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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Handlung, "Die ersten neun Monate des Uebergangsjahres in Hannover" --
"verlangt beträchtlichen Grundbesitz. Wir haben aber hier in Hannover nicht
mehr als 24 Rittergüter, die eine Grundsteuer von mehr als 300 Thalern
zahlen. Von dem gesammten unter Cultur befindlichen Lande fallen nur etwas
über 5 Procent auf diese Güterclasse, 4 auf das Domanium und 90 auf den
Bauernstand und da wird der Anspruch unserer Ritterschaftlichen auf das active
und passive Wahlrecht zu den Landrathsposten doch recht zweifelhaft." -- Der
Verfasser weist aber zugleich auf die Möglichkeit einer modificirten Application
dieses Instituts hin, dessen große Vorzüge vor der Hannoveischen Aemterver¬
fassung er ebenso nachweist, wie die UnHaltbarkeit der weit verleiteten An¬
schauung, daß dasselbe nur in einer exclusiv aristokratischen Form möglich und
mit einem freiheitlich geordneten Gemeinwesen unvereinbar sei. Wir können
dem Verfasser nur beistimmen, wenn er behauptet, jede Selbstverwaltung müsse
sich auf die aristokratischen Elemente der örtlichen Bevölkerung stützen, könne
mit den Interessen dieser aber durch gewisse Beschränkungen in Einklang
gebracht werden. In mancher Hinsicht der englischen Lokalverwaltung ähnlich,
steht die preußische Organisation der unteren Verwaltung den bureaukratischen
Einrichtungen der übrigen deutschen Staaten principiell verschieden gegenüber
und es ist durchaus falsch anzunehmen, es sei das Landratheinstitut den beste¬
henden hannoverschen Institutionen gleichzustellen und es dürften nur die
Größe der Kreise und andere Nebensächlichkeiten als unterscheidende Merkmale
zu bezeichnen sein. In diesen Irrthum fällt auch die vor einigen Monaten
erschienene und ihres reichen statistischen Materials wegen beachtenswerthe und
vielbesprochene Schrift, "Vermittelungsvorschläge zur Reform der hannoverschen
Verfassung", gegen deren Ausführungen unser Autor sich darum wiederholt wendet.




Die hannoversche Aemterverfassung ist eine büreaukratische,
die preußische Landrathsverfassung eine aristokratische Institution.

Der hannoversche Beamte ist auch in der dem Landrathsamt entsprechen¬
den Branche berufsmäßig Beamter und lebt von seinem Amte, der preußische
Landrath bekleidet sein Amt lediglich als Ehrenamt und ist zum Unterhalt nicht auf
dessen Einkünfte angewiesen; der hannoversche Beamte ist immer ausschließlich
Organ der Regierung und völlig von dieser abhängig; der preußische Landrath
ist zugleich Organ der Krcisstände und von der Negierung unabhängig, da sie
ihn als Landrath weder beföideni noch versetzen kann; der Landrath wird von
den auf aristokratischer Grundlage organisirten Kiel^ständen aus den Ritter¬
gutsbesitzern des Kreises, in den westlichen Provinzen aus den ansässigen No-
tabeln gewählt; der hannoversche Beamte jeder Kategorie wird von der Regie¬
rung frei ernannt und nur höchst selten findet sich ein Gutsbesitzer zur Beam-
tenlaufbahn.


Handlung, „Die ersten neun Monate des Uebergangsjahres in Hannover" —
„verlangt beträchtlichen Grundbesitz. Wir haben aber hier in Hannover nicht
mehr als 24 Rittergüter, die eine Grundsteuer von mehr als 300 Thalern
zahlen. Von dem gesammten unter Cultur befindlichen Lande fallen nur etwas
über 5 Procent auf diese Güterclasse, 4 auf das Domanium und 90 auf den
Bauernstand und da wird der Anspruch unserer Ritterschaftlichen auf das active
und passive Wahlrecht zu den Landrathsposten doch recht zweifelhaft." — Der
Verfasser weist aber zugleich auf die Möglichkeit einer modificirten Application
dieses Instituts hin, dessen große Vorzüge vor der Hannoveischen Aemterver¬
fassung er ebenso nachweist, wie die UnHaltbarkeit der weit verleiteten An¬
schauung, daß dasselbe nur in einer exclusiv aristokratischen Form möglich und
mit einem freiheitlich geordneten Gemeinwesen unvereinbar sei. Wir können
dem Verfasser nur beistimmen, wenn er behauptet, jede Selbstverwaltung müsse
sich auf die aristokratischen Elemente der örtlichen Bevölkerung stützen, könne
mit den Interessen dieser aber durch gewisse Beschränkungen in Einklang
gebracht werden. In mancher Hinsicht der englischen Lokalverwaltung ähnlich,
steht die preußische Organisation der unteren Verwaltung den bureaukratischen
Einrichtungen der übrigen deutschen Staaten principiell verschieden gegenüber
und es ist durchaus falsch anzunehmen, es sei das Landratheinstitut den beste¬
henden hannoverschen Institutionen gleichzustellen und es dürften nur die
Größe der Kreise und andere Nebensächlichkeiten als unterscheidende Merkmale
zu bezeichnen sein. In diesen Irrthum fällt auch die vor einigen Monaten
erschienene und ihres reichen statistischen Materials wegen beachtenswerthe und
vielbesprochene Schrift, „Vermittelungsvorschläge zur Reform der hannoverschen
Verfassung", gegen deren Ausführungen unser Autor sich darum wiederholt wendet.




Die hannoversche Aemterverfassung ist eine büreaukratische,
die preußische Landrathsverfassung eine aristokratische Institution.

Der hannoversche Beamte ist auch in der dem Landrathsamt entsprechen¬
den Branche berufsmäßig Beamter und lebt von seinem Amte, der preußische
Landrath bekleidet sein Amt lediglich als Ehrenamt und ist zum Unterhalt nicht auf
dessen Einkünfte angewiesen; der hannoversche Beamte ist immer ausschließlich
Organ der Regierung und völlig von dieser abhängig; der preußische Landrath
ist zugleich Organ der Krcisstände und von der Negierung unabhängig, da sie
ihn als Landrath weder beföideni noch versetzen kann; der Landrath wird von
den auf aristokratischer Grundlage organisirten Kiel^ständen aus den Ritter¬
gutsbesitzern des Kreises, in den westlichen Provinzen aus den ansässigen No-
tabeln gewählt; der hannoversche Beamte jeder Kategorie wird von der Regie¬
rung frei ernannt und nur höchst selten findet sich ein Gutsbesitzer zur Beam-
tenlaufbahn.


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[0212] Handlung, „Die ersten neun Monate des Uebergangsjahres in Hannover" — „verlangt beträchtlichen Grundbesitz. Wir haben aber hier in Hannover nicht mehr als 24 Rittergüter, die eine Grundsteuer von mehr als 300 Thalern zahlen. Von dem gesammten unter Cultur befindlichen Lande fallen nur etwas über 5 Procent auf diese Güterclasse, 4 auf das Domanium und 90 auf den Bauernstand und da wird der Anspruch unserer Ritterschaftlichen auf das active und passive Wahlrecht zu den Landrathsposten doch recht zweifelhaft." — Der Verfasser weist aber zugleich auf die Möglichkeit einer modificirten Application dieses Instituts hin, dessen große Vorzüge vor der Hannoveischen Aemterver¬ fassung er ebenso nachweist, wie die UnHaltbarkeit der weit verleiteten An¬ schauung, daß dasselbe nur in einer exclusiv aristokratischen Form möglich und mit einem freiheitlich geordneten Gemeinwesen unvereinbar sei. Wir können dem Verfasser nur beistimmen, wenn er behauptet, jede Selbstverwaltung müsse sich auf die aristokratischen Elemente der örtlichen Bevölkerung stützen, könne mit den Interessen dieser aber durch gewisse Beschränkungen in Einklang gebracht werden. In mancher Hinsicht der englischen Lokalverwaltung ähnlich, steht die preußische Organisation der unteren Verwaltung den bureaukratischen Einrichtungen der übrigen deutschen Staaten principiell verschieden gegenüber und es ist durchaus falsch anzunehmen, es sei das Landratheinstitut den beste¬ henden hannoverschen Institutionen gleichzustellen und es dürften nur die Größe der Kreise und andere Nebensächlichkeiten als unterscheidende Merkmale zu bezeichnen sein. In diesen Irrthum fällt auch die vor einigen Monaten erschienene und ihres reichen statistischen Materials wegen beachtenswerthe und vielbesprochene Schrift, „Vermittelungsvorschläge zur Reform der hannoverschen Verfassung", gegen deren Ausführungen unser Autor sich darum wiederholt wendet. Die hannoversche Aemterverfassung ist eine büreaukratische, die preußische Landrathsverfassung eine aristokratische Institution. Der hannoversche Beamte ist auch in der dem Landrathsamt entsprechen¬ den Branche berufsmäßig Beamter und lebt von seinem Amte, der preußische Landrath bekleidet sein Amt lediglich als Ehrenamt und ist zum Unterhalt nicht auf dessen Einkünfte angewiesen; der hannoversche Beamte ist immer ausschließlich Organ der Regierung und völlig von dieser abhängig; der preußische Landrath ist zugleich Organ der Krcisstände und von der Negierung unabhängig, da sie ihn als Landrath weder beföideni noch versetzen kann; der Landrath wird von den auf aristokratischer Grundlage organisirten Kiel^ständen aus den Ritter¬ gutsbesitzern des Kreises, in den westlichen Provinzen aus den ansässigen No- tabeln gewählt; der hannoversche Beamte jeder Kategorie wird von der Regie¬ rung frei ernannt und nur höchst selten findet sich ein Gutsbesitzer zur Beam- tenlaufbahn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/212>, abgerufen am 15.01.2025.