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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Die Aussichten der spanischen Revolution.

Die spanische Revolution hat rascher gesiegt, als man nach früheren
Vorgängen für wahrscheinlich hielt und ihr negatives Resultat, die Entthro¬
nung der Königin, steht bereits fest. Daß es dazu früher oder später
kommen müsse, war Einsichtigen längst klar; die Regierung Jsabella's war
für Spanien das geworden, was die Karl's X. in Frankreich war. Die all¬
gemeine Unzufriedenheit ging nicht gegen diese oder jene Maßregel, sondern
gegen den ganzen Charakter der Regierung, welche sich mit den schlech¬
testen Traditionen der Bourbons, jenes Geschlechts, das so unverbesserlich
scheint wie das der Stuart, identificirte. Die Spanier sind ein durch und
durch katholisches Volk, aber die Bigotterie der Königin, welche das Geld
des verarmten Landes mit vollen Händen für kirchliches Schaugepränge,
Wiederherstellung geistlicher Orden und Unterstützung des Pabstes wegwarf
und die Politik von den Einflüsterungen einer fanatischen Nonne abhängig
machte, war ihnen um so widerwärtiger, als die Kehrseite im Privatleben
von einer Unsittlichkeit war, welche nicht einmal den äußeren Schein zu
wahren wußte. Der Spanier ist kein Rigorist, aber er hält darauf, daß die
Formen des Anstands beobachtet werden. Man darf vielleicht Jsabella nicht
zu scharf beurtheilen, wenn man erwägt, in welchen Umgebungen sie groß
geworden und wie, ehe sie noch einen Willen hatte, die Politik mit ihr ge-
spielt. Die schwerste Schuld hierbei trifft unstreitig Guizot, dessen Intri¬
guen 1846 die sechzehnjährige Infantin an den traurigen Franz von Assise
verheirathete, der nie einen Versuch gemacht, seine Ehre zu wahren und von
dem jetzt bei der Entthronung seiner Gemahlin Niemand spricht. Aber auch
Palmerston's Politik, welche gegen die Heirath mit einem Sohne Louis
Philipp's protestirte, hat sich nicht bewährt. Wäre der Herzog von Aumale
Jsabella's Gemahl geworden, so hätte sie sich wohl sehr anders entwickelt
und diese Heirath, weit entfernt Frankreichs Uebergewicht herbeizuführen,
hätte ein werthvolles Gegengewicht gegen den Imperialismus gebildet. Wie
sich die Dinge nun einmal gestaltet haben und nachdem mit der Verbannung
Montpensier's und der Generäle der Despotismus in seiner nacktesten Gestalt
hervorgetreten, mußte es früher oder später zum Bruche kommen. -- Es war
von vorn herein sehr charakteristisch, daß der Aufstand in der Marine begann,
welche bisher einen durchaus konservativen und monarchischen Charakter be¬
wahrt und sich nie an den Aufständen betheiligt hatte. Gonzales Bravo aber
hatte die Flotte verletzt, indem er ihr Budget stark beschnitt, die Armee war
gegen ihn erbittert, weil sie keinen Civilisten an der Spitze der Geschäfte


Die Aussichten der spanischen Revolution.

Die spanische Revolution hat rascher gesiegt, als man nach früheren
Vorgängen für wahrscheinlich hielt und ihr negatives Resultat, die Entthro¬
nung der Königin, steht bereits fest. Daß es dazu früher oder später
kommen müsse, war Einsichtigen längst klar; die Regierung Jsabella's war
für Spanien das geworden, was die Karl's X. in Frankreich war. Die all¬
gemeine Unzufriedenheit ging nicht gegen diese oder jene Maßregel, sondern
gegen den ganzen Charakter der Regierung, welche sich mit den schlech¬
testen Traditionen der Bourbons, jenes Geschlechts, das so unverbesserlich
scheint wie das der Stuart, identificirte. Die Spanier sind ein durch und
durch katholisches Volk, aber die Bigotterie der Königin, welche das Geld
des verarmten Landes mit vollen Händen für kirchliches Schaugepränge,
Wiederherstellung geistlicher Orden und Unterstützung des Pabstes wegwarf
und die Politik von den Einflüsterungen einer fanatischen Nonne abhängig
machte, war ihnen um so widerwärtiger, als die Kehrseite im Privatleben
von einer Unsittlichkeit war, welche nicht einmal den äußeren Schein zu
wahren wußte. Der Spanier ist kein Rigorist, aber er hält darauf, daß die
Formen des Anstands beobachtet werden. Man darf vielleicht Jsabella nicht
zu scharf beurtheilen, wenn man erwägt, in welchen Umgebungen sie groß
geworden und wie, ehe sie noch einen Willen hatte, die Politik mit ihr ge-
spielt. Die schwerste Schuld hierbei trifft unstreitig Guizot, dessen Intri¬
guen 1846 die sechzehnjährige Infantin an den traurigen Franz von Assise
verheirathete, der nie einen Versuch gemacht, seine Ehre zu wahren und von
dem jetzt bei der Entthronung seiner Gemahlin Niemand spricht. Aber auch
Palmerston's Politik, welche gegen die Heirath mit einem Sohne Louis
Philipp's protestirte, hat sich nicht bewährt. Wäre der Herzog von Aumale
Jsabella's Gemahl geworden, so hätte sie sich wohl sehr anders entwickelt
und diese Heirath, weit entfernt Frankreichs Uebergewicht herbeizuführen,
hätte ein werthvolles Gegengewicht gegen den Imperialismus gebildet. Wie
sich die Dinge nun einmal gestaltet haben und nachdem mit der Verbannung
Montpensier's und der Generäle der Despotismus in seiner nacktesten Gestalt
hervorgetreten, mußte es früher oder später zum Bruche kommen. — Es war
von vorn herein sehr charakteristisch, daß der Aufstand in der Marine begann,
welche bisher einen durchaus konservativen und monarchischen Charakter be¬
wahrt und sich nie an den Aufständen betheiligt hatte. Gonzales Bravo aber
hatte die Flotte verletzt, indem er ihr Budget stark beschnitt, die Armee war
gegen ihn erbittert, weil sie keinen Civilisten an der Spitze der Geschäfte


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[0107] Die Aussichten der spanischen Revolution. Die spanische Revolution hat rascher gesiegt, als man nach früheren Vorgängen für wahrscheinlich hielt und ihr negatives Resultat, die Entthro¬ nung der Königin, steht bereits fest. Daß es dazu früher oder später kommen müsse, war Einsichtigen längst klar; die Regierung Jsabella's war für Spanien das geworden, was die Karl's X. in Frankreich war. Die all¬ gemeine Unzufriedenheit ging nicht gegen diese oder jene Maßregel, sondern gegen den ganzen Charakter der Regierung, welche sich mit den schlech¬ testen Traditionen der Bourbons, jenes Geschlechts, das so unverbesserlich scheint wie das der Stuart, identificirte. Die Spanier sind ein durch und durch katholisches Volk, aber die Bigotterie der Königin, welche das Geld des verarmten Landes mit vollen Händen für kirchliches Schaugepränge, Wiederherstellung geistlicher Orden und Unterstützung des Pabstes wegwarf und die Politik von den Einflüsterungen einer fanatischen Nonne abhängig machte, war ihnen um so widerwärtiger, als die Kehrseite im Privatleben von einer Unsittlichkeit war, welche nicht einmal den äußeren Schein zu wahren wußte. Der Spanier ist kein Rigorist, aber er hält darauf, daß die Formen des Anstands beobachtet werden. Man darf vielleicht Jsabella nicht zu scharf beurtheilen, wenn man erwägt, in welchen Umgebungen sie groß geworden und wie, ehe sie noch einen Willen hatte, die Politik mit ihr ge- spielt. Die schwerste Schuld hierbei trifft unstreitig Guizot, dessen Intri¬ guen 1846 die sechzehnjährige Infantin an den traurigen Franz von Assise verheirathete, der nie einen Versuch gemacht, seine Ehre zu wahren und von dem jetzt bei der Entthronung seiner Gemahlin Niemand spricht. Aber auch Palmerston's Politik, welche gegen die Heirath mit einem Sohne Louis Philipp's protestirte, hat sich nicht bewährt. Wäre der Herzog von Aumale Jsabella's Gemahl geworden, so hätte sie sich wohl sehr anders entwickelt und diese Heirath, weit entfernt Frankreichs Uebergewicht herbeizuführen, hätte ein werthvolles Gegengewicht gegen den Imperialismus gebildet. Wie sich die Dinge nun einmal gestaltet haben und nachdem mit der Verbannung Montpensier's und der Generäle der Despotismus in seiner nacktesten Gestalt hervorgetreten, mußte es früher oder später zum Bruche kommen. — Es war von vorn herein sehr charakteristisch, daß der Aufstand in der Marine begann, welche bisher einen durchaus konservativen und monarchischen Charakter be¬ wahrt und sich nie an den Aufständen betheiligt hatte. Gonzales Bravo aber hatte die Flotte verletzt, indem er ihr Budget stark beschnitt, die Armee war gegen ihn erbittert, weil sie keinen Civilisten an der Spitze der Geschäfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/107>, abgerufen am 05.02.2025.