberden sich


Grenzboten II. 1869. 30
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[0241] Zwei Tage darauf, am 4. Juni, war Ministerrath. Der König war unnachgiebig. Er sagte zu den versammelten Ministern (Mllamarina, la Margherita, Apel, Revel, Desambrois): „Ich stelle die Frage der nationalen Würde und Ehre nicht allein über jeden materiellen Streit oder Nachtheil, sondern auch über die Opfer, welche ich vielleicht gezwungen sein werde von meinen Unterthanen zu verlangen; denn ich bin sicher, daß sie sich mit Freuden lieber allen Prüfungen unterziehen, als daß durch Nachgiebigkeit die Ehre und Unabhängigkeit von Thron und Nation beeinträchtigt wird." Karl Albert war zwar noch keineswegs am Ende jener Periode zwei¬ deutigen und widerspruchsvollen Schwankens angelangt. Aber die Schale neigte sich jetzt auf die andere Seite. Die nationale Bewegung, der in Kurzem die Papstwahl Mastai Feretti's einen neuen Anstoß geben sollte, veränderte die Lage dermaßen, daß sie nicht mehr mit den Recepten der alten Staatskunst zu behandeln war. Schon zeigten sich an anderen italie¬ nischen Höfen Neigungen, sich der Bewegung zu bemächtigen. An Piemont trat die Frage heran, ob es im Kampf gegen die Revolution oder im Bund mit der Revolution und diese zügelnd das eigene Heil versuchen solle. Der Einsatz war beidemal der höchste, aber im einen Fall war nichts, im anderen Alles zu gewinnen. Das eigene Interesse des piemontestschen Staats ent¬ schied dafür, die nationale Bewegung in die Hand zu nehmen. ^. I.. Aus der Provinz Hannover. Mehr als zwei Jahre sind es nun, seit Hannover den stolzen Titel eines selbständigen Königreichs mit dem bescheideneren einer preußischen Pro¬ vinz vertauscht hat. Zwei Male schon hat in denselben Räumen, in welchen früher die getreuen Stände des Königreichs Hannover sich zu versammeln pflegten, der neue Provinziallandtag getagt. Die Organisation der mittleren und unteren Provinzialverwaltung ist der Hauptsache nach zum Abschluß ge¬ macht und die zur Ueberführung in die neuen Zustände dienende Zwi¬ schenzeit kann als beendet angesehen werden. Fest gefügt und sicher unter Dach gebracht steht der neue Bau da. Freilich, noch immer bläst die wel- stsche Agitation ihre Drohungen in die Welt, vor denen Niemand sich fürch¬ tet, und wirft mit Prophezeiungen um sich, an die Niemand glaubt. Je Mehr die neuen Zustände sich consolidiren, um so ungefügiger geberden sich Grenzboten II. 1869. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/241>, abgerufen am 04.07.2024.