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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Zwei Geburtstage eines Biinerleins.
Von Franz Michael Felder").
1.

Im Mai des Jahres 1863, an einem Tage, wie der spätgckommene Früh¬
ling sie den Bewohnern des Bregenzerwaldes nicht selten aufgehen läßt, gleich¬
sam um zu zeigen, daß er in der Welt draußen denn doch noch nicht alle seine
Herrlichkeiten verthan habe -- an so einem Tage saß das Bciuerlein, welches hier
die Ehre hat sich dem freundlichen Leser vorzustellen, mit einigen guten
Freunden im Schöpf**) des funkelnagelneu angestrichenen Bräuhauses zu Schop-
pernau. Die Freunde waren ein Zimmermann, ein Schreiner und ein Schneider,
und da wir Vier von einem Buche wie von einem Ereignisse redeten, so würde
uns ein Fünfter, und nicht ganz mit Unrecht, als Sonderlinge bezeichnet haben.
Das Buch hatte den etwas wunderlichen Titel: "Nümmamüllers und das
Schwarzokaspale" und war die erste Dichtung, die zu veröffentlichen ich den
Muth hatte. Die ersten vier Bogen lagen sauber gedruckt vor uns auf dem
Tisch, und daneben eine Maaß vom Allerröthesten, welche von den drei Burschen
mir zum Geburtstage aufgetischt worden war. Bald klangen die Gläser auf
glücklichen Erfolg und eine schöne Zukunft, während der abendlich kühle Ofener
von der neben dem Hause stehenden Baumreihe lieblich duftende Blüthen aus
uns hereinstreute.

Im Bräuhause zu Schoppernau hat man nicht immer gutes Bier, die
Wirthsleute aber sind stets gut und freundlich. Die Hauptsache aber und eine
wahre Seltenheit ist es, daß man hier nicht sorgen darf, jeder frei ausgespro¬
chene Gedanke werde gleich in den Pfarrhof getragen, um von dort vielleicht
schon am nächsten Sonntag in Form einer gehörig gesalzenen Predigt auf die
Kanzel gebracht zu werden.

Der Zimmermann durchblätterte mehrmals die auf dem Tische liegenden
Bogen und sagte plöhlich: "Mich sreuts, daß du etwas Gehöriges anfängst




") Auf Wunsch der Redaction hat Herr Felder von Schoppernau in Vorarlberg in Fol-
gendem über die Verhältnisse berichtet, welche ihn aus dem Frieden seines Hauses risse" und
zeitweilig zur Flucht nöthigten. Die Grenzboten haben Veranlassung nehmen wollen, eine"
schon durch seinen selbständigen und eigenthümlichen Bildungsgang interessanten Schriftsteller
Deutschöstreichs (den Vers, der bei S. Hirzel erschienenen "Sonderlinge") dem norddeutschen Pu¬
blikum bekannt zu machen.
"
) Ein nach der Straße offener Theil des Unterstocks, ähnlich den "Lauben" alter
Stadthäuser.
Grenzboten II. 1867. 63
Zwei Geburtstage eines Biinerleins.
Von Franz Michael Felder").
1.

Im Mai des Jahres 1863, an einem Tage, wie der spätgckommene Früh¬
ling sie den Bewohnern des Bregenzerwaldes nicht selten aufgehen läßt, gleich¬
sam um zu zeigen, daß er in der Welt draußen denn doch noch nicht alle seine
Herrlichkeiten verthan habe — an so einem Tage saß das Bciuerlein, welches hier
die Ehre hat sich dem freundlichen Leser vorzustellen, mit einigen guten
Freunden im Schöpf**) des funkelnagelneu angestrichenen Bräuhauses zu Schop-
pernau. Die Freunde waren ein Zimmermann, ein Schreiner und ein Schneider,
und da wir Vier von einem Buche wie von einem Ereignisse redeten, so würde
uns ein Fünfter, und nicht ganz mit Unrecht, als Sonderlinge bezeichnet haben.
Das Buch hatte den etwas wunderlichen Titel: „Nümmamüllers und das
Schwarzokaspale" und war die erste Dichtung, die zu veröffentlichen ich den
Muth hatte. Die ersten vier Bogen lagen sauber gedruckt vor uns auf dem
Tisch, und daneben eine Maaß vom Allerröthesten, welche von den drei Burschen
mir zum Geburtstage aufgetischt worden war. Bald klangen die Gläser auf
glücklichen Erfolg und eine schöne Zukunft, während der abendlich kühle Ofener
von der neben dem Hause stehenden Baumreihe lieblich duftende Blüthen aus
uns hereinstreute.

Im Bräuhause zu Schoppernau hat man nicht immer gutes Bier, die
Wirthsleute aber sind stets gut und freundlich. Die Hauptsache aber und eine
wahre Seltenheit ist es, daß man hier nicht sorgen darf, jeder frei ausgespro¬
chene Gedanke werde gleich in den Pfarrhof getragen, um von dort vielleicht
schon am nächsten Sonntag in Form einer gehörig gesalzenen Predigt auf die
Kanzel gebracht zu werden.

Der Zimmermann durchblätterte mehrmals die auf dem Tische liegenden
Bogen und sagte plöhlich: „Mich sreuts, daß du etwas Gehöriges anfängst




") Auf Wunsch der Redaction hat Herr Felder von Schoppernau in Vorarlberg in Fol-
gendem über die Verhältnisse berichtet, welche ihn aus dem Frieden seines Hauses risse» und
zeitweilig zur Flucht nöthigten. Die Grenzboten haben Veranlassung nehmen wollen, eine»
schon durch seinen selbständigen und eigenthümlichen Bildungsgang interessanten Schriftsteller
Deutschöstreichs (den Vers, der bei S. Hirzel erschienenen „Sonderlinge") dem norddeutschen Pu¬
blikum bekannt zu machen.
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) Ein nach der Straße offener Theil des Unterstocks, ähnlich den „Lauben" alter
Stadthäuser.
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[0497] Zwei Geburtstage eines Biinerleins. Von Franz Michael Felder"). 1. Im Mai des Jahres 1863, an einem Tage, wie der spätgckommene Früh¬ ling sie den Bewohnern des Bregenzerwaldes nicht selten aufgehen läßt, gleich¬ sam um zu zeigen, daß er in der Welt draußen denn doch noch nicht alle seine Herrlichkeiten verthan habe — an so einem Tage saß das Bciuerlein, welches hier die Ehre hat sich dem freundlichen Leser vorzustellen, mit einigen guten Freunden im Schöpf**) des funkelnagelneu angestrichenen Bräuhauses zu Schop- pernau. Die Freunde waren ein Zimmermann, ein Schreiner und ein Schneider, und da wir Vier von einem Buche wie von einem Ereignisse redeten, so würde uns ein Fünfter, und nicht ganz mit Unrecht, als Sonderlinge bezeichnet haben. Das Buch hatte den etwas wunderlichen Titel: „Nümmamüllers und das Schwarzokaspale" und war die erste Dichtung, die zu veröffentlichen ich den Muth hatte. Die ersten vier Bogen lagen sauber gedruckt vor uns auf dem Tisch, und daneben eine Maaß vom Allerröthesten, welche von den drei Burschen mir zum Geburtstage aufgetischt worden war. Bald klangen die Gläser auf glücklichen Erfolg und eine schöne Zukunft, während der abendlich kühle Ofener von der neben dem Hause stehenden Baumreihe lieblich duftende Blüthen aus uns hereinstreute. Im Bräuhause zu Schoppernau hat man nicht immer gutes Bier, die Wirthsleute aber sind stets gut und freundlich. Die Hauptsache aber und eine wahre Seltenheit ist es, daß man hier nicht sorgen darf, jeder frei ausgespro¬ chene Gedanke werde gleich in den Pfarrhof getragen, um von dort vielleicht schon am nächsten Sonntag in Form einer gehörig gesalzenen Predigt auf die Kanzel gebracht zu werden. Der Zimmermann durchblätterte mehrmals die auf dem Tische liegenden Bogen und sagte plöhlich: „Mich sreuts, daß du etwas Gehöriges anfängst ") Auf Wunsch der Redaction hat Herr Felder von Schoppernau in Vorarlberg in Fol- gendem über die Verhältnisse berichtet, welche ihn aus dem Frieden seines Hauses risse» und zeitweilig zur Flucht nöthigten. Die Grenzboten haben Veranlassung nehmen wollen, eine» schon durch seinen selbständigen und eigenthümlichen Bildungsgang interessanten Schriftsteller Deutschöstreichs (den Vers, der bei S. Hirzel erschienenen „Sonderlinge") dem norddeutschen Pu¬ blikum bekannt zu machen. " ) Ein nach der Straße offener Theil des Unterstocks, ähnlich den „Lauben" alter Stadthäuser. Grenzboten II. 1867. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/497>, abgerufen am 29.06.2024.