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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Das Äundes-Gberhandelsgericht.

"Wir wollen uns nicht auf das politische Gebiet begeben, nicht in der
Zukunft forschen, was da kommen wird, sondern einzig fragen: welcher Weg
ist unter den gegebenen Verhältnissen möglich, um die nothwendige Rechts¬
einheit, die endlich mit Mühe errungen zu sein scheint, zu wahren und eine
gemeinsame Fortbildung zu sichern? . . . Gegenwärtig ist nur ein Einheits¬
organ möglich, das ist ein deutscher Gerichtshof."

Mit solchen Worten empfahl vor nunmehr fast acht Jahren, im
Mai 1861, Dr. Goldschmidt in Heidelberg dem eben begründeten deut¬
schen Handelstage, dessen Mitglieder andächtig dem gediegenen Vortrage
des berühmten Handelsrechtslehrers lauschten, die Resolutionen des Aus¬
schusses über Handelsgesetzbuch und Handelsgerichte, von denen die eine
also lautete: "Es möge durch Vereinbarung der deutschen Regierungen und
Stände baldmöglichst ein gemeinsamer oberster deutscher Gerichtshof zur Er¬
haltung der Einheit und gemeinsamen Fortbildung des deutschen Handels¬
rechts ins Leben treten." Badenser und Sachsen, Preußen und Württem¬
berger stimmten freudig dem Antrage zu, kein Widerspruch erhob sich. Und
es waren nicht Schwärmer und Idealisten, die also stimmten, sondern nüch¬
terne, praktische Kaufleute unter Vater Hansemann's Vorsitz. Auch als drei
Jahre später Dr. Braun-Wiesbaden vor dem volkswirthschaftlichen Congresse
in Hannover einen sast gleichlautenden Commissionsantrag begründete, durste
er noch getrost behaupten, daß dahinter unmöglich jemand Mediatisirungs-
gelüste oder sonst politische Zwecke wittern könne; "denn Richter", sagte er.
"sind eigentlich nur Rechtstechniker, die das Recht finden sollen."

Es ist uns im Augenblicke nicht erinnerlich, ob nicht selbst Herr von Beust
in einer der bezaubernden Reden, mit denen er als sächsischer Premier die Ohren
Europas auf sich zu richten und die Herzen politischer Kinder zu bethören liebte,
die Idee eines obersten Gerichtshofs für den Bund hat schillern lassen; zu
national wäre -sie ihm jedenfalls dazu nicht erschienen. Ob dann freilich,
wenn man Ernst gemacht hätte, Einigkeit zu erzielen gewesen wäre unter
den dreißig und etlichen Regierungen, deren einige es für ein zu hartes Opfer


Grenzboten II. 1869. 21
Das Äundes-Gberhandelsgericht.

„Wir wollen uns nicht auf das politische Gebiet begeben, nicht in der
Zukunft forschen, was da kommen wird, sondern einzig fragen: welcher Weg
ist unter den gegebenen Verhältnissen möglich, um die nothwendige Rechts¬
einheit, die endlich mit Mühe errungen zu sein scheint, zu wahren und eine
gemeinsame Fortbildung zu sichern? . . . Gegenwärtig ist nur ein Einheits¬
organ möglich, das ist ein deutscher Gerichtshof."

Mit solchen Worten empfahl vor nunmehr fast acht Jahren, im
Mai 1861, Dr. Goldschmidt in Heidelberg dem eben begründeten deut¬
schen Handelstage, dessen Mitglieder andächtig dem gediegenen Vortrage
des berühmten Handelsrechtslehrers lauschten, die Resolutionen des Aus¬
schusses über Handelsgesetzbuch und Handelsgerichte, von denen die eine
also lautete: „Es möge durch Vereinbarung der deutschen Regierungen und
Stände baldmöglichst ein gemeinsamer oberster deutscher Gerichtshof zur Er¬
haltung der Einheit und gemeinsamen Fortbildung des deutschen Handels¬
rechts ins Leben treten." Badenser und Sachsen, Preußen und Württem¬
berger stimmten freudig dem Antrage zu, kein Widerspruch erhob sich. Und
es waren nicht Schwärmer und Idealisten, die also stimmten, sondern nüch¬
terne, praktische Kaufleute unter Vater Hansemann's Vorsitz. Auch als drei
Jahre später Dr. Braun-Wiesbaden vor dem volkswirthschaftlichen Congresse
in Hannover einen sast gleichlautenden Commissionsantrag begründete, durste
er noch getrost behaupten, daß dahinter unmöglich jemand Mediatisirungs-
gelüste oder sonst politische Zwecke wittern könne; „denn Richter", sagte er.
„sind eigentlich nur Rechtstechniker, die das Recht finden sollen."

Es ist uns im Augenblicke nicht erinnerlich, ob nicht selbst Herr von Beust
in einer der bezaubernden Reden, mit denen er als sächsischer Premier die Ohren
Europas auf sich zu richten und die Herzen politischer Kinder zu bethören liebte,
die Idee eines obersten Gerichtshofs für den Bund hat schillern lassen; zu
national wäre -sie ihm jedenfalls dazu nicht erschienen. Ob dann freilich,
wenn man Ernst gemacht hätte, Einigkeit zu erzielen gewesen wäre unter
den dreißig und etlichen Regierungen, deren einige es für ein zu hartes Opfer


Grenzboten II. 1869. 21
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[0169] Das Äundes-Gberhandelsgericht. „Wir wollen uns nicht auf das politische Gebiet begeben, nicht in der Zukunft forschen, was da kommen wird, sondern einzig fragen: welcher Weg ist unter den gegebenen Verhältnissen möglich, um die nothwendige Rechts¬ einheit, die endlich mit Mühe errungen zu sein scheint, zu wahren und eine gemeinsame Fortbildung zu sichern? . . . Gegenwärtig ist nur ein Einheits¬ organ möglich, das ist ein deutscher Gerichtshof." Mit solchen Worten empfahl vor nunmehr fast acht Jahren, im Mai 1861, Dr. Goldschmidt in Heidelberg dem eben begründeten deut¬ schen Handelstage, dessen Mitglieder andächtig dem gediegenen Vortrage des berühmten Handelsrechtslehrers lauschten, die Resolutionen des Aus¬ schusses über Handelsgesetzbuch und Handelsgerichte, von denen die eine also lautete: „Es möge durch Vereinbarung der deutschen Regierungen und Stände baldmöglichst ein gemeinsamer oberster deutscher Gerichtshof zur Er¬ haltung der Einheit und gemeinsamen Fortbildung des deutschen Handels¬ rechts ins Leben treten." Badenser und Sachsen, Preußen und Württem¬ berger stimmten freudig dem Antrage zu, kein Widerspruch erhob sich. Und es waren nicht Schwärmer und Idealisten, die also stimmten, sondern nüch¬ terne, praktische Kaufleute unter Vater Hansemann's Vorsitz. Auch als drei Jahre später Dr. Braun-Wiesbaden vor dem volkswirthschaftlichen Congresse in Hannover einen sast gleichlautenden Commissionsantrag begründete, durste er noch getrost behaupten, daß dahinter unmöglich jemand Mediatisirungs- gelüste oder sonst politische Zwecke wittern könne; „denn Richter", sagte er. „sind eigentlich nur Rechtstechniker, die das Recht finden sollen." Es ist uns im Augenblicke nicht erinnerlich, ob nicht selbst Herr von Beust in einer der bezaubernden Reden, mit denen er als sächsischer Premier die Ohren Europas auf sich zu richten und die Herzen politischer Kinder zu bethören liebte, die Idee eines obersten Gerichtshofs für den Bund hat schillern lassen; zu national wäre -sie ihm jedenfalls dazu nicht erschienen. Ob dann freilich, wenn man Ernst gemacht hätte, Einigkeit zu erzielen gewesen wäre unter den dreißig und etlichen Regierungen, deren einige es für ein zu hartes Opfer Grenzboten II. 1869. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/169>, abgerufen am 04.07.2024.