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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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zu oft entweder zur unleidlichen Posse, i^van er die Unsitte, von historischen Größen
der Vergangenheit zu fabülircn, auf Zeitgenossen unter uns Lebenden ausdehnt, --
oder aber zum Pasquill, wenn er die von ihm Copirten zwar nicht bei Namen
nennt, aber durch frappante Züge kennzeichnet, um ihnen dann aus Gerüchten und
Klatschereien, die als baare Münze auftreten, das Relief zu bereiten. Als Hauptver-
treter dieser letztem Art Literatur für hohe und höchste Persönlichkeiten Oestreichs
giebt der Pseudonyme Leo Wolfram in seinem Roman


Ein Goldkind (Berlin, Zanke)

neue Beitrüge. Die Grenzboten haben, anstatt in das vielstimmige Loblied einzu¬
fallen, das man den "Verlorenen Seelen" desselben Autors gesungen hat, die innere
Frivolität seiner Muse an den Tag gelegt. Wir finden unser Urtheil durch diese
neueste Leistung leider bestätigt. Sein Lieblingsthema bleibt in allen seinen Romanen
ein Weib, welches in unnatürlicher Scheinehe lebt; bei den Variationen desselben
werden wir naturgemäß mit sehr widerwärtigen Details und mit abenteuerlichen
Erfindungen regalirt, ein Hautgout, vor dem wir den Gaumen unsres Publikums
gern hüten möchten. Die Speculation des Verfassers auf die Lüsternheit des Lesers,
verbunden mit der Tendenz gewisse Persönlichkeiten zu compromittiren, aus die ein
mit der wiener Gesellschaft näher Bekannter sofort mit Fingern weist, ist wie man
sieht ziemlich sicher gebaut. Denn das Buch übt allerdings den ganzen Reiz der
mit witziger und flotter Feder gehandhabten Indiscretion; aber wir sind überzeugt,
daß ein Verleger, dem wir so viele interessante Werke novellistischer Literatur ver¬
danken, die Zweideutigkeit dieses Lobes empfindet. Wenn die Romanzeitung, der
wir mit aufrichtiger Theilnahme folgen, derartigen Erzeugnissen sich nicht verschließt,
wird sie, wie uns scheint, genöthigt sein, zwischen ihrem bisherigen und einem ganz
neuen Publikum die Wahl zu treffen. --

Wirklich getreue "Schilderungen aus dem wiener Leben enthält dagegen das
interessante Büchlein


. Wiener Bilder und Büsten von Michael Klapp (Troppau, Kolck).

das ebenso glücklich in der dem leichtlebigen östreichischen Typus entsprechenden Ton¬
art geschrieben ist, wie Kossak für seine Skizzen der dickblütigcren berliner Kinder
die ihre gefunden hat. Die Darstellung der aristokratischen, literarischen und ander¬
weitigen öffentlichen Charaktere ist überall geistreich und pikant, wenn auch das
zweideutige Licht, in dem der Verfasser sie öfter schillern läßt, dem Norddeutschen,
der an entschiednere Farben gewöhnt ist, nicht immer sympathisch sein kann.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hüthel et Legler in Leipzig.

zu oft entweder zur unleidlichen Posse, i^van er die Unsitte, von historischen Größen
der Vergangenheit zu fabülircn, auf Zeitgenossen unter uns Lebenden ausdehnt, —
oder aber zum Pasquill, wenn er die von ihm Copirten zwar nicht bei Namen
nennt, aber durch frappante Züge kennzeichnet, um ihnen dann aus Gerüchten und
Klatschereien, die als baare Münze auftreten, das Relief zu bereiten. Als Hauptver-
treter dieser letztem Art Literatur für hohe und höchste Persönlichkeiten Oestreichs
giebt der Pseudonyme Leo Wolfram in seinem Roman


Ein Goldkind (Berlin, Zanke)

neue Beitrüge. Die Grenzboten haben, anstatt in das vielstimmige Loblied einzu¬
fallen, das man den „Verlorenen Seelen" desselben Autors gesungen hat, die innere
Frivolität seiner Muse an den Tag gelegt. Wir finden unser Urtheil durch diese
neueste Leistung leider bestätigt. Sein Lieblingsthema bleibt in allen seinen Romanen
ein Weib, welches in unnatürlicher Scheinehe lebt; bei den Variationen desselben
werden wir naturgemäß mit sehr widerwärtigen Details und mit abenteuerlichen
Erfindungen regalirt, ein Hautgout, vor dem wir den Gaumen unsres Publikums
gern hüten möchten. Die Speculation des Verfassers auf die Lüsternheit des Lesers,
verbunden mit der Tendenz gewisse Persönlichkeiten zu compromittiren, aus die ein
mit der wiener Gesellschaft näher Bekannter sofort mit Fingern weist, ist wie man
sieht ziemlich sicher gebaut. Denn das Buch übt allerdings den ganzen Reiz der
mit witziger und flotter Feder gehandhabten Indiscretion; aber wir sind überzeugt,
daß ein Verleger, dem wir so viele interessante Werke novellistischer Literatur ver¬
danken, die Zweideutigkeit dieses Lobes empfindet. Wenn die Romanzeitung, der
wir mit aufrichtiger Theilnahme folgen, derartigen Erzeugnissen sich nicht verschließt,
wird sie, wie uns scheint, genöthigt sein, zwischen ihrem bisherigen und einem ganz
neuen Publikum die Wahl zu treffen. —

Wirklich getreue «Schilderungen aus dem wiener Leben enthält dagegen das
interessante Büchlein


. Wiener Bilder und Büsten von Michael Klapp (Troppau, Kolck).

das ebenso glücklich in der dem leichtlebigen östreichischen Typus entsprechenden Ton¬
art geschrieben ist, wie Kossak für seine Skizzen der dickblütigcren berliner Kinder
die ihre gefunden hat. Die Darstellung der aristokratischen, literarischen und ander¬
weitigen öffentlichen Charaktere ist überall geistreich und pikant, wenn auch das
zweideutige Licht, in dem der Verfasser sie öfter schillern läßt, dem Norddeutschen,
der an entschiednere Farben gewöhnt ist, nicht immer sympathisch sein kann.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel et Legler in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/204>, abgerufen am 29.06.2024.