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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Der pariser "Salon" von 1868.
II.
Schluß zu Ur. 34.

Ich habe die Leser bereits darauf aufmerksam gemacht, wie sehr die in"
dustrielle Absicht, durch Gefälligkeit zum Ankauf zu reizen, über den Kunst¬
zweck, durch wahrhaft Bedeutendes den Geschmack zu erheben und die Tra¬
dition der großen Stilmeister festzuhalten, im diesjährigen Salon dominirt.
Unter den Künstlern, welche ihrer Vocation nicht vergessen, gebührt Herrn
Czermak für seine "Christenmädchen, von Baschi - Bouzouks geraubt" (in
Lebensgröße) Anerkennung. Gallait's einziger Schüler theilt die hohen Vor¬
züge des Meisters, wie vielleicht einige seiner Fehler. Wir bedauern in den
Dramen beider, daß die meisten ihrer großen Gestalten unbewegt, öfter durch
ihren Contrast, als durch ihre Gravitation gegen das Centrum der Hand¬
lung wirken und sich so isolirt neben einander statt miteinander produ-
ciren. Auch Gallait's mächtige und immer schöne Modelle verrathen selten
durch eine Geste das in ihnen glühende Leben. Nur das Mienenspiel ist,
Träger ihrer Emotion. Gewöhnlich aber rechtfertigt die Wahl des sujets,
wie auch hier, diesen Mangel an Activität, den z. B. auch Edwin Landseer,
der englische Maler der Thierkomödie in hohem Grade theilt, was ihn jedoch
nicht hindert, im Drastisch-Humoristischen das Höchste zu leisten. Gallait
und Czermak sind Eklektiker, -- sie haben der flamländischen, italienischen
und spanischen Schule ihr Bestes entwandt, nicht ohne es mit ihrer Origi¬
nalität zu verschmelzen und sind unendlich geschickt: aber wenn auch keineswegs
die Erhebung des Gedankens, so fehlt ihren Compositionen doch die drama¬
tische Kraft. Ihr Temperament neigt zum Contemplativen, zum ruhigen Wie¬
derspiegeln von Stimmungen in der Schicksalstragödie. Gallait's gewohnte
schwertrübe, aber immer harmonische Farbengebung ist auch hier dem Pinsel
Czermaks für die düstere Scene überaus effectvoll entflossen, dagegen sind
die Fleischtöne ruhig lichtvoll, glücklich accentuirt hier und dort ein blinken¬
der Strahl, Schmuck und Waffen; -- aber trotz dieser fast wissenschaftlichen
Behandlung des Lichts, trotz dieses Aufbaues tadelloser Linien gleicht diese
Gruppe mehr jenen lebenden Bildern, in denen man schöne Figuren artistisch
drapirt und kunstgerecht beleuchtet, als einem Blick in's volle Pathos des
Lebens. Wir hören dieser Räubergeschichte interessirt, aber kühl ungläubig
zu, -- wir lassen uns sichtbar zum Mitleid überreden, denn wir sind weder
überzeugt, noch entsetzt, noch ergriffen; -- der Verstand hat Muße zu zer¬
gliedern, ehe das Gefühl gepackt ist. und wir wenden uns zwar befriedigt.


Der pariser „Salon" von 1868.
II.
Schluß zu Ur. 34.

Ich habe die Leser bereits darauf aufmerksam gemacht, wie sehr die in»
dustrielle Absicht, durch Gefälligkeit zum Ankauf zu reizen, über den Kunst¬
zweck, durch wahrhaft Bedeutendes den Geschmack zu erheben und die Tra¬
dition der großen Stilmeister festzuhalten, im diesjährigen Salon dominirt.
Unter den Künstlern, welche ihrer Vocation nicht vergessen, gebührt Herrn
Czermak für seine „Christenmädchen, von Baschi - Bouzouks geraubt" (in
Lebensgröße) Anerkennung. Gallait's einziger Schüler theilt die hohen Vor¬
züge des Meisters, wie vielleicht einige seiner Fehler. Wir bedauern in den
Dramen beider, daß die meisten ihrer großen Gestalten unbewegt, öfter durch
ihren Contrast, als durch ihre Gravitation gegen das Centrum der Hand¬
lung wirken und sich so isolirt neben einander statt miteinander produ-
ciren. Auch Gallait's mächtige und immer schöne Modelle verrathen selten
durch eine Geste das in ihnen glühende Leben. Nur das Mienenspiel ist,
Träger ihrer Emotion. Gewöhnlich aber rechtfertigt die Wahl des sujets,
wie auch hier, diesen Mangel an Activität, den z. B. auch Edwin Landseer,
der englische Maler der Thierkomödie in hohem Grade theilt, was ihn jedoch
nicht hindert, im Drastisch-Humoristischen das Höchste zu leisten. Gallait
und Czermak sind Eklektiker, — sie haben der flamländischen, italienischen
und spanischen Schule ihr Bestes entwandt, nicht ohne es mit ihrer Origi¬
nalität zu verschmelzen und sind unendlich geschickt: aber wenn auch keineswegs
die Erhebung des Gedankens, so fehlt ihren Compositionen doch die drama¬
tische Kraft. Ihr Temperament neigt zum Contemplativen, zum ruhigen Wie¬
derspiegeln von Stimmungen in der Schicksalstragödie. Gallait's gewohnte
schwertrübe, aber immer harmonische Farbengebung ist auch hier dem Pinsel
Czermaks für die düstere Scene überaus effectvoll entflossen, dagegen sind
die Fleischtöne ruhig lichtvoll, glücklich accentuirt hier und dort ein blinken¬
der Strahl, Schmuck und Waffen; — aber trotz dieser fast wissenschaftlichen
Behandlung des Lichts, trotz dieses Aufbaues tadelloser Linien gleicht diese
Gruppe mehr jenen lebenden Bildern, in denen man schöne Figuren artistisch
drapirt und kunstgerecht beleuchtet, als einem Blick in's volle Pathos des
Lebens. Wir hören dieser Räubergeschichte interessirt, aber kühl ungläubig
zu, — wir lassen uns sichtbar zum Mitleid überreden, denn wir sind weder
überzeugt, noch entsetzt, noch ergriffen; — der Verstand hat Muße zu zer¬
gliedern, ehe das Gefühl gepackt ist. und wir wenden uns zwar befriedigt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/356>, abgerufen am 24.08.2024.