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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Die Souveräne als Pairs im Bundesstaat.

Gestatten Sie, Herr Redacteur, in Ihrem Blatt eine Frage zu berühren,
für welche man in den jetzt laufenden Conferenzen zu Berlin eine vorläufige
Antwort sucht, deren definitive Regelung aber wahrscheinlich erst nach längern
parlamentarischen und diplomatischen Verhandlungen stattfinden wird.

Welches soll in dem Bundesstaat die verfassungsmäßige Stellung der Re¬
gierungen zum Bundesoberhaupt einerseits und zum Reichstag andrerseits werden?
Da die Sorge darum die Fürsten des norddeutschen Bundes und ihre Minister
nicht weniger beschäftigt, als 'das deutsche Volk, so möge hier eine Ansicht
zu Worte kommen, welche das Interesse der regierenden Fürsten des Bundes zu
wahren sucht. Wenn dieselbe mit der Auffassung der preußischen Regierung
und mancher nationalgesinnter Männer nicht übereinstimmen sollte, so wird
man ihr doch den Vorwurf nicht machen können, daß sie unberechtigte An¬
sprüche vertrete.

Die regierenden Fürsten der meisten Staaten, welche jetzt dem norddeutschen
Bunde angehören sollen, hatten schon vor dem Sommer dieses Jahres das leb¬
hafte Bewußtsein, daß ihr Verhältniß zur deutschen Nation ein zweifelhaftes
und ihre Stellung im alten Bunde unhaltbar geworden sei. Grade die Re-
genten kleinerer Staaten waren sich wohl bewußt, daß in der Hauptsache nicht
sie selbst regierten, sondern ihre Beamten. Die kunstvolle und complicirte Re¬
gierungsmaschinerie, welche mehre Generationen der Vorfahren eingerichtet,
hat in den kleineren Ländern einen Umfang und eine Bedeutung gewonnen,
welcher der Regent selbst nur schwer widerstehen kann. Alle Reformen sind nur
dadurch zu bewirken, daß die Zahl der Beamten vermehrt wird, zu den vor¬
handenen Rädern werden unablässig neue eingerichtet, das minutiöse Vielregieren
ist im Ganzen gewissenhaft, es ist auch in den meisten Staaten wohlmeinend
für das Volk, aber es ist unläugbar eine große Vormundschaft über Fürst und
Volk geworden. Diese Vormundschaft wird durch einige Hunderte gebildete
Beamtenfamilien ausgeübt, in denen das Privilegium der Aemter fast erblich
geworden ist. Der gesetzliche Sinn dieser Beamten vermag einmal den per¬
sönlichen Willen des Fürsten zum Vortheil für das Land zu beschränken, er wird
vielleicht ebenso oft einschneidende Reformen und eine Verringerung der Bevor¬
mundung aller Unterthanen erschweren. In den kleinen Ländern ist die Volks¬
vertretung, wie umfangreich sie eingerichtet sei, immer ein Kors ä'osuvi'k, der
Grundcharakter des Kleinstaates ist der einer Beamtenaristokratie, welche in dem


Grenzboten IV. 18K6. 65
Die Souveräne als Pairs im Bundesstaat.

Gestatten Sie, Herr Redacteur, in Ihrem Blatt eine Frage zu berühren,
für welche man in den jetzt laufenden Conferenzen zu Berlin eine vorläufige
Antwort sucht, deren definitive Regelung aber wahrscheinlich erst nach längern
parlamentarischen und diplomatischen Verhandlungen stattfinden wird.

Welches soll in dem Bundesstaat die verfassungsmäßige Stellung der Re¬
gierungen zum Bundesoberhaupt einerseits und zum Reichstag andrerseits werden?
Da die Sorge darum die Fürsten des norddeutschen Bundes und ihre Minister
nicht weniger beschäftigt, als 'das deutsche Volk, so möge hier eine Ansicht
zu Worte kommen, welche das Interesse der regierenden Fürsten des Bundes zu
wahren sucht. Wenn dieselbe mit der Auffassung der preußischen Regierung
und mancher nationalgesinnter Männer nicht übereinstimmen sollte, so wird
man ihr doch den Vorwurf nicht machen können, daß sie unberechtigte An¬
sprüche vertrete.

Die regierenden Fürsten der meisten Staaten, welche jetzt dem norddeutschen
Bunde angehören sollen, hatten schon vor dem Sommer dieses Jahres das leb¬
hafte Bewußtsein, daß ihr Verhältniß zur deutschen Nation ein zweifelhaftes
und ihre Stellung im alten Bunde unhaltbar geworden sei. Grade die Re-
genten kleinerer Staaten waren sich wohl bewußt, daß in der Hauptsache nicht
sie selbst regierten, sondern ihre Beamten. Die kunstvolle und complicirte Re¬
gierungsmaschinerie, welche mehre Generationen der Vorfahren eingerichtet,
hat in den kleineren Ländern einen Umfang und eine Bedeutung gewonnen,
welcher der Regent selbst nur schwer widerstehen kann. Alle Reformen sind nur
dadurch zu bewirken, daß die Zahl der Beamten vermehrt wird, zu den vor¬
handenen Rädern werden unablässig neue eingerichtet, das minutiöse Vielregieren
ist im Ganzen gewissenhaft, es ist auch in den meisten Staaten wohlmeinend
für das Volk, aber es ist unläugbar eine große Vormundschaft über Fürst und
Volk geworden. Diese Vormundschaft wird durch einige Hunderte gebildete
Beamtenfamilien ausgeübt, in denen das Privilegium der Aemter fast erblich
geworden ist. Der gesetzliche Sinn dieser Beamten vermag einmal den per¬
sönlichen Willen des Fürsten zum Vortheil für das Land zu beschränken, er wird
vielleicht ebenso oft einschneidende Reformen und eine Verringerung der Bevor¬
mundung aller Unterthanen erschweren. In den kleinen Ländern ist die Volks¬
vertretung, wie umfangreich sie eingerichtet sei, immer ein Kors ä'osuvi'k, der
Grundcharakter des Kleinstaates ist der einer Beamtenaristokratie, welche in dem


Grenzboten IV. 18K6. 65
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[0547] Die Souveräne als Pairs im Bundesstaat. Gestatten Sie, Herr Redacteur, in Ihrem Blatt eine Frage zu berühren, für welche man in den jetzt laufenden Conferenzen zu Berlin eine vorläufige Antwort sucht, deren definitive Regelung aber wahrscheinlich erst nach längern parlamentarischen und diplomatischen Verhandlungen stattfinden wird. Welches soll in dem Bundesstaat die verfassungsmäßige Stellung der Re¬ gierungen zum Bundesoberhaupt einerseits und zum Reichstag andrerseits werden? Da die Sorge darum die Fürsten des norddeutschen Bundes und ihre Minister nicht weniger beschäftigt, als 'das deutsche Volk, so möge hier eine Ansicht zu Worte kommen, welche das Interesse der regierenden Fürsten des Bundes zu wahren sucht. Wenn dieselbe mit der Auffassung der preußischen Regierung und mancher nationalgesinnter Männer nicht übereinstimmen sollte, so wird man ihr doch den Vorwurf nicht machen können, daß sie unberechtigte An¬ sprüche vertrete. Die regierenden Fürsten der meisten Staaten, welche jetzt dem norddeutschen Bunde angehören sollen, hatten schon vor dem Sommer dieses Jahres das leb¬ hafte Bewußtsein, daß ihr Verhältniß zur deutschen Nation ein zweifelhaftes und ihre Stellung im alten Bunde unhaltbar geworden sei. Grade die Re- genten kleinerer Staaten waren sich wohl bewußt, daß in der Hauptsache nicht sie selbst regierten, sondern ihre Beamten. Die kunstvolle und complicirte Re¬ gierungsmaschinerie, welche mehre Generationen der Vorfahren eingerichtet, hat in den kleineren Ländern einen Umfang und eine Bedeutung gewonnen, welcher der Regent selbst nur schwer widerstehen kann. Alle Reformen sind nur dadurch zu bewirken, daß die Zahl der Beamten vermehrt wird, zu den vor¬ handenen Rädern werden unablässig neue eingerichtet, das minutiöse Vielregieren ist im Ganzen gewissenhaft, es ist auch in den meisten Staaten wohlmeinend für das Volk, aber es ist unläugbar eine große Vormundschaft über Fürst und Volk geworden. Diese Vormundschaft wird durch einige Hunderte gebildete Beamtenfamilien ausgeübt, in denen das Privilegium der Aemter fast erblich geworden ist. Der gesetzliche Sinn dieser Beamten vermag einmal den per¬ sönlichen Willen des Fürsten zum Vortheil für das Land zu beschränken, er wird vielleicht ebenso oft einschneidende Reformen und eine Verringerung der Bevor¬ mundung aller Unterthanen erschweren. In den kleinen Ländern ist die Volks¬ vertretung, wie umfangreich sie eingerichtet sei, immer ein Kors ä'osuvi'k, der Grundcharakter des Kleinstaates ist der einer Beamtenaristokratie, welche in dem Grenzboten IV. 18K6. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/547>, abgerufen am 03.07.2024.