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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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zur Wahrheit werden zu lassen, jene Macht, von der ein großer Dichter
Preise:




Polnischer Monatsbericht.

x

Schopenhauer wirft dem Optimismus irgendwo in seinen Schriften vor,
eine nicht nur irrthümliche, sondern zugleich "ruchlose" Weltanschauung zu bil¬
den. Wenn dieses barocke Wort überhaupt auf einem Lebensgebiete Recht hat,
so sicherlich auf dem der Politik. Zu Betrachtungen über den demoralisirenden
Einfluß einer optimistischen Auffassung der deutschen Dinge hat gerade der
letzte Monat reichliche Veranlassung gegeben und uns daran erinnert, wie
schnell es mit den hoch gespannten nationalen Erwartungen gerade der Besten
unseres Volks rückwärts gegangen, wie selbst der Maßstab, der an die Ent¬
wickelung der deutschen Einheitsbestrebungen gelegt wird, unversehens be¬
scheidner und immer bescheidner geworden ist.

Nach den großen Ereignissen von 1866 wurde in der Presse und auf
der Tribüne kein Thema so häufig variirt, wie das von der Unausbleiblich¬
keit einer baldigen Verständigung mit den Staaten jenseit des Main. "Sie
kommen von selbst", "das Wasser des Mainstroms fließt durch das Gitter,
welches über diesen Strom geschlagen worden ist" "die Einheit Deutschlands
ist thatsächlich bereits errungen" -- und wie die übrigen Schlagworte wohl¬
meinender Optimisten damals lauteten. Jahr und Tag vergingen, sie kamen
dennoch nicht und der Main blieb der deutsche Rubicon. Dann wurden
nach kurzem, aber erbittertem Kampf die Zollverträge geschlossen. Hatte sich
der Anschluß "von selbst" nicht gemacht, so klammerten sich die Hoffnungen
der Wohlmeinenden jetzt an den Satz, "daß der wirthschaftlichen Einigung
die politische von selbst folgen müsse". Wir erinnerten schon damals daran,
daß wirthschaftliche und politische Einigung zwei grundverschiedene Dinge
seien und verwiesen auf das Beispiel der nordamerikanischen Union, in welcher
bei dem Mangel an gleichzeitiger Uebereinstimmung auf beiden Gebieten der
Wirthschaftliche Gegensatz die politische Einheit zwischen Süden und Norden


zur Wahrheit werden zu lassen, jene Macht, von der ein großer Dichter
Preise:




Polnischer Monatsbericht.

x

Schopenhauer wirft dem Optimismus irgendwo in seinen Schriften vor,
eine nicht nur irrthümliche, sondern zugleich „ruchlose" Weltanschauung zu bil¬
den. Wenn dieses barocke Wort überhaupt auf einem Lebensgebiete Recht hat,
so sicherlich auf dem der Politik. Zu Betrachtungen über den demoralisirenden
Einfluß einer optimistischen Auffassung der deutschen Dinge hat gerade der
letzte Monat reichliche Veranlassung gegeben und uns daran erinnert, wie
schnell es mit den hoch gespannten nationalen Erwartungen gerade der Besten
unseres Volks rückwärts gegangen, wie selbst der Maßstab, der an die Ent¬
wickelung der deutschen Einheitsbestrebungen gelegt wird, unversehens be¬
scheidner und immer bescheidner geworden ist.

Nach den großen Ereignissen von 1866 wurde in der Presse und auf
der Tribüne kein Thema so häufig variirt, wie das von der Unausbleiblich¬
keit einer baldigen Verständigung mit den Staaten jenseit des Main. „Sie
kommen von selbst", „das Wasser des Mainstroms fließt durch das Gitter,
welches über diesen Strom geschlagen worden ist" „die Einheit Deutschlands
ist thatsächlich bereits errungen" — und wie die übrigen Schlagworte wohl¬
meinender Optimisten damals lauteten. Jahr und Tag vergingen, sie kamen
dennoch nicht und der Main blieb der deutsche Rubicon. Dann wurden
nach kurzem, aber erbittertem Kampf die Zollverträge geschlossen. Hatte sich
der Anschluß „von selbst" nicht gemacht, so klammerten sich die Hoffnungen
der Wohlmeinenden jetzt an den Satz, „daß der wirthschaftlichen Einigung
die politische von selbst folgen müsse". Wir erinnerten schon damals daran,
daß wirthschaftliche und politische Einigung zwei grundverschiedene Dinge
seien und verwiesen auf das Beispiel der nordamerikanischen Union, in welcher
bei dem Mangel an gleichzeitiger Uebereinstimmung auf beiden Gebieten der
Wirthschaftliche Gegensatz die politische Einheit zwischen Süden und Norden


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[0345] zur Wahrheit werden zu lassen, jene Macht, von der ein großer Dichter Preise: Polnischer Monatsbericht. x Schopenhauer wirft dem Optimismus irgendwo in seinen Schriften vor, eine nicht nur irrthümliche, sondern zugleich „ruchlose" Weltanschauung zu bil¬ den. Wenn dieses barocke Wort überhaupt auf einem Lebensgebiete Recht hat, so sicherlich auf dem der Politik. Zu Betrachtungen über den demoralisirenden Einfluß einer optimistischen Auffassung der deutschen Dinge hat gerade der letzte Monat reichliche Veranlassung gegeben und uns daran erinnert, wie schnell es mit den hoch gespannten nationalen Erwartungen gerade der Besten unseres Volks rückwärts gegangen, wie selbst der Maßstab, der an die Ent¬ wickelung der deutschen Einheitsbestrebungen gelegt wird, unversehens be¬ scheidner und immer bescheidner geworden ist. Nach den großen Ereignissen von 1866 wurde in der Presse und auf der Tribüne kein Thema so häufig variirt, wie das von der Unausbleiblich¬ keit einer baldigen Verständigung mit den Staaten jenseit des Main. „Sie kommen von selbst", „das Wasser des Mainstroms fließt durch das Gitter, welches über diesen Strom geschlagen worden ist" „die Einheit Deutschlands ist thatsächlich bereits errungen" — und wie die übrigen Schlagworte wohl¬ meinender Optimisten damals lauteten. Jahr und Tag vergingen, sie kamen dennoch nicht und der Main blieb der deutsche Rubicon. Dann wurden nach kurzem, aber erbittertem Kampf die Zollverträge geschlossen. Hatte sich der Anschluß „von selbst" nicht gemacht, so klammerten sich die Hoffnungen der Wohlmeinenden jetzt an den Satz, „daß der wirthschaftlichen Einigung die politische von selbst folgen müsse". Wir erinnerten schon damals daran, daß wirthschaftliche und politische Einigung zwei grundverschiedene Dinge seien und verwiesen auf das Beispiel der nordamerikanischen Union, in welcher bei dem Mangel an gleichzeitiger Uebereinstimmung auf beiden Gebieten der Wirthschaftliche Gegensatz die politische Einheit zwischen Süden und Norden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/345>, abgerufen am 15.01.2025.