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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Novelle von Fritz Reuter.

Otte Kamelien von Fritz Reuter. Sechster Theil. Wismar, Rostock und Lud¬
wigslust. Hinstorffsche Hofbuchhandlung.

Wieder hat der volkstümlichste Dichter des nördlichen Deutschlands dem
Leser sein Jahresgeschenk gemacht, und die neue Novelle erweist alle Borzüge
seines Talents in ebenso heiterer Fülle, wie nur eine seiner frühern Poesien.
Es sind wieder Zustände und Personen aus seiner enger" Heimath Mecklenburg,
diesmal der ansehnlichen Stadt Neubrandenburg und den letzten Jahrzehnten
des vorigen Jahrhunderts entnommen. Die Novelle erhält dadurch ein gewisses
historischem Costüm" und dieser Zusatz in der Färbung der Charaktere und des
Tons giebt ihr ein" epische Ruhe und der prächtigen Laune des Dichters eine
Haltung, welche dem Referenten den anmuthigen Eindruck gesteigert hat, und
welche nicht einmal von den Lesern, welche vor allem Späße suchen, als eine
Verminderung der lustigen Wirkung aufgefaßt werden darf.

Die Art, wie Fritz Reuter das Kleinleben einer norddeutschen Stadt in
enger und armer Zeit schildert, ist wahrhaft herzcrfreucnd. Ein reiches Dichter¬
gemüth, ein Herz voll Liebe zur Menschheit, die heitere und freie Auffassung
aller irdischen Verhältnisse geben dem unübertrefflichen Detail seiner humoristi¬
schen Darstellung in diesem Werk fast überall die gleichmäßige poetische Ver¬
klärung, welche ein Kunstwerk nicht entbehren darf. Mittelpunkt der Erzählung
ist das Verhältniß des wackern Conrectors und Organisten Aepinus, eines
tapferen Fünfzigers, zu seiner Wirthschafterin, der Jungfer Dorothea Holze.
Die Sonne der Novelle, welche Glanz und Leben auf die Umgebung ausstrahlt,
ist der Charakter dieses energischen, verständigen, einfachen und gemüthc reichen
Bürgermädchens; sie sieht zuletzt ben geheimen Wunsch ihres Herzens erfüllt
und sich zur Frau Conrcctvrin befördert. Dies Seelenverhältuiß zweier tüchtiger
Menschen, welche nicht mehr in grüner Jugend stehen, ist mit einer Innigkeit,
Zartheit und edlen Reinheit behandelt, welche der höchsten Bewunderung werth
sind. Der Dichter weiß zu machen, daß man das Drollige und Beschränkte
seiner Menschen in demselben Augenblick mit heiterem Lächeln empfindet, wo
man sich ihres tiefen Inhalts und ihrer tüchtigen Kraft mit Sympathie, ja
mit Rührung bewußt wird. Auch dn Kreis von Gestalten, in denen sie sich
bewegen, umfaßt eine ganze Anzahl von originellen Charakteren, vor andern
ausgezeichnet die meisterhafte Gestalt der Bäckerin Schulze und ihres Mannes
und die jüngere Schwester der Heldin.


Novelle von Fritz Reuter.

Otte Kamelien von Fritz Reuter. Sechster Theil. Wismar, Rostock und Lud¬
wigslust. Hinstorffsche Hofbuchhandlung.

Wieder hat der volkstümlichste Dichter des nördlichen Deutschlands dem
Leser sein Jahresgeschenk gemacht, und die neue Novelle erweist alle Borzüge
seines Talents in ebenso heiterer Fülle, wie nur eine seiner frühern Poesien.
Es sind wieder Zustände und Personen aus seiner enger» Heimath Mecklenburg,
diesmal der ansehnlichen Stadt Neubrandenburg und den letzten Jahrzehnten
des vorigen Jahrhunderts entnommen. Die Novelle erhält dadurch ein gewisses
historischem Costüm» und dieser Zusatz in der Färbung der Charaktere und des
Tons giebt ihr ein« epische Ruhe und der prächtigen Laune des Dichters eine
Haltung, welche dem Referenten den anmuthigen Eindruck gesteigert hat, und
welche nicht einmal von den Lesern, welche vor allem Späße suchen, als eine
Verminderung der lustigen Wirkung aufgefaßt werden darf.

Die Art, wie Fritz Reuter das Kleinleben einer norddeutschen Stadt in
enger und armer Zeit schildert, ist wahrhaft herzcrfreucnd. Ein reiches Dichter¬
gemüth, ein Herz voll Liebe zur Menschheit, die heitere und freie Auffassung
aller irdischen Verhältnisse geben dem unübertrefflichen Detail seiner humoristi¬
schen Darstellung in diesem Werk fast überall die gleichmäßige poetische Ver¬
klärung, welche ein Kunstwerk nicht entbehren darf. Mittelpunkt der Erzählung
ist das Verhältniß des wackern Conrectors und Organisten Aepinus, eines
tapferen Fünfzigers, zu seiner Wirthschafterin, der Jungfer Dorothea Holze.
Die Sonne der Novelle, welche Glanz und Leben auf die Umgebung ausstrahlt,
ist der Charakter dieses energischen, verständigen, einfachen und gemüthc reichen
Bürgermädchens; sie sieht zuletzt ben geheimen Wunsch ihres Herzens erfüllt
und sich zur Frau Conrcctvrin befördert. Dies Seelenverhältuiß zweier tüchtiger
Menschen, welche nicht mehr in grüner Jugend stehen, ist mit einer Innigkeit,
Zartheit und edlen Reinheit behandelt, welche der höchsten Bewunderung werth
sind. Der Dichter weiß zu machen, daß man das Drollige und Beschränkte
seiner Menschen in demselben Augenblick mit heiterem Lächeln empfindet, wo
man sich ihres tiefen Inhalts und ihrer tüchtigen Kraft mit Sympathie, ja
mit Rührung bewußt wird. Auch dn Kreis von Gestalten, in denen sie sich
bewegen, umfaßt eine ganze Anzahl von originellen Charakteren, vor andern
ausgezeichnet die meisterhafte Gestalt der Bäckerin Schulze und ihres Mannes
und die jüngere Schwester der Heldin.


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[0419] Novelle von Fritz Reuter. Otte Kamelien von Fritz Reuter. Sechster Theil. Wismar, Rostock und Lud¬ wigslust. Hinstorffsche Hofbuchhandlung. Wieder hat der volkstümlichste Dichter des nördlichen Deutschlands dem Leser sein Jahresgeschenk gemacht, und die neue Novelle erweist alle Borzüge seines Talents in ebenso heiterer Fülle, wie nur eine seiner frühern Poesien. Es sind wieder Zustände und Personen aus seiner enger» Heimath Mecklenburg, diesmal der ansehnlichen Stadt Neubrandenburg und den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entnommen. Die Novelle erhält dadurch ein gewisses historischem Costüm» und dieser Zusatz in der Färbung der Charaktere und des Tons giebt ihr ein« epische Ruhe und der prächtigen Laune des Dichters eine Haltung, welche dem Referenten den anmuthigen Eindruck gesteigert hat, und welche nicht einmal von den Lesern, welche vor allem Späße suchen, als eine Verminderung der lustigen Wirkung aufgefaßt werden darf. Die Art, wie Fritz Reuter das Kleinleben einer norddeutschen Stadt in enger und armer Zeit schildert, ist wahrhaft herzcrfreucnd. Ein reiches Dichter¬ gemüth, ein Herz voll Liebe zur Menschheit, die heitere und freie Auffassung aller irdischen Verhältnisse geben dem unübertrefflichen Detail seiner humoristi¬ schen Darstellung in diesem Werk fast überall die gleichmäßige poetische Ver¬ klärung, welche ein Kunstwerk nicht entbehren darf. Mittelpunkt der Erzählung ist das Verhältniß des wackern Conrectors und Organisten Aepinus, eines tapferen Fünfzigers, zu seiner Wirthschafterin, der Jungfer Dorothea Holze. Die Sonne der Novelle, welche Glanz und Leben auf die Umgebung ausstrahlt, ist der Charakter dieses energischen, verständigen, einfachen und gemüthc reichen Bürgermädchens; sie sieht zuletzt ben geheimen Wunsch ihres Herzens erfüllt und sich zur Frau Conrcctvrin befördert. Dies Seelenverhältuiß zweier tüchtiger Menschen, welche nicht mehr in grüner Jugend stehen, ist mit einer Innigkeit, Zartheit und edlen Reinheit behandelt, welche der höchsten Bewunderung werth sind. Der Dichter weiß zu machen, daß man das Drollige und Beschränkte seiner Menschen in demselben Augenblick mit heiterem Lächeln empfindet, wo man sich ihres tiefen Inhalts und ihrer tüchtigen Kraft mit Sympathie, ja mit Rührung bewußt wird. Auch dn Kreis von Gestalten, in denen sie sich bewegen, umfaßt eine ganze Anzahl von originellen Charakteren, vor andern ausgezeichnet die meisterhafte Gestalt der Bäckerin Schulze und ihres Mannes und die jüngere Schwester der Heldin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/419>, abgerufen am 22.07.2024.