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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Die französische Politik.

Als wir vor kurzem in diesen Blättern (Ur. 48, die römisch-italienische
Frage) die Ansicht aussprachen, die Logik der Ereignisse werde den Kaiser
Napoleon nach der zweiten römischen Expedition immer mehr ins klerikale
Lager hinüberdrängen, konnten wir kaum voraussehen, daß dies so rasch und
in so eklatanter Weise bestätigt werden würde, wie es durch die Erklärungen
Rouhers in der denkwürdigen Sitzung des 6. December geschehen ist. Daß
die Haltung der französischen Regierung in dieser Frage, wie überhaupt in
der letzten Zeit, schwankend und widerspruchsvoll gewesen, ist unzweifelhaft,
der Kaiser hat seine frühere Sicherheit verloren und für seine Entschlüsse gibt
der Einfluß bald dieser bald jener Persönlichkeit seiner Minister und Um¬
gebungen den Ausschlag. Noch in Biaritz discutirt er mit dem italienischen
Gesandten Nigra die Möglichkeit einer Abänderung der Septemberconvcntion
und schließt mit dem vieldeutigen Wort: "it ne taut xas eomproinöttrs ins,
politiyue". Als bald darauf die Crisis ausbrach, hat nach dem italienischen
Grünbuch, dessen Angaben die offiziöse französische Presse nicht in Abrede zu
stellen wagt, Rouher zuerst die Idee einer gemeinsamen Besatzung Roms
hingeworfen, als Nigra darauf dieselbe Moustier vorschlägt, weist derselbe
sie entrüstet zurück und bezeichnet im Corps legislatif den Vorschlag als einen
hinterlistigen, welcher Frankreich die Rolle nicht blos eines Betrogenen, son¬
dern auch eines Verräthers zugemuthet habe. Ebenso schwankt man in Betreff
der Expedition; der Befehl der Einschiffung war auf Andrängen Italiens
zurückgenommen, als ein Telegramm des französischen Geschäftsträgers in
Rom eintraf, daß in diesem Falle der Nuntius in Paris beauftragt werden
soll, sein Wappen abzunehmen und seine Pässe zu fordern; dies gab den
Ausschlag. Lavalette blieb allein im Conseil mit seiner Opposition, die Trup¬
pen schifften sich ein. Am auffälligsten aber traten die Schwankungen in der
letzten Debatte selbst hervor. Die Thronrede stellte die Intervention als eine
traurige Nothwendigkeit dar und äußerte sich sympathisch für Italien, im
Senat sprach Moustier den klerikalen Heißspornen gegenüber sehr gemäßigt,
in der Rede mit welcher er im gesetzgebenden Körper debütirte und die zuvor
mit dem Kaiser vereinbart war, trat er schon schärfer gegen Italien auf,
aber lavirte doch vorsichtig, ohne sich für eine oder die andere Seite zu ent¬
scheiden; nun aber kam Thiers mit seiner gewaltigen Rede, welche die Ma¬
jorität zu stürmischem Beifall hinriß, erst dadurch ward die Regierung ganz
nach rechts gedrängt und Rouher erklärte, daß Italien sich niemals Roms
bemächtigen solle, Rom aber bedeute das jetzige päpstliche Gebiet. Mit Recht


Die französische Politik.

Als wir vor kurzem in diesen Blättern (Ur. 48, die römisch-italienische
Frage) die Ansicht aussprachen, die Logik der Ereignisse werde den Kaiser
Napoleon nach der zweiten römischen Expedition immer mehr ins klerikale
Lager hinüberdrängen, konnten wir kaum voraussehen, daß dies so rasch und
in so eklatanter Weise bestätigt werden würde, wie es durch die Erklärungen
Rouhers in der denkwürdigen Sitzung des 6. December geschehen ist. Daß
die Haltung der französischen Regierung in dieser Frage, wie überhaupt in
der letzten Zeit, schwankend und widerspruchsvoll gewesen, ist unzweifelhaft,
der Kaiser hat seine frühere Sicherheit verloren und für seine Entschlüsse gibt
der Einfluß bald dieser bald jener Persönlichkeit seiner Minister und Um¬
gebungen den Ausschlag. Noch in Biaritz discutirt er mit dem italienischen
Gesandten Nigra die Möglichkeit einer Abänderung der Septemberconvcntion
und schließt mit dem vieldeutigen Wort: „it ne taut xas eomproinöttrs ins,
politiyue". Als bald darauf die Crisis ausbrach, hat nach dem italienischen
Grünbuch, dessen Angaben die offiziöse französische Presse nicht in Abrede zu
stellen wagt, Rouher zuerst die Idee einer gemeinsamen Besatzung Roms
hingeworfen, als Nigra darauf dieselbe Moustier vorschlägt, weist derselbe
sie entrüstet zurück und bezeichnet im Corps legislatif den Vorschlag als einen
hinterlistigen, welcher Frankreich die Rolle nicht blos eines Betrogenen, son¬
dern auch eines Verräthers zugemuthet habe. Ebenso schwankt man in Betreff
der Expedition; der Befehl der Einschiffung war auf Andrängen Italiens
zurückgenommen, als ein Telegramm des französischen Geschäftsträgers in
Rom eintraf, daß in diesem Falle der Nuntius in Paris beauftragt werden
soll, sein Wappen abzunehmen und seine Pässe zu fordern; dies gab den
Ausschlag. Lavalette blieb allein im Conseil mit seiner Opposition, die Trup¬
pen schifften sich ein. Am auffälligsten aber traten die Schwankungen in der
letzten Debatte selbst hervor. Die Thronrede stellte die Intervention als eine
traurige Nothwendigkeit dar und äußerte sich sympathisch für Italien, im
Senat sprach Moustier den klerikalen Heißspornen gegenüber sehr gemäßigt,
in der Rede mit welcher er im gesetzgebenden Körper debütirte und die zuvor
mit dem Kaiser vereinbart war, trat er schon schärfer gegen Italien auf,
aber lavirte doch vorsichtig, ohne sich für eine oder die andere Seite zu ent¬
scheiden; nun aber kam Thiers mit seiner gewaltigen Rede, welche die Ma¬
jorität zu stürmischem Beifall hinriß, erst dadurch ward die Regierung ganz
nach rechts gedrängt und Rouher erklärte, daß Italien sich niemals Roms
bemächtigen solle, Rom aber bedeute das jetzige päpstliche Gebiet. Mit Recht


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[0031] Die französische Politik. Als wir vor kurzem in diesen Blättern (Ur. 48, die römisch-italienische Frage) die Ansicht aussprachen, die Logik der Ereignisse werde den Kaiser Napoleon nach der zweiten römischen Expedition immer mehr ins klerikale Lager hinüberdrängen, konnten wir kaum voraussehen, daß dies so rasch und in so eklatanter Weise bestätigt werden würde, wie es durch die Erklärungen Rouhers in der denkwürdigen Sitzung des 6. December geschehen ist. Daß die Haltung der französischen Regierung in dieser Frage, wie überhaupt in der letzten Zeit, schwankend und widerspruchsvoll gewesen, ist unzweifelhaft, der Kaiser hat seine frühere Sicherheit verloren und für seine Entschlüsse gibt der Einfluß bald dieser bald jener Persönlichkeit seiner Minister und Um¬ gebungen den Ausschlag. Noch in Biaritz discutirt er mit dem italienischen Gesandten Nigra die Möglichkeit einer Abänderung der Septemberconvcntion und schließt mit dem vieldeutigen Wort: „it ne taut xas eomproinöttrs ins, politiyue". Als bald darauf die Crisis ausbrach, hat nach dem italienischen Grünbuch, dessen Angaben die offiziöse französische Presse nicht in Abrede zu stellen wagt, Rouher zuerst die Idee einer gemeinsamen Besatzung Roms hingeworfen, als Nigra darauf dieselbe Moustier vorschlägt, weist derselbe sie entrüstet zurück und bezeichnet im Corps legislatif den Vorschlag als einen hinterlistigen, welcher Frankreich die Rolle nicht blos eines Betrogenen, son¬ dern auch eines Verräthers zugemuthet habe. Ebenso schwankt man in Betreff der Expedition; der Befehl der Einschiffung war auf Andrängen Italiens zurückgenommen, als ein Telegramm des französischen Geschäftsträgers in Rom eintraf, daß in diesem Falle der Nuntius in Paris beauftragt werden soll, sein Wappen abzunehmen und seine Pässe zu fordern; dies gab den Ausschlag. Lavalette blieb allein im Conseil mit seiner Opposition, die Trup¬ pen schifften sich ein. Am auffälligsten aber traten die Schwankungen in der letzten Debatte selbst hervor. Die Thronrede stellte die Intervention als eine traurige Nothwendigkeit dar und äußerte sich sympathisch für Italien, im Senat sprach Moustier den klerikalen Heißspornen gegenüber sehr gemäßigt, in der Rede mit welcher er im gesetzgebenden Körper debütirte und die zuvor mit dem Kaiser vereinbart war, trat er schon schärfer gegen Italien auf, aber lavirte doch vorsichtig, ohne sich für eine oder die andere Seite zu ent¬ scheiden; nun aber kam Thiers mit seiner gewaltigen Rede, welche die Ma¬ jorität zu stürmischem Beifall hinriß, erst dadurch ward die Regierung ganz nach rechts gedrängt und Rouher erklärte, daß Italien sich niemals Roms bemächtigen solle, Rom aber bedeute das jetzige päpstliche Gebiet. Mit Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/31>, abgerufen am 22.07.2024.