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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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zum Jahre 1857 habe die confessionelle Schule bestanden, oder die öffentliche
Sittlichkeit habe sich in der letzten Zeit nach dem Zeugniß der Criminal-
statistik nicht gebessert. Die letztere beweist eben das Gegentheil dieser Be¬
hauptung, und das Schulgesetz vom Jahre 1806 scheint Herrn Schwarz un¬
bekannt zu sein, oder er ignorirt dasselbe einfach, wie so vieles Andere, was
ihm unbequem ist. Eine "große protestantische Partei" von der gesprochen
wird, ist hier nicht bekannt, wie überhaupt die Schwarz'sche Darstellung der
Kammerverhandlungen über das Schulgesetz ganz unrichtig und verwirrt ist.

Auf eine Widerlegung aller anderen notorischen Unwahrheiten dieser
Schrift kann ich nicht eingehen, Ausdrücke, wie "französisch-jüdische" oder
"liberal.jüdische Partei", "Juden und Judengenossen", "des ruhigen und klaren
Denkens entwöhnte Afterwissenschaft", "mit gespenstischer Feinheit zusammen¬
gewobener allermodernsten Götzen moderner Welttrunkenheit" u. s. w. machen,
zumal im Munde eines Predigers, jede vernünftige Discussion unmöglich.
Herr Schwarz zeigt in seiner Schrift sehr deutlich, zu welcher Verzerrung
der Wahrheit und Sitte sein Ideal der Sectenschulen anleiten würde.




Die Fortschritte der skandinavischen Hdee.

Die skandinavische Idee ist gegenwärtig auf stilles Fortschreiten an¬
gewiesen, wie die Idee der italienischen Einheit vor dem Krimkriege und
die Idee der deutschen Einheit vor dem letzten Schleswig'schen Kriege. Einen
Gegenstand für die Thätigkeit der Cabinette macht sie noch nicht aus. Ihre
Verwirklichung bereitet sich in den Gemüthern vor; für Diplomaten und prak¬
tische Politiker ist sie bis jetzt lediglich Zukunft, eine vorläufig nicht in Be¬
tracht zu ziehende bloße Möglichkeit.

Wenn der Geschichtschreiber später das Werden der Nationaleinheit in
den Ländern der europäischen Mitte schildert, so werden die Eisenbahnen
ihren vollgemessenen Antheil an der Hervorbringung dieses politischen Pro¬
ducts erhalten, zumal in Deutschland. Die Eisenbahnen haben erst die natio¬
nalen Congresse möglich gemacht -- die periodischen Begegnungen und Samm¬
lungen derjenigen Stände, in denen das Bedürfniß, das Pathos und die
Initiative zu jener großen krönenden Reform lag. Auf den bürgerlichen
Congressen aber wurde die national-politische Idee zum Gemeingut der ton¬
angebenden gebildeten Kreise, überwand sie die Vorurtheile, welche ihr in


zum Jahre 1857 habe die confessionelle Schule bestanden, oder die öffentliche
Sittlichkeit habe sich in der letzten Zeit nach dem Zeugniß der Criminal-
statistik nicht gebessert. Die letztere beweist eben das Gegentheil dieser Be¬
hauptung, und das Schulgesetz vom Jahre 1806 scheint Herrn Schwarz un¬
bekannt zu sein, oder er ignorirt dasselbe einfach, wie so vieles Andere, was
ihm unbequem ist. Eine „große protestantische Partei" von der gesprochen
wird, ist hier nicht bekannt, wie überhaupt die Schwarz'sche Darstellung der
Kammerverhandlungen über das Schulgesetz ganz unrichtig und verwirrt ist.

Auf eine Widerlegung aller anderen notorischen Unwahrheiten dieser
Schrift kann ich nicht eingehen, Ausdrücke, wie „französisch-jüdische" oder
„liberal.jüdische Partei", „Juden und Judengenossen", „des ruhigen und klaren
Denkens entwöhnte Afterwissenschaft", „mit gespenstischer Feinheit zusammen¬
gewobener allermodernsten Götzen moderner Welttrunkenheit" u. s. w. machen,
zumal im Munde eines Predigers, jede vernünftige Discussion unmöglich.
Herr Schwarz zeigt in seiner Schrift sehr deutlich, zu welcher Verzerrung
der Wahrheit und Sitte sein Ideal der Sectenschulen anleiten würde.




Die Fortschritte der skandinavischen Hdee.

Die skandinavische Idee ist gegenwärtig auf stilles Fortschreiten an¬
gewiesen, wie die Idee der italienischen Einheit vor dem Krimkriege und
die Idee der deutschen Einheit vor dem letzten Schleswig'schen Kriege. Einen
Gegenstand für die Thätigkeit der Cabinette macht sie noch nicht aus. Ihre
Verwirklichung bereitet sich in den Gemüthern vor; für Diplomaten und prak¬
tische Politiker ist sie bis jetzt lediglich Zukunft, eine vorläufig nicht in Be¬
tracht zu ziehende bloße Möglichkeit.

Wenn der Geschichtschreiber später das Werden der Nationaleinheit in
den Ländern der europäischen Mitte schildert, so werden die Eisenbahnen
ihren vollgemessenen Antheil an der Hervorbringung dieses politischen Pro¬
ducts erhalten, zumal in Deutschland. Die Eisenbahnen haben erst die natio¬
nalen Congresse möglich gemacht — die periodischen Begegnungen und Samm¬
lungen derjenigen Stände, in denen das Bedürfniß, das Pathos und die
Initiative zu jener großen krönenden Reform lag. Auf den bürgerlichen
Congressen aber wurde die national-politische Idee zum Gemeingut der ton¬
angebenden gebildeten Kreise, überwand sie die Vorurtheile, welche ihr in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/186>, abgerufen am 04.07.2024.