Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Das preußische Versassungsleven unter dem Einfluß des norddeutschen. Ob durch die neue Bundesverfassung mehr nationale Einheit gegeben und Denken wir uns, den Preußen würde für die nächsten zwanzig Jahre fol' Das ist keine Bemerkung gegen den Nutzen constitutioneller Garantien Das preußische Versassungsleven unter dem Einfluß des norddeutschen. Ob durch die neue Bundesverfassung mehr nationale Einheit gegeben und Denken wir uns, den Preußen würde für die nächsten zwanzig Jahre fol' Das ist keine Bemerkung gegen den Nutzen constitutioneller Garantien <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191253"/> </div> <div n="1"> <head> Das preußische Versassungsleven unter dem Einfluß des<lb/> norddeutschen.</head><lb/> <p xml:id="ID_39"> Ob durch die neue Bundesverfassung mehr nationale Einheit gegeben und<lb/> gewonnen oder durch die mit ihr verbundene Abschwächung des Verfassungs-<lb/> lebens in den Einzelstaaten und in Preußen insbesondere mehr Fre.dert ge-<lb/> nommen und verloren wird, ist in den letzten Monaten so vielfach drscutrrt<lb/> worden, daß der Leser uns Dank wissen wird, wenn wir ihn mit unsrer Ansicht<lb/> darüber Verschonen. Wir wollen vielmehr untersuchen, ob die Frage, ore viel<lb/> Freiheit durch die norddeutsche Verfassung begründet oder aus der preußischen<lb/> ausgemerzt wird, in der That die wichtigste ist. Der Zweifel mag Manchen<lb/> befremden, aber wir halten ihn für berechtigt und naheliegend und können leicht<lb/> crilären, was wir meinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_40"> Denken wir uns, den Preußen würde für die nächsten zwanzig Jahre fol'<lb/> gente Wahl gestellt: entweder eine Verfassung wie der Entwurf der ersten<lb/> Nationalversammlung bot aber mit den Herren von Manteuffel und von Westpha-<lb/> len. um sie auszulegen und zu handhaben. Oder: die heutige Verfassung ohne<lb/> alle Grundrechte mit Collegen für Herrn von Bismarck, welche unsre Lage im<lb/> Innern so gut begreifen als der Ministerpräsident die äußere und gleich ehal-<lb/> t.aitig sind. Wir zweifeln kaum, die Politiker der „Volkszeitung" und der<lb/> „Zukunft" würden alsbald ausrufen: vor allem die Verfassung! die Minister-<lb/> Verantwortlichkeit! die Grundrechte! Aber würde nicht die ungeheure Mehrheit<lb/> des preußischen Volks anders wählen?</p><lb/> <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Das ist keine Bemerkung gegen den Nutzen constitutioneller Garantien<lb/> oder auch nur gegen die Näthlichkeit ihrer Erhaltung, selbst wo sie ohne sonder¬<lb/> lichen Nutzen bestehen. Aber wer noch heute die Verfassungsparagraphcn für<lb/> die wichtigste in Preußen hält, die durch die Bundesverfassung in ihrem Be¬<lb/> stand bedroht sind, muß doch den Kopf so voll constitutioneller Theorien haben,<lb/> daß für die Aufnahme der Erfahrungen so vieler Jahre kein Raum übrig ge¬<lb/> wesen ist. Die erste Frage in Preußen ist und bleibt, ob die politischen Par-<lb/> teien, welche die Ansprüche des Bürgerthums gegenüber den Privilegirten von<lb/> ehemals, den Regierenden von seither vertheidigen, (Ansprüche, die nur mit der<lb/> Verfassung selbst erlöschen können) auch in Zukunft von der Staatslenkung aus-<lb/> gejchlossen bleiben sollen oder im Stande sein werden, die Verwaltung und<lb/> Gesetzgebung des Landes endlich mit seiner Verfassung in Einklang zu bringen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Das preußische Versassungsleven unter dem Einfluß des
norddeutschen.
Ob durch die neue Bundesverfassung mehr nationale Einheit gegeben und
gewonnen oder durch die mit ihr verbundene Abschwächung des Verfassungs-
lebens in den Einzelstaaten und in Preußen insbesondere mehr Fre.dert ge-
nommen und verloren wird, ist in den letzten Monaten so vielfach drscutrrt
worden, daß der Leser uns Dank wissen wird, wenn wir ihn mit unsrer Ansicht
darüber Verschonen. Wir wollen vielmehr untersuchen, ob die Frage, ore viel
Freiheit durch die norddeutsche Verfassung begründet oder aus der preußischen
ausgemerzt wird, in der That die wichtigste ist. Der Zweifel mag Manchen
befremden, aber wir halten ihn für berechtigt und naheliegend und können leicht
crilären, was wir meinen.
Denken wir uns, den Preußen würde für die nächsten zwanzig Jahre fol'
gente Wahl gestellt: entweder eine Verfassung wie der Entwurf der ersten
Nationalversammlung bot aber mit den Herren von Manteuffel und von Westpha-
len. um sie auszulegen und zu handhaben. Oder: die heutige Verfassung ohne
alle Grundrechte mit Collegen für Herrn von Bismarck, welche unsre Lage im
Innern so gut begreifen als der Ministerpräsident die äußere und gleich ehal-
t.aitig sind. Wir zweifeln kaum, die Politiker der „Volkszeitung" und der
„Zukunft" würden alsbald ausrufen: vor allem die Verfassung! die Minister-
Verantwortlichkeit! die Grundrechte! Aber würde nicht die ungeheure Mehrheit
des preußischen Volks anders wählen?
Das ist keine Bemerkung gegen den Nutzen constitutioneller Garantien
oder auch nur gegen die Näthlichkeit ihrer Erhaltung, selbst wo sie ohne sonder¬
lichen Nutzen bestehen. Aber wer noch heute die Verfassungsparagraphcn für
die wichtigste in Preußen hält, die durch die Bundesverfassung in ihrem Be¬
stand bedroht sind, muß doch den Kopf so voll constitutioneller Theorien haben,
daß für die Aufnahme der Erfahrungen so vieler Jahre kein Raum übrig ge¬
wesen ist. Die erste Frage in Preußen ist und bleibt, ob die politischen Par-
teien, welche die Ansprüche des Bürgerthums gegenüber den Privilegirten von
ehemals, den Regierenden von seither vertheidigen, (Ansprüche, die nur mit der
Verfassung selbst erlöschen können) auch in Zukunft von der Staatslenkung aus-
gejchlossen bleiben sollen oder im Stande sein werden, die Verwaltung und
Gesetzgebung des Landes endlich mit seiner Verfassung in Einklang zu bringen.
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