Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

während Pfeiffer die Dürftigkeit des ministeriellen Programms in den inneren
Fragen geißelte und ganz, wie K. Mayer vorschrieb, gleichzeitig von der
anderen Seite die Volkspartei auf das Ministerium losschlug. So wurde
das Ganze zu einem Vorgefecht für die Adreßdebatte, das dadurch noch mehr
Colorit erhielt, well auch die nationalen und-die Particularisten zum ersten
Mal gegenseitig die Waffen prüften für den heißeren Kampf in der nächsten
Woche.


?


Ein pariser Slcwophile.

Frankreich hat sich von jeher gern zum Beschützer mehr oder minder
unterdrückter Nationalitäten gemacht, einerseits wegen des Reliefs, welches
dergleichen Proteetorrollen verleihen, andererseits wegen der willkommenen
Gelegenheit zur Einmischung in Angelegenheiten benachbarter Staaten. Es ist
aber ziemlich neu, daß ein französischer Schriftsteller ganz allein und auf. eigene
Faust eine "unterdrückte" Nationalität und zwar mit Eifer und nicht
ohne Geschick protegirt. Schon wegen der Neuheit dieses Vorkommnisses
verdient die literarische Thätigkeit dieses Schriftstellers einige Aufmerksam¬
keit. -- Der Schriftsteller von dem wir reden ist Herr Louis Leger, der
Pariser Czechophile, dessen Name bei Gelegenheit der Hußfeier in Constanz
(wo er eine Rede halten sollte, aber nicht gehalten hat) durch alle deutsche
und französische Zeitungen .die Runde machte. Herrn Louis Leger's Name
wurde aber damals nicht zuerst in Verbindung mit den czechischen Nationa¬
litätsbestrebungen genannt. Schon im vergangenen Jahre hatte er durch
ein in Gemeinschaft mit I. Frie, herausgegebenes, übrigens in Oestreich ver¬
botenes, Sammelwerk "I^g, Lodeinv diktorique, pitwroLyuo et litt^iairo"
sein Interesse für die czechische Sache bekundet und im Jahre 1866 unter
dem Titel "Otumts tustoriquös et ckansons poxulaireiz clef Llavvs 6e 1a
Lotiöme" eine Übersetzung der Gedichte der bekannten königinhofer und grüne-
berger (!) Handschrift herausgegeben. Herr Leger hat in dieser Publication,
welche sich an einen größeren Leserkreis adressirt, die Frage der Authenticität
schwebend gelassen, indem er von den hauptsächlichsten Einwendungen, die ge-
gegen dieselbe gemacht sind, keine einzige zu widerlegen sucht. Auch mag
ihm wohl selbst, trotz allen guten Willens, den Glaubensartikel jedes guten
Czechen zu adoptiren, die Authenticität des Manuscripts nicht ganz über allen
Zweifel erhaben sein, zumal er in seinen neuesten Publicationen, die einen


während Pfeiffer die Dürftigkeit des ministeriellen Programms in den inneren
Fragen geißelte und ganz, wie K. Mayer vorschrieb, gleichzeitig von der
anderen Seite die Volkspartei auf das Ministerium losschlug. So wurde
das Ganze zu einem Vorgefecht für die Adreßdebatte, das dadurch noch mehr
Colorit erhielt, well auch die nationalen und-die Particularisten zum ersten
Mal gegenseitig die Waffen prüften für den heißeren Kampf in der nächsten
Woche.


?


Ein pariser Slcwophile.

Frankreich hat sich von jeher gern zum Beschützer mehr oder minder
unterdrückter Nationalitäten gemacht, einerseits wegen des Reliefs, welches
dergleichen Proteetorrollen verleihen, andererseits wegen der willkommenen
Gelegenheit zur Einmischung in Angelegenheiten benachbarter Staaten. Es ist
aber ziemlich neu, daß ein französischer Schriftsteller ganz allein und auf. eigene
Faust eine „unterdrückte" Nationalität und zwar mit Eifer und nicht
ohne Geschick protegirt. Schon wegen der Neuheit dieses Vorkommnisses
verdient die literarische Thätigkeit dieses Schriftstellers einige Aufmerksam¬
keit. — Der Schriftsteller von dem wir reden ist Herr Louis Leger, der
Pariser Czechophile, dessen Name bei Gelegenheit der Hußfeier in Constanz
(wo er eine Rede halten sollte, aber nicht gehalten hat) durch alle deutsche
und französische Zeitungen .die Runde machte. Herrn Louis Leger's Name
wurde aber damals nicht zuerst in Verbindung mit den czechischen Nationa¬
litätsbestrebungen genannt. Schon im vergangenen Jahre hatte er durch
ein in Gemeinschaft mit I. Frie, herausgegebenes, übrigens in Oestreich ver¬
botenes, Sammelwerk „I^g, Lodeinv diktorique, pitwroLyuo et litt^iairo"
sein Interesse für die czechische Sache bekundet und im Jahre 1866 unter
dem Titel „Otumts tustoriquös et ckansons poxulaireiz clef Llavvs 6e 1a
Lotiöme" eine Übersetzung der Gedichte der bekannten königinhofer und grüne-
berger (!) Handschrift herausgegeben. Herr Leger hat in dieser Publication,
welche sich an einen größeren Leserkreis adressirt, die Frage der Authenticität
schwebend gelassen, indem er von den hauptsächlichsten Einwendungen, die ge-
gegen dieselbe gemacht sind, keine einzige zu widerlegen sucht. Auch mag
ihm wohl selbst, trotz allen guten Willens, den Glaubensartikel jedes guten
Czechen zu adoptiren, die Authenticität des Manuscripts nicht ganz über allen
Zweifel erhaben sein, zumal er in seinen neuesten Publicationen, die einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287810"/>
          <p xml:id="ID_1361" prev="#ID_1360"> während Pfeiffer die Dürftigkeit des ministeriellen Programms in den inneren<lb/>
Fragen geißelte und ganz, wie K. Mayer vorschrieb, gleichzeitig von der<lb/>
anderen Seite die Volkspartei auf das Ministerium losschlug. So wurde<lb/>
das Ganze zu einem Vorgefecht für die Adreßdebatte, das dadurch noch mehr<lb/>
Colorit erhielt, well auch die nationalen und-die Particularisten zum ersten<lb/>
Mal gegenseitig die Waffen prüften für den heißeren Kampf in der nächsten<lb/>
Woche.</p><lb/>
          <note type="byline"> ?</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein pariser Slcwophile.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1362" next="#ID_1363"> Frankreich hat sich von jeher gern zum Beschützer mehr oder minder<lb/>
unterdrückter Nationalitäten gemacht, einerseits wegen des Reliefs, welches<lb/>
dergleichen Proteetorrollen verleihen, andererseits wegen der willkommenen<lb/>
Gelegenheit zur Einmischung in Angelegenheiten benachbarter Staaten. Es ist<lb/>
aber ziemlich neu, daß ein französischer Schriftsteller ganz allein und auf. eigene<lb/>
Faust eine &#x201E;unterdrückte" Nationalität und zwar mit Eifer und nicht<lb/>
ohne Geschick protegirt. Schon wegen der Neuheit dieses Vorkommnisses<lb/>
verdient die literarische Thätigkeit dieses Schriftstellers einige Aufmerksam¬<lb/>
keit. &#x2014; Der Schriftsteller von dem wir reden ist Herr Louis Leger, der<lb/>
Pariser Czechophile, dessen Name bei Gelegenheit der Hußfeier in Constanz<lb/>
(wo er eine Rede halten sollte, aber nicht gehalten hat) durch alle deutsche<lb/>
und französische Zeitungen .die Runde machte. Herrn Louis Leger's Name<lb/>
wurde aber damals nicht zuerst in Verbindung mit den czechischen Nationa¬<lb/>
litätsbestrebungen genannt. Schon im vergangenen Jahre hatte er durch<lb/>
ein in Gemeinschaft mit I. Frie, herausgegebenes, übrigens in Oestreich ver¬<lb/>
botenes, Sammelwerk &#x201E;I^g, Lodeinv diktorique, pitwroLyuo et litt^iairo"<lb/>
sein Interesse für die czechische Sache bekundet und im Jahre 1866 unter<lb/>
dem Titel &#x201E;Otumts tustoriquös et ckansons poxulaireiz clef Llavvs 6e 1a<lb/>
Lotiöme" eine Übersetzung der Gedichte der bekannten königinhofer und grüne-<lb/>
berger (!) Handschrift herausgegeben. Herr Leger hat in dieser Publication,<lb/>
welche sich an einen größeren Leserkreis adressirt, die Frage der Authenticität<lb/>
schwebend gelassen, indem er von den hauptsächlichsten Einwendungen, die ge-<lb/>
gegen dieselbe gemacht sind, keine einzige zu widerlegen sucht. Auch mag<lb/>
ihm wohl selbst, trotz allen guten Willens, den Glaubensartikel jedes guten<lb/>
Czechen zu adoptiren, die Authenticität des Manuscripts nicht ganz über allen<lb/>
Zweifel erhaben sein, zumal er in seinen neuesten Publicationen, die einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] während Pfeiffer die Dürftigkeit des ministeriellen Programms in den inneren Fragen geißelte und ganz, wie K. Mayer vorschrieb, gleichzeitig von der anderen Seite die Volkspartei auf das Ministerium losschlug. So wurde das Ganze zu einem Vorgefecht für die Adreßdebatte, das dadurch noch mehr Colorit erhielt, well auch die nationalen und-die Particularisten zum ersten Mal gegenseitig die Waffen prüften für den heißeren Kampf in der nächsten Woche. ? Ein pariser Slcwophile. Frankreich hat sich von jeher gern zum Beschützer mehr oder minder unterdrückter Nationalitäten gemacht, einerseits wegen des Reliefs, welches dergleichen Proteetorrollen verleihen, andererseits wegen der willkommenen Gelegenheit zur Einmischung in Angelegenheiten benachbarter Staaten. Es ist aber ziemlich neu, daß ein französischer Schriftsteller ganz allein und auf. eigene Faust eine „unterdrückte" Nationalität und zwar mit Eifer und nicht ohne Geschick protegirt. Schon wegen der Neuheit dieses Vorkommnisses verdient die literarische Thätigkeit dieses Schriftstellers einige Aufmerksam¬ keit. — Der Schriftsteller von dem wir reden ist Herr Louis Leger, der Pariser Czechophile, dessen Name bei Gelegenheit der Hußfeier in Constanz (wo er eine Rede halten sollte, aber nicht gehalten hat) durch alle deutsche und französische Zeitungen .die Runde machte. Herrn Louis Leger's Name wurde aber damals nicht zuerst in Verbindung mit den czechischen Nationa¬ litätsbestrebungen genannt. Schon im vergangenen Jahre hatte er durch ein in Gemeinschaft mit I. Frie, herausgegebenes, übrigens in Oestreich ver¬ botenes, Sammelwerk „I^g, Lodeinv diktorique, pitwroLyuo et litt^iairo" sein Interesse für die czechische Sache bekundet und im Jahre 1866 unter dem Titel „Otumts tustoriquös et ckansons poxulaireiz clef Llavvs 6e 1a Lotiöme" eine Übersetzung der Gedichte der bekannten königinhofer und grüne- berger (!) Handschrift herausgegeben. Herr Leger hat in dieser Publication, welche sich an einen größeren Leserkreis adressirt, die Frage der Authenticität schwebend gelassen, indem er von den hauptsächlichsten Einwendungen, die ge- gegen dieselbe gemacht sind, keine einzige zu widerlegen sucht. Auch mag ihm wohl selbst, trotz allen guten Willens, den Glaubensartikel jedes guten Czechen zu adoptiren, die Authenticität des Manuscripts nicht ganz über allen Zweifel erhaben sein, zumal er in seinen neuesten Publicationen, die einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/538>, abgerufen am 05.02.2025.