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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Zusammentritt des Parlaments als Premier eingesetzt werden wird. Weiß
er den Reformdrang seiner Partei auf die wirklich faulen Flecken zu lenken
und hat er den Muth den Radicalen entgegenzutreten wo sie Lebensfähiges
zerstören wollen, so kann er unendlich viel Gutes wirken und auf lange Zeit
der nothwendige Mann bleiben. Aber sein rascher Sinn, seine Heftigkeit,
sein Ehrgeiz sind zu fürchten; seine Behandlung der irischen Frage war und
bleibt bedenklich und die Reden seiner jetzigen Wahlcampagne zeugen nicht
von dem Tact eines wahren Staatsmannes; jedenfalls bedarf es um ihn
zu zügeln einer festen conservativen Opposition. Eine conservative Partei
braucht England mehr als jeder andere Staat, weil es keine starke königliche
Gewalt hat und die Stärke seiner Regierung von der Stetigkeit des Parla¬
ments abhängt; die Mächte des Beharrens müssen in einer Partei gegliedert
sein, welche die Continuität wahrt. Eine solche Partei wird allerdings in
der Gefahr blinden Widerstands sein, wie die liberale in der des zu raschen
Vorwärtsgehens. Aber das Schlimmste was ihr begegnen kann ist, daß sie von
einem Manne geführt wird, der selbst nicht an ihre Grundsätze glaubt und
dem die Politik überhaupt nur ein Spiel um den persönlichen Besitz der
Macht ist. Diese moralische Niederlage, schwerer als die 1832 durch Welling¬
ton's Hartnäckigkeit erlittene, haben sich die Tones jetzt zugezogen, indem sie
durch Disraeli zu einer radicalen Politik sich drängen ließen, die schließlich
doch gegen sie ausfallen muß. Wollen sie wieder eine würdige Rolle spielen,
so müssen sie die Führerschaft eines politischen Abenteurers abschütteln und
sich unter ihrem fähigsten und angesehensten Manne neu organisiren, dem
jetzigen Marquis os Salisbury, bisher im Unterhause Lord Cranborne.

Wie aber auch die Sache sich wendet, gewiß ist es nicht das Verdienst
der Bill von 1867, wenn sie.besser geht, als man erwartete. Die Liberalen
trifft freilich der Vorwurf, daß sie die Reform 1862 ganz unaufgefordert
heraufbeschworen und es doch bis 1866 damit nicht ernst meinten; aber auf
dem Erben des ältesten Grafenhauses von England bleibt der Flecken, daß
er, um sich im Amt zu halten mit den schlechten Künsten eines Disraeli durch
dick und dünn gegangen ist und über sein Land Gefahren heraufbeschworen
hat, deren Bedeutung noch Niemand übersehen kann.




Die Lage in Spanien.

Die Bedenken, welche wir beim Ausbruch der spanischen Revolution
gegen ihren glücklichen Ausgang geltend machten (S. 91), haben sich seitdem
steigern müssen. Sollte der Sturz Jsabella's zu einem geordneten freiheitlichen


Zusammentritt des Parlaments als Premier eingesetzt werden wird. Weiß
er den Reformdrang seiner Partei auf die wirklich faulen Flecken zu lenken
und hat er den Muth den Radicalen entgegenzutreten wo sie Lebensfähiges
zerstören wollen, so kann er unendlich viel Gutes wirken und auf lange Zeit
der nothwendige Mann bleiben. Aber sein rascher Sinn, seine Heftigkeit,
sein Ehrgeiz sind zu fürchten; seine Behandlung der irischen Frage war und
bleibt bedenklich und die Reden seiner jetzigen Wahlcampagne zeugen nicht
von dem Tact eines wahren Staatsmannes; jedenfalls bedarf es um ihn
zu zügeln einer festen conservativen Opposition. Eine conservative Partei
braucht England mehr als jeder andere Staat, weil es keine starke königliche
Gewalt hat und die Stärke seiner Regierung von der Stetigkeit des Parla¬
ments abhängt; die Mächte des Beharrens müssen in einer Partei gegliedert
sein, welche die Continuität wahrt. Eine solche Partei wird allerdings in
der Gefahr blinden Widerstands sein, wie die liberale in der des zu raschen
Vorwärtsgehens. Aber das Schlimmste was ihr begegnen kann ist, daß sie von
einem Manne geführt wird, der selbst nicht an ihre Grundsätze glaubt und
dem die Politik überhaupt nur ein Spiel um den persönlichen Besitz der
Macht ist. Diese moralische Niederlage, schwerer als die 1832 durch Welling¬
ton's Hartnäckigkeit erlittene, haben sich die Tones jetzt zugezogen, indem sie
durch Disraeli zu einer radicalen Politik sich drängen ließen, die schließlich
doch gegen sie ausfallen muß. Wollen sie wieder eine würdige Rolle spielen,
so müssen sie die Führerschaft eines politischen Abenteurers abschütteln und
sich unter ihrem fähigsten und angesehensten Manne neu organisiren, dem
jetzigen Marquis os Salisbury, bisher im Unterhause Lord Cranborne.

Wie aber auch die Sache sich wendet, gewiß ist es nicht das Verdienst
der Bill von 1867, wenn sie.besser geht, als man erwartete. Die Liberalen
trifft freilich der Vorwurf, daß sie die Reform 1862 ganz unaufgefordert
heraufbeschworen und es doch bis 1866 damit nicht ernst meinten; aber auf
dem Erben des ältesten Grafenhauses von England bleibt der Flecken, daß
er, um sich im Amt zu halten mit den schlechten Künsten eines Disraeli durch
dick und dünn gegangen ist und über sein Land Gefahren heraufbeschworen
hat, deren Bedeutung noch Niemand übersehen kann.




Die Lage in Spanien.

Die Bedenken, welche wir beim Ausbruch der spanischen Revolution
gegen ihren glücklichen Ausgang geltend machten (S. 91), haben sich seitdem
steigern müssen. Sollte der Sturz Jsabella's zu einem geordneten freiheitlichen


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[0362] Zusammentritt des Parlaments als Premier eingesetzt werden wird. Weiß er den Reformdrang seiner Partei auf die wirklich faulen Flecken zu lenken und hat er den Muth den Radicalen entgegenzutreten wo sie Lebensfähiges zerstören wollen, so kann er unendlich viel Gutes wirken und auf lange Zeit der nothwendige Mann bleiben. Aber sein rascher Sinn, seine Heftigkeit, sein Ehrgeiz sind zu fürchten; seine Behandlung der irischen Frage war und bleibt bedenklich und die Reden seiner jetzigen Wahlcampagne zeugen nicht von dem Tact eines wahren Staatsmannes; jedenfalls bedarf es um ihn zu zügeln einer festen conservativen Opposition. Eine conservative Partei braucht England mehr als jeder andere Staat, weil es keine starke königliche Gewalt hat und die Stärke seiner Regierung von der Stetigkeit des Parla¬ ments abhängt; die Mächte des Beharrens müssen in einer Partei gegliedert sein, welche die Continuität wahrt. Eine solche Partei wird allerdings in der Gefahr blinden Widerstands sein, wie die liberale in der des zu raschen Vorwärtsgehens. Aber das Schlimmste was ihr begegnen kann ist, daß sie von einem Manne geführt wird, der selbst nicht an ihre Grundsätze glaubt und dem die Politik überhaupt nur ein Spiel um den persönlichen Besitz der Macht ist. Diese moralische Niederlage, schwerer als die 1832 durch Welling¬ ton's Hartnäckigkeit erlittene, haben sich die Tones jetzt zugezogen, indem sie durch Disraeli zu einer radicalen Politik sich drängen ließen, die schließlich doch gegen sie ausfallen muß. Wollen sie wieder eine würdige Rolle spielen, so müssen sie die Führerschaft eines politischen Abenteurers abschütteln und sich unter ihrem fähigsten und angesehensten Manne neu organisiren, dem jetzigen Marquis os Salisbury, bisher im Unterhause Lord Cranborne. Wie aber auch die Sache sich wendet, gewiß ist es nicht das Verdienst der Bill von 1867, wenn sie.besser geht, als man erwartete. Die Liberalen trifft freilich der Vorwurf, daß sie die Reform 1862 ganz unaufgefordert heraufbeschworen und es doch bis 1866 damit nicht ernst meinten; aber auf dem Erben des ältesten Grafenhauses von England bleibt der Flecken, daß er, um sich im Amt zu halten mit den schlechten Künsten eines Disraeli durch dick und dünn gegangen ist und über sein Land Gefahren heraufbeschworen hat, deren Bedeutung noch Niemand übersehen kann. Die Lage in Spanien. Die Bedenken, welche wir beim Ausbruch der spanischen Revolution gegen ihren glücklichen Ausgang geltend machten (S. 91), haben sich seitdem steigern müssen. Sollte der Sturz Jsabella's zu einem geordneten freiheitlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/362>, abgerufen am 05.02.2025.