Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.Brief über den hildesheimer Fund. Habe ich es Ihnen nicht vorausgesagt, daß man bei uns zu Lande über Grenzboten IV. 1868. 61
Brief über den hildesheimer Fund. Habe ich es Ihnen nicht vorausgesagt, daß man bei uns zu Lande über Grenzboten IV. 1868. 61
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Brief über den hildesheimer Fund.
Habe ich es Ihnen nicht vorausgesagt, daß man bei uns zu Lande über
die Abführung der hildesheimer Silbersachen nach Berlin in Jeremiaden aus¬
brechen würde? Es wäre auch schließlich stillos gewesen, wenn man sich diesen
Anlaß zu neuem Jammern hätte entgehen lassen. Denn unsere berechtigtste
Eigenthümlichkeit ist und bleibt nun einmal die Unzufriedenheit, und die sou¬
veränste Blindheit unserer Wünsche regiert uns nach wie vor Herz, Willen.
Verstand und selbst das Bischen politische Einsicht, was auch uns nicht versagt
ist, und die Fügsamkeit gegen den Stärkern als selbstverständlich empfiehlt. Wir
haben uns zwar wiederholt sagen lassen, daß der Fund nach dem bestehenden
gemeinen Recht, als auf einem Grundstück des Militärfiscus erfolgt, zu gleichen
Theilen den Findern und dem Staat gehöre, daß die gute Stadt Hildes¬
heim gar kein Anrecht daran habe und schwerlich im Stande sein würde, eine
auch nur entfernt entsprechende Summe aufzubringen, im Fall ein Theil des
Deficits damit gedeckt werden sollte. Wir wissen sogar, daß die hochverdien¬
ten Vorsteher des dortigen Museums ihre Freude geäußert haben, der großen
Verantwortlichkeit überhoben zu sein, die ihnen die Ueberwachung und Con-
sttvirung des seltenen Schatzes auferlegte. Wir können uns auch nicht ganz
der Wahrnehmung entschlagen, daß solche Alterthümer besser als in Pro-
vincialsammlungen in großen öffentlichen Museen ausgehoben sind, wo sie
am öftesten gesehen und unter gleichartigen Monumenten am besten studirt
werden können. Wir täuschen uns vollends darüber gar nicht, daß in dem
goldenen Zeitalter des verflossenen Regiments, in welchem Hildesheim als
schlechtgesinnte Stadt in allerhöchster Ungnade stand, Alles den natürlichen
Weg nach Hannover zu den gelben Hosen gefunden hätte. Aber all' diese
Erwägungen hindern uns doch schließlich nicht, unsere politische Einfalt
auch in dieser Frage zu erweisen. Oder wozu hat uns denn ein nam-
hafter Gelehrter aus Göttingen, welcher sich gewiß nicht ohne Grund „einen
Hannoveraner an Leib und Seele" nennt, in gelehrten Zeitungsartikeln
Grenzboten IV. 1868. 61
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