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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Die Katastrophe in Belgrad.

D X as halbe Jahrhundert, welches zwischen der Begründung der ad¬
ministrativen Unabhängigkeit des serbischen Staats und der Ermordung des
Fürsten Michael Obrenowitsch liegt, ist an Revolutionen, Verschwörungen,
Meuchelmörder und gewaltsamen Erschütterungen aller Art reich gewesen.
Der erste Begründer der serbischen Unabhängigkeit, Kara-Georg, fiel 1817
unter den Streichen eines von seinem Nebenbuhler Milosch Obrenowitsch
gedungenen Mörders, 1839 wurde Fürst Milosch, 1842 dessen zweiter Sohn
von der Volksversammlung abgesetzt, 18S8 ereilte dasselbe Loos den an die
Stelle der Dynastie Obrenowitsch getretenen Sohn Georgs, den Fürsten
Alexander Karageorgewitsch, in der vorigen Woche wurde Fürst Michael,
(derselbe, der von 1840--1842 regiert hatte und dann zu Gunsten Alexanders
abgesetzt worden war) ermordet.

In merkwürdigem Gegensatz zu dem Reichthum an gewaltsamen äußeren
Ereignissen, der die neuere serbische Geschichte charakterisirt, steht der Um¬
stand, daß die inneren Gegensätze, welche diesen Kämpfen zu Grunde lagen,
stets dieselben geblieben sind und stets zu der gleichen Rollenvertheilung ge¬
führt haben. Während der letzten Jahrzehnte hat sich dasselbe Stuck zu drei
verschiedenen Malen wiederholt; die vertriebene Dynastie trat mit der Natio¬
nen Partei, die sie bis dahin bekämpft hatte, in Verbindung, huldigte den ehr¬
geizigen Plänen derselben, bewirkte den Sturz ihrer Rivalin, um sofort nach
Uebernahme der Regierung die Politik zu verleugnen, der sie ihre Wieder¬
erhebung verdankte. Selbst der Träger jener konservativen Staatskunst, der
die Karageorgewitsch wie die Obrenowitsch huldigten, sobald sie im Regi¬
ment saßen, ist während der letzten dreißig Jahre derselbe geblieben, jener
Jlja Garaschanin, der gegenwärtig unter den Bewerbern um die Hospoda-
renwürde mitgenannt wird.

Schon in den ersten Jahren nach Losreißung Serbiens von dem engeren
türkischen Staatsperbande bildete sich der Parteigegensatz, der seitdem die
Ruhe dieses Fürstenthums zerreißt. Eine große Anzahl namentlich der ge¬
bildeten Kampfgenossen von 181S hielt die Bedingungen für ungenügend,
unter denen die Psorte die Souzerainetät der Belgrader Regierung aner¬
kannt hatte. Die Männer der großserbischen nationalen Partei verlangten
die volle Souverainetät ihres Staates, Vereinigung aller von Serben be-


Grenzbotcn II. 1868. 56
Die Katastrophe in Belgrad.

D X as halbe Jahrhundert, welches zwischen der Begründung der ad¬
ministrativen Unabhängigkeit des serbischen Staats und der Ermordung des
Fürsten Michael Obrenowitsch liegt, ist an Revolutionen, Verschwörungen,
Meuchelmörder und gewaltsamen Erschütterungen aller Art reich gewesen.
Der erste Begründer der serbischen Unabhängigkeit, Kara-Georg, fiel 1817
unter den Streichen eines von seinem Nebenbuhler Milosch Obrenowitsch
gedungenen Mörders, 1839 wurde Fürst Milosch, 1842 dessen zweiter Sohn
von der Volksversammlung abgesetzt, 18S8 ereilte dasselbe Loos den an die
Stelle der Dynastie Obrenowitsch getretenen Sohn Georgs, den Fürsten
Alexander Karageorgewitsch, in der vorigen Woche wurde Fürst Michael,
(derselbe, der von 1840—1842 regiert hatte und dann zu Gunsten Alexanders
abgesetzt worden war) ermordet.

In merkwürdigem Gegensatz zu dem Reichthum an gewaltsamen äußeren
Ereignissen, der die neuere serbische Geschichte charakterisirt, steht der Um¬
stand, daß die inneren Gegensätze, welche diesen Kämpfen zu Grunde lagen,
stets dieselben geblieben sind und stets zu der gleichen Rollenvertheilung ge¬
führt haben. Während der letzten Jahrzehnte hat sich dasselbe Stuck zu drei
verschiedenen Malen wiederholt; die vertriebene Dynastie trat mit der Natio¬
nen Partei, die sie bis dahin bekämpft hatte, in Verbindung, huldigte den ehr¬
geizigen Plänen derselben, bewirkte den Sturz ihrer Rivalin, um sofort nach
Uebernahme der Regierung die Politik zu verleugnen, der sie ihre Wieder¬
erhebung verdankte. Selbst der Träger jener konservativen Staatskunst, der
die Karageorgewitsch wie die Obrenowitsch huldigten, sobald sie im Regi¬
ment saßen, ist während der letzten dreißig Jahre derselbe geblieben, jener
Jlja Garaschanin, der gegenwärtig unter den Bewerbern um die Hospoda-
renwürde mitgenannt wird.

Schon in den ersten Jahren nach Losreißung Serbiens von dem engeren
türkischen Staatsperbande bildete sich der Parteigegensatz, der seitdem die
Ruhe dieses Fürstenthums zerreißt. Eine große Anzahl namentlich der ge¬
bildeten Kampfgenossen von 181S hielt die Bedingungen für ungenügend,
unter denen die Psorte die Souzerainetät der Belgrader Regierung aner¬
kannt hatte. Die Männer der großserbischen nationalen Partei verlangten
die volle Souverainetät ihres Staates, Vereinigung aller von Serben be-


Grenzbotcn II. 1868. 56
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[0445] Die Katastrophe in Belgrad. D X as halbe Jahrhundert, welches zwischen der Begründung der ad¬ ministrativen Unabhängigkeit des serbischen Staats und der Ermordung des Fürsten Michael Obrenowitsch liegt, ist an Revolutionen, Verschwörungen, Meuchelmörder und gewaltsamen Erschütterungen aller Art reich gewesen. Der erste Begründer der serbischen Unabhängigkeit, Kara-Georg, fiel 1817 unter den Streichen eines von seinem Nebenbuhler Milosch Obrenowitsch gedungenen Mörders, 1839 wurde Fürst Milosch, 1842 dessen zweiter Sohn von der Volksversammlung abgesetzt, 18S8 ereilte dasselbe Loos den an die Stelle der Dynastie Obrenowitsch getretenen Sohn Georgs, den Fürsten Alexander Karageorgewitsch, in der vorigen Woche wurde Fürst Michael, (derselbe, der von 1840—1842 regiert hatte und dann zu Gunsten Alexanders abgesetzt worden war) ermordet. In merkwürdigem Gegensatz zu dem Reichthum an gewaltsamen äußeren Ereignissen, der die neuere serbische Geschichte charakterisirt, steht der Um¬ stand, daß die inneren Gegensätze, welche diesen Kämpfen zu Grunde lagen, stets dieselben geblieben sind und stets zu der gleichen Rollenvertheilung ge¬ führt haben. Während der letzten Jahrzehnte hat sich dasselbe Stuck zu drei verschiedenen Malen wiederholt; die vertriebene Dynastie trat mit der Natio¬ nen Partei, die sie bis dahin bekämpft hatte, in Verbindung, huldigte den ehr¬ geizigen Plänen derselben, bewirkte den Sturz ihrer Rivalin, um sofort nach Uebernahme der Regierung die Politik zu verleugnen, der sie ihre Wieder¬ erhebung verdankte. Selbst der Träger jener konservativen Staatskunst, der die Karageorgewitsch wie die Obrenowitsch huldigten, sobald sie im Regi¬ ment saßen, ist während der letzten dreißig Jahre derselbe geblieben, jener Jlja Garaschanin, der gegenwärtig unter den Bewerbern um die Hospoda- renwürde mitgenannt wird. Schon in den ersten Jahren nach Losreißung Serbiens von dem engeren türkischen Staatsperbande bildete sich der Parteigegensatz, der seitdem die Ruhe dieses Fürstenthums zerreißt. Eine große Anzahl namentlich der ge¬ bildeten Kampfgenossen von 181S hielt die Bedingungen für ungenügend, unter denen die Psorte die Souzerainetät der Belgrader Regierung aner¬ kannt hatte. Die Männer der großserbischen nationalen Partei verlangten die volle Souverainetät ihres Staates, Vereinigung aller von Serben be- Grenzbotcn II. 1868. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/445>, abgerufen am 15.01.2025.