Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sei eine Nachbildung der Thora" sorgfältig und evident widerlegt wird, zu be¬
friedigen. Die eigene Behauptung des Verfassers Hot nur für die drei ersten
Capitel des Matthäus einige Wahrscheinlichkeit; auf diese Grenzen hatte ihn
bereits 1854 sein Lehrer Baur brieflich hingewiesen, wie sich auch Strauß,
auf den der Verfasser sich stützt, mit kluger Mäßigung innerhall) derselben ge¬
halten hatte. Fast alles was darüber hinausgeht ist ebenso künstlich als
die Ansicht seines vorhin genannten Gegners und zum Theil diesem selbst ab¬
gelernt.

Edle Vertretung kirchlicher Orthodoxie im Kampfe mit der modernen Kritik
finden wir bei einem Manne, der durch sein Wirken zur Trennung der Kirche
vom Staat und zur Erweckung des religiösen Lebens in Frankreich mit Ehren
bekannt ist:


Edmund v. Pressensö, Jesus Christus. Seine Zeit, sein Leben
und sein Werk. Deutsch von Fabarius. Halle, Waisenhaus.

Das Buch will keine Gelegenheitsschrift wider Renan sein, gestaltet sich
aber unwillkürlich zu einer solchen. Beide Autoren stützen sich auf Autopsie
des jüdischen Landes, beide suchen durch eine eigenthümlich sanfte, phantasievolle
Rhetorik zu überzeugen, und folgen so den überlieferten Thatsachen fast in der¬
selben Ordnung, nur mit dem Unterschiede, daß Renan überall das Wunder
als überflüssig zu erweisen, Presscns6 dagegen die Sehnsucht nach dem Wunder
zu erwecken sucht; daher denn auch das Schlußgebet, in das der Eine wie der
Andre ausbricht, dort an den todten, hier an den auferstandenen Erlöser gerichtet.
Die Lehre Jesu ist übersichtlicher und glänzender bei Renan, die sittliche
Majestät desselben entschieden imposanter bei Pressensö zur Anschauung gebracht.
Anzuerkennen ist ferner, daß Pressens6 mit völliger Unbefangenheit zu forschen
strebt und eine Anzahl Irrthümer sowie ungelöste Schwierigkeiten in den evan¬
gelischen Berichten zugiebt; doch sind solche Concessionen für die übrige Kon¬
sequenz eines Standpunktes, der die rein orthodoxe Lehre selbst in der Ver¬
suchungsgeschichte und der Theorie von den Besessenen festhält, immerhin
bedenklich. Aber die Bedeutung des Buches liegt weit weniger in seiner wissen¬
schaftlich-kritischen Ausbeute, als in dem mit Wärme und Aufrichtigkeit ge¬
zeichneten Christusbilde, das als solches seine Wirkung auf offene Gemüther
nicht verfehlen wird.

Einen vortrefflich populären Versuch von deutscher Seite, die Person des
Erlösers in geistig faßbarer Einheit darzustellen, giebt ein sorgfältig aus¬
gearbeiteter Vortrag von


Georg Längin. über die sittliche Entwickelung Jesu. Elberfeld,
Friderichs.

Die Frage über die Wundergabe Jesu wird allerdings hier umgangen und
die Benutzung zweifelhafter Materialien, wie der Jugendgeschichte für den vor-


sei eine Nachbildung der Thora" sorgfältig und evident widerlegt wird, zu be¬
friedigen. Die eigene Behauptung des Verfassers Hot nur für die drei ersten
Capitel des Matthäus einige Wahrscheinlichkeit; auf diese Grenzen hatte ihn
bereits 1854 sein Lehrer Baur brieflich hingewiesen, wie sich auch Strauß,
auf den der Verfasser sich stützt, mit kluger Mäßigung innerhall) derselben ge¬
halten hatte. Fast alles was darüber hinausgeht ist ebenso künstlich als
die Ansicht seines vorhin genannten Gegners und zum Theil diesem selbst ab¬
gelernt.

Edle Vertretung kirchlicher Orthodoxie im Kampfe mit der modernen Kritik
finden wir bei einem Manne, der durch sein Wirken zur Trennung der Kirche
vom Staat und zur Erweckung des religiösen Lebens in Frankreich mit Ehren
bekannt ist:


Edmund v. Pressensö, Jesus Christus. Seine Zeit, sein Leben
und sein Werk. Deutsch von Fabarius. Halle, Waisenhaus.

Das Buch will keine Gelegenheitsschrift wider Renan sein, gestaltet sich
aber unwillkürlich zu einer solchen. Beide Autoren stützen sich auf Autopsie
des jüdischen Landes, beide suchen durch eine eigenthümlich sanfte, phantasievolle
Rhetorik zu überzeugen, und folgen so den überlieferten Thatsachen fast in der¬
selben Ordnung, nur mit dem Unterschiede, daß Renan überall das Wunder
als überflüssig zu erweisen, Presscns6 dagegen die Sehnsucht nach dem Wunder
zu erwecken sucht; daher denn auch das Schlußgebet, in das der Eine wie der
Andre ausbricht, dort an den todten, hier an den auferstandenen Erlöser gerichtet.
Die Lehre Jesu ist übersichtlicher und glänzender bei Renan, die sittliche
Majestät desselben entschieden imposanter bei Pressensö zur Anschauung gebracht.
Anzuerkennen ist ferner, daß Pressens6 mit völliger Unbefangenheit zu forschen
strebt und eine Anzahl Irrthümer sowie ungelöste Schwierigkeiten in den evan¬
gelischen Berichten zugiebt; doch sind solche Concessionen für die übrige Kon¬
sequenz eines Standpunktes, der die rein orthodoxe Lehre selbst in der Ver¬
suchungsgeschichte und der Theorie von den Besessenen festhält, immerhin
bedenklich. Aber die Bedeutung des Buches liegt weit weniger in seiner wissen¬
schaftlich-kritischen Ausbeute, als in dem mit Wärme und Aufrichtigkeit ge¬
zeichneten Christusbilde, das als solches seine Wirkung auf offene Gemüther
nicht verfehlen wird.

Einen vortrefflich populären Versuch von deutscher Seite, die Person des
Erlösers in geistig faßbarer Einheit darzustellen, giebt ein sorgfältig aus¬
gearbeiteter Vortrag von


Georg Längin. über die sittliche Entwickelung Jesu. Elberfeld,
Friderichs.

Die Frage über die Wundergabe Jesu wird allerdings hier umgangen und
die Benutzung zweifelhafter Materialien, wie der Jugendgeschichte für den vor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191047"/>
            <p xml:id="ID_1214"> sei eine Nachbildung der Thora" sorgfältig und evident widerlegt wird, zu be¬<lb/>
friedigen. Die eigene Behauptung des Verfassers Hot nur für die drei ersten<lb/>
Capitel des Matthäus einige Wahrscheinlichkeit; auf diese Grenzen hatte ihn<lb/>
bereits 1854 sein Lehrer Baur brieflich hingewiesen, wie sich auch Strauß,<lb/>
auf den der Verfasser sich stützt, mit kluger Mäßigung innerhall) derselben ge¬<lb/>
halten hatte. Fast alles was darüber hinausgeht ist ebenso künstlich als<lb/>
die Ansicht seines vorhin genannten Gegners und zum Theil diesem selbst ab¬<lb/>
gelernt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1215"> Edle Vertretung kirchlicher Orthodoxie im Kampfe mit der modernen Kritik<lb/>
finden wir bei einem Manne, der durch sein Wirken zur Trennung der Kirche<lb/>
vom Staat und zur Erweckung des religiösen Lebens in Frankreich mit Ehren<lb/>
bekannt ist:</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Edmund v. Pressensö, Jesus Christus. Seine Zeit, sein Leben<lb/>
und sein Werk. Deutsch von Fabarius. Halle, Waisenhaus.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1216"> Das Buch will keine Gelegenheitsschrift wider Renan sein, gestaltet sich<lb/>
aber unwillkürlich zu einer solchen. Beide Autoren stützen sich auf Autopsie<lb/>
des jüdischen Landes, beide suchen durch eine eigenthümlich sanfte, phantasievolle<lb/>
Rhetorik zu überzeugen, und folgen so den überlieferten Thatsachen fast in der¬<lb/>
selben Ordnung, nur mit dem Unterschiede, daß Renan überall das Wunder<lb/>
als überflüssig zu erweisen, Presscns6 dagegen die Sehnsucht nach dem Wunder<lb/>
zu erwecken sucht; daher denn auch das Schlußgebet, in das der Eine wie der<lb/>
Andre ausbricht, dort an den todten, hier an den auferstandenen Erlöser gerichtet.<lb/>
Die Lehre Jesu ist übersichtlicher und glänzender bei Renan, die sittliche<lb/>
Majestät desselben entschieden imposanter bei Pressensö zur Anschauung gebracht.<lb/>
Anzuerkennen ist ferner, daß Pressens6 mit völliger Unbefangenheit zu forschen<lb/>
strebt und eine Anzahl Irrthümer sowie ungelöste Schwierigkeiten in den evan¬<lb/>
gelischen Berichten zugiebt; doch sind solche Concessionen für die übrige Kon¬<lb/>
sequenz eines Standpunktes, der die rein orthodoxe Lehre selbst in der Ver¬<lb/>
suchungsgeschichte und der Theorie von den Besessenen festhält, immerhin<lb/>
bedenklich. Aber die Bedeutung des Buches liegt weit weniger in seiner wissen¬<lb/>
schaftlich-kritischen Ausbeute, als in dem mit Wärme und Aufrichtigkeit ge¬<lb/>
zeichneten Christusbilde, das als solches seine Wirkung auf offene Gemüther<lb/>
nicht verfehlen wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1217"> Einen vortrefflich populären Versuch von deutscher Seite, die Person des<lb/>
Erlösers in geistig faßbarer Einheit darzustellen, giebt ein sorgfältig aus¬<lb/>
gearbeiteter Vortrag von</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Georg Längin. über die sittliche Entwickelung Jesu. Elberfeld,<lb/>
Friderichs.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1218" next="#ID_1219"> Die Frage über die Wundergabe Jesu wird allerdings hier umgangen und<lb/>
die Benutzung zweifelhafter Materialien, wie der Jugendgeschichte für den vor-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] sei eine Nachbildung der Thora" sorgfältig und evident widerlegt wird, zu be¬ friedigen. Die eigene Behauptung des Verfassers Hot nur für die drei ersten Capitel des Matthäus einige Wahrscheinlichkeit; auf diese Grenzen hatte ihn bereits 1854 sein Lehrer Baur brieflich hingewiesen, wie sich auch Strauß, auf den der Verfasser sich stützt, mit kluger Mäßigung innerhall) derselben ge¬ halten hatte. Fast alles was darüber hinausgeht ist ebenso künstlich als die Ansicht seines vorhin genannten Gegners und zum Theil diesem selbst ab¬ gelernt. Edle Vertretung kirchlicher Orthodoxie im Kampfe mit der modernen Kritik finden wir bei einem Manne, der durch sein Wirken zur Trennung der Kirche vom Staat und zur Erweckung des religiösen Lebens in Frankreich mit Ehren bekannt ist: Edmund v. Pressensö, Jesus Christus. Seine Zeit, sein Leben und sein Werk. Deutsch von Fabarius. Halle, Waisenhaus. Das Buch will keine Gelegenheitsschrift wider Renan sein, gestaltet sich aber unwillkürlich zu einer solchen. Beide Autoren stützen sich auf Autopsie des jüdischen Landes, beide suchen durch eine eigenthümlich sanfte, phantasievolle Rhetorik zu überzeugen, und folgen so den überlieferten Thatsachen fast in der¬ selben Ordnung, nur mit dem Unterschiede, daß Renan überall das Wunder als überflüssig zu erweisen, Presscns6 dagegen die Sehnsucht nach dem Wunder zu erwecken sucht; daher denn auch das Schlußgebet, in das der Eine wie der Andre ausbricht, dort an den todten, hier an den auferstandenen Erlöser gerichtet. Die Lehre Jesu ist übersichtlicher und glänzender bei Renan, die sittliche Majestät desselben entschieden imposanter bei Pressensö zur Anschauung gebracht. Anzuerkennen ist ferner, daß Pressens6 mit völliger Unbefangenheit zu forschen strebt und eine Anzahl Irrthümer sowie ungelöste Schwierigkeiten in den evan¬ gelischen Berichten zugiebt; doch sind solche Concessionen für die übrige Kon¬ sequenz eines Standpunktes, der die rein orthodoxe Lehre selbst in der Ver¬ suchungsgeschichte und der Theorie von den Besessenen festhält, immerhin bedenklich. Aber die Bedeutung des Buches liegt weit weniger in seiner wissen¬ schaftlich-kritischen Ausbeute, als in dem mit Wärme und Aufrichtigkeit ge¬ zeichneten Christusbilde, das als solches seine Wirkung auf offene Gemüther nicht verfehlen wird. Einen vortrefflich populären Versuch von deutscher Seite, die Person des Erlösers in geistig faßbarer Einheit darzustellen, giebt ein sorgfältig aus¬ gearbeiteter Vortrag von Georg Längin. über die sittliche Entwickelung Jesu. Elberfeld, Friderichs. Die Frage über die Wundergabe Jesu wird allerdings hier umgangen und die Benutzung zweifelhafter Materialien, wie der Jugendgeschichte für den vor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/353>, abgerufen am 29.06.2024.