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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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lichen Cohärenz und der materiellen Interessen; und da der Handelstag vom
18. October 1862 mehr realen Tic hatte, als der Abgcvrdnetcntag vom 20. Mai
1866, so wendeten sich die Dinge alsbald so. daß David Hansemann das
Ehrenamt eines Mitgliedes und Vorsitzenden des Vorstandes verlor, und die
östreichischen Handelskammern, Korporationen und Vereine auftraten. Seitdem
hat man die Oestreicher nicht wieder gesehn und auch die Zahl der Süddeutschen
begann zu schwinden. Die der Norddeutschen und Mitteldeutschen wuchs.

So kam es. daß als am 4. August 1866 in Braunschweig der Vorstand
des Handelstags und der des volkswirtschaftlichen Kongresses aus Anlaß der Neu>
gestaltung Deutschlands zusammentraten, vorwiegend die nördlichen und mittleren
Provinzen Deutschlands vertreten waren. Ein Mann aus dem Süden, der
beiden Vorständen angehört und in beiden eine hervorragende Stellung einnimmt,
war offenbar durch die damals seine würtenbergische Heimath speciell berühren¬
den Kriegsereignisse verhindert. Sonst wäre er sicher gekommen. Er besitzt
den ganzen Scharfsinn seiner Landsleute, aber er ist völlig erhaben über jene
scheelsüchtige particularistische Kleinmeisterei. jenen Hang zu abstracten juristisch¬
theologischem Formalismus und zu nichtssagenden guerelles allkmarräss, woran
unsere lieben Brüder in Schwaben zuweilen kranken. Es ist der Großhändler
Herr Gustav Müller in Stuttgart.

Genug für heute. In meinem nächsten Briefe werde ich die Verhandlun¬
gen des Handelstages und des volkswirthschaftlichen Congresses vom 4. August
näher beleuchten und gelegentlich auch den Beweis führen, daß man irrt, wenn
man glaubt, obige lange Einleitung sei überflüssig.




Erklärung der Redaction des (alten) Wiener Fremdenblatts.
(Redacteur: Bernhard Friedmann, Verleger: Gustav Heine.)

Beim Schluß des Heftes geht uns folgender Brief zu:

Geehrte Redaction! Die schmerzliche Aufregung, in welche wir Oestreich" durch
den unglücklichen Ausgang des Krieges und durch die sich daran knüpfenden trau¬
rigen Erfahrungen versetzt wurden, wird noch in hohem Grade gesteigert durch die
Anschuldigungen, womit im Vollgefühle der so rasch errungenen Siege Preußens
ein Theil der dortigen Presse nunmehr das östreichische Volk überschüttet, indem man
dasselbe für die Niederlage des Heeres und für das unselige System, welches haupt¬
sächlich diese Niederlage herbeigeführt, verantwortlich zu machen sucht.

Dieses pas viotis! gräbt sich mit verbitternder Schärfe besonders in die Herzen
der Deutschöstrcichcr ein, welche den doppelten Verlust, den sie als Oestreicher und
als Deutsche erlitten haben, in seiner schweren Bedeutung erkennen und in tiefer
Vekümmerniß der wettern Entwickelung der Ereignisse entgegensehen. Die auswär¬
tigen Blätter stützen sich bei ihrer Beurtheilung der öffentlichen Meinung Oestreichs
fast vorwiegend auf die Aussprüche einiger wiener Journale und aus diesen wurde
auch das Material zu jenem allerdings tragikomischen Tageskalcndcr entnommen,
welchen die "norddeutsche Allg. Zeit." bezüglich der Stimmung und Haltung der
Wiener in dem verhängnißvollen Zeitraum vom 27. Juni bis S. Juli zusammenge¬
stellt hat.


lichen Cohärenz und der materiellen Interessen; und da der Handelstag vom
18. October 1862 mehr realen Tic hatte, als der Abgcvrdnetcntag vom 20. Mai
1866, so wendeten sich die Dinge alsbald so. daß David Hansemann das
Ehrenamt eines Mitgliedes und Vorsitzenden des Vorstandes verlor, und die
östreichischen Handelskammern, Korporationen und Vereine auftraten. Seitdem
hat man die Oestreicher nicht wieder gesehn und auch die Zahl der Süddeutschen
begann zu schwinden. Die der Norddeutschen und Mitteldeutschen wuchs.

So kam es. daß als am 4. August 1866 in Braunschweig der Vorstand
des Handelstags und der des volkswirtschaftlichen Kongresses aus Anlaß der Neu>
gestaltung Deutschlands zusammentraten, vorwiegend die nördlichen und mittleren
Provinzen Deutschlands vertreten waren. Ein Mann aus dem Süden, der
beiden Vorständen angehört und in beiden eine hervorragende Stellung einnimmt,
war offenbar durch die damals seine würtenbergische Heimath speciell berühren¬
den Kriegsereignisse verhindert. Sonst wäre er sicher gekommen. Er besitzt
den ganzen Scharfsinn seiner Landsleute, aber er ist völlig erhaben über jene
scheelsüchtige particularistische Kleinmeisterei. jenen Hang zu abstracten juristisch¬
theologischem Formalismus und zu nichtssagenden guerelles allkmarräss, woran
unsere lieben Brüder in Schwaben zuweilen kranken. Es ist der Großhändler
Herr Gustav Müller in Stuttgart.

Genug für heute. In meinem nächsten Briefe werde ich die Verhandlun¬
gen des Handelstages und des volkswirthschaftlichen Congresses vom 4. August
näher beleuchten und gelegentlich auch den Beweis führen, daß man irrt, wenn
man glaubt, obige lange Einleitung sei überflüssig.




Erklärung der Redaction des (alten) Wiener Fremdenblatts.
(Redacteur: Bernhard Friedmann, Verleger: Gustav Heine.)

Beim Schluß des Heftes geht uns folgender Brief zu:

Geehrte Redaction! Die schmerzliche Aufregung, in welche wir Oestreich» durch
den unglücklichen Ausgang des Krieges und durch die sich daran knüpfenden trau¬
rigen Erfahrungen versetzt wurden, wird noch in hohem Grade gesteigert durch die
Anschuldigungen, womit im Vollgefühle der so rasch errungenen Siege Preußens
ein Theil der dortigen Presse nunmehr das östreichische Volk überschüttet, indem man
dasselbe für die Niederlage des Heeres und für das unselige System, welches haupt¬
sächlich diese Niederlage herbeigeführt, verantwortlich zu machen sucht.

Dieses pas viotis! gräbt sich mit verbitternder Schärfe besonders in die Herzen
der Deutschöstrcichcr ein, welche den doppelten Verlust, den sie als Oestreicher und
als Deutsche erlitten haben, in seiner schweren Bedeutung erkennen und in tiefer
Vekümmerniß der wettern Entwickelung der Ereignisse entgegensehen. Die auswär¬
tigen Blätter stützen sich bei ihrer Beurtheilung der öffentlichen Meinung Oestreichs
fast vorwiegend auf die Aussprüche einiger wiener Journale und aus diesen wurde
auch das Material zu jenem allerdings tragikomischen Tageskalcndcr entnommen,
welchen die „norddeutsche Allg. Zeit." bezüglich der Stimmung und Haltung der
Wiener in dem verhängnißvollen Zeitraum vom 27. Juni bis S. Juli zusammenge¬
stellt hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/343>, abgerufen am 22.07.2024.