Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.Brief eines Süddeutschen an den Verfasser der "Bier Fragen eines Ostpreußen". Sie sprachen einst das Wort aus: "Das ist das Unglück der Könige, daß Brief eines Süddeutschen an den Verfasser der „Bier Fragen eines Ostpreußen". Sie sprachen einst das Wort aus: „Das ist das Unglück der Könige, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191162"/> </div> <div n="1"> <head> Brief eines Süddeutschen an den Verfasser der „Bier<lb/> Fragen eines Ostpreußen".</head><lb/> <p xml:id="ID_1518" next="#ID_1519"> Sie sprachen einst das Wort aus: „Das ist das Unglück der Könige, daß<lb/> sie die Wahrheit nicht hören wollen." Ich bin überzeugt, daß Sie jene Dispo¬<lb/> sition, welche Sie damals als ein „Unglück" bezeichneten, nicht theilen. In<lb/> dieser Ueberzeugung richte ich meinen Brief an Sie. Ich werde in demselben<lb/> das aussprechen, was ich für die Wahrheit halte. Aber es wäre an der Zeit,<lb/> daß wir jenen Grundsatz eines englischen Bischofs, welcher auf die Frage, was<lb/> orthodox und was heterodox sei, antwortete: Oltuoäox^ is wz? ana<lb/> Ireteroclox^ is otnors äox^, daß wir diesen Grundsatz etwas weniger heftig<lb/> anwendeten auf dem Gebiete der praktischen Politik. Wir haben in Deutschland<lb/> die kirchliche Ketzerrichterei nie auf die Länge geduldet, vielmehr vor Jahrhun¬<lb/> derten schon einen gewissen Konrad von Marburg, welcher, geleitet von der<lb/> menschenfreundlichen Absicht, unsere unsterblichen Seelen zu retten, unsere sterb¬<lb/> lichen Leiber zur größeren Ehre Gottes auf orthodoxen Scheiterhaufen ver¬<lb/> brennen wollte, mit Knüppeln todtgeschlagen wie einen tollen Hund. Es waren<lb/> damals rauhe Sitten. Aber warum sollen wir heute, in dem Jahrhundert der<lb/> Civilisation, in einer Nation, welche sich als die gebildetste von Europa be¬<lb/> trachtet und gewiß mit Recht die gelehrteste nennt, einander für Ketzer erklären,<lb/> weil wir in den Fragen der politischen Strategie und Taktik verschiedener Mei'<lb/> mung sind? Ich kenne — oder richtiger gesagt: ich kannte (denn er existirt<lb/> nicht mehr) einen deutschen Kleinstaat, in welchem eines schönen Tages das offi-<lb/> cielle Organ der Negierung, das sich der allerhöchsten Zustimmung des Landes¬<lb/> herrn und der Unterstützung aus dessen Schatulle zu erfreuen hatte, in loyalem<lb/> Kannibalismus druckte: .es kenne kein größeres Verdienst und Vergnügen, als<lb/> wenn es eigenhändig die Führer der Opposition an dieser oder jener Höhle<lb/> abschlachten könnte, den Raben zum Fraß und der Regierung zu Ehren";<lb/> und wenn diese liebenswürdige Idee in den Stürmen von 1866 dort<lb/> nicht realisirt worden ist, so sind wenigstens die damals dort leitenden<lb/> Köpfe nicht schuld daran gewesen. Indeß das war ein Regierungsblatt und<lb/> seine und der Opposition Ansichten standen einander diametral gegenüber. Aber<lb/> heutzutage handelt es sich um zwei Abtheilunzen der liberalen Partei, um die<lb/> nationale und um die „entschiedene". Müssen da auch Scheiterhaufen rauchen?<lb/> Müssen namentlich in einem Blatte, das sich mit Ihrem Namen ziert. Angriffe<lb/> auf die politische Ehre und Ueberzeugungstreue von Männern gerichtet werden,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0468]
Brief eines Süddeutschen an den Verfasser der „Bier
Fragen eines Ostpreußen".
Sie sprachen einst das Wort aus: „Das ist das Unglück der Könige, daß
sie die Wahrheit nicht hören wollen." Ich bin überzeugt, daß Sie jene Dispo¬
sition, welche Sie damals als ein „Unglück" bezeichneten, nicht theilen. In
dieser Ueberzeugung richte ich meinen Brief an Sie. Ich werde in demselben
das aussprechen, was ich für die Wahrheit halte. Aber es wäre an der Zeit,
daß wir jenen Grundsatz eines englischen Bischofs, welcher auf die Frage, was
orthodox und was heterodox sei, antwortete: Oltuoäox^ is wz? ana
Ireteroclox^ is otnors äox^, daß wir diesen Grundsatz etwas weniger heftig
anwendeten auf dem Gebiete der praktischen Politik. Wir haben in Deutschland
die kirchliche Ketzerrichterei nie auf die Länge geduldet, vielmehr vor Jahrhun¬
derten schon einen gewissen Konrad von Marburg, welcher, geleitet von der
menschenfreundlichen Absicht, unsere unsterblichen Seelen zu retten, unsere sterb¬
lichen Leiber zur größeren Ehre Gottes auf orthodoxen Scheiterhaufen ver¬
brennen wollte, mit Knüppeln todtgeschlagen wie einen tollen Hund. Es waren
damals rauhe Sitten. Aber warum sollen wir heute, in dem Jahrhundert der
Civilisation, in einer Nation, welche sich als die gebildetste von Europa be¬
trachtet und gewiß mit Recht die gelehrteste nennt, einander für Ketzer erklären,
weil wir in den Fragen der politischen Strategie und Taktik verschiedener Mei'
mung sind? Ich kenne — oder richtiger gesagt: ich kannte (denn er existirt
nicht mehr) einen deutschen Kleinstaat, in welchem eines schönen Tages das offi-
cielle Organ der Negierung, das sich der allerhöchsten Zustimmung des Landes¬
herrn und der Unterstützung aus dessen Schatulle zu erfreuen hatte, in loyalem
Kannibalismus druckte: .es kenne kein größeres Verdienst und Vergnügen, als
wenn es eigenhändig die Führer der Opposition an dieser oder jener Höhle
abschlachten könnte, den Raben zum Fraß und der Regierung zu Ehren";
und wenn diese liebenswürdige Idee in den Stürmen von 1866 dort
nicht realisirt worden ist, so sind wenigstens die damals dort leitenden
Köpfe nicht schuld daran gewesen. Indeß das war ein Regierungsblatt und
seine und der Opposition Ansichten standen einander diametral gegenüber. Aber
heutzutage handelt es sich um zwei Abtheilunzen der liberalen Partei, um die
nationale und um die „entschiedene". Müssen da auch Scheiterhaufen rauchen?
Müssen namentlich in einem Blatte, das sich mit Ihrem Namen ziert. Angriffe
auf die politische Ehre und Ueberzeugungstreue von Männern gerichtet werden,
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