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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die Stimmung vor dem Frieden.

Wie eine Windsbraut fuhr der Krieg über die deutschen Länder, er schüttete
seinen ehernen Hagel aus die Fluren, ehe wir es gedacht, und er ist vorüber¬
gerauscht, weit schneller, als wir geahnt. Aus den zerstampften Halmen der
Schlachtfelder hebt schüchtern der junge Friede sein rosiges Antlitz. Vier Wochen
lebten wir unter dem Zwang der größten und furchtbarsten Ereignisse, welche
je die Seelen der Menschen bewegt haben; wie ein Traum, wie eine Be-
zauberung war diese Zeit, wir schauen erstaunt um uns in eine veränderte
Welt.

Das deutsche Volk ist in der Lage eines armen Kindes, welches Plötzlich
hört, daß heut Geburtstag sei und zugleich einen großen zugebundenen Beutel
als Angebinde in seinem Schoße sieht. Ueberrascht und getheilt zwischen Freude
und Schreck zieht es an den Schnüren, aber zugleich regt sich heimlicher Wunsch
und Begehrlichkeit, seine Gedanken fliegen über alles weg, was die Augen
schauen, und es hofft eine noch nicht sichtbare Fülle von Schätzen, die es sich
lange ersehnt hat. So sieht der Deutsche verwundert die zahlreichen Schilder¬
häuser von Hessen-Kassel mit neuer schwarzer und weißer Farbe gestrichen, er
schaut das Blechkreuz am Czako der Landwehr auf den Straßen sächsischer
Städte, er hört, daß der Höhenrauch, der im Frühlinge aus den Mooren Ost¬
frieslands aufsteigt, ein preußischer Nebel werden soll. Und er beginnt sogleich,
wenn er ein echter Deutscher ist. kritische Musterung über den vorhandenen
Hausrath seines Lebens und sucht, wie weit er zu der neuen Habe passe.
Manches, was ihm lange Zeit für eisenfest gegolten hat, ist plötzlich hinfällig
geworden.

Er findet unter anderem, daß die.Thaten und Leiden des letzten Monats
allen Landkarten Deutschlands dringend eine Rectification auferlegen. Schon in
den letzten Wochen war der Patriot mit diesem Zweig höherer Industrie un-
ablässig unzufrieden, der beste Atlas bot ihm vielleicht nicht die Dörfer Sadowa


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Die Stimmung vor dem Frieden.

Wie eine Windsbraut fuhr der Krieg über die deutschen Länder, er schüttete
seinen ehernen Hagel aus die Fluren, ehe wir es gedacht, und er ist vorüber¬
gerauscht, weit schneller, als wir geahnt. Aus den zerstampften Halmen der
Schlachtfelder hebt schüchtern der junge Friede sein rosiges Antlitz. Vier Wochen
lebten wir unter dem Zwang der größten und furchtbarsten Ereignisse, welche
je die Seelen der Menschen bewegt haben; wie ein Traum, wie eine Be-
zauberung war diese Zeit, wir schauen erstaunt um uns in eine veränderte
Welt.

Das deutsche Volk ist in der Lage eines armen Kindes, welches Plötzlich
hört, daß heut Geburtstag sei und zugleich einen großen zugebundenen Beutel
als Angebinde in seinem Schoße sieht. Ueberrascht und getheilt zwischen Freude
und Schreck zieht es an den Schnüren, aber zugleich regt sich heimlicher Wunsch
und Begehrlichkeit, seine Gedanken fliegen über alles weg, was die Augen
schauen, und es hofft eine noch nicht sichtbare Fülle von Schätzen, die es sich
lange ersehnt hat. So sieht der Deutsche verwundert die zahlreichen Schilder¬
häuser von Hessen-Kassel mit neuer schwarzer und weißer Farbe gestrichen, er
schaut das Blechkreuz am Czako der Landwehr auf den Straßen sächsischer
Städte, er hört, daß der Höhenrauch, der im Frühlinge aus den Mooren Ost¬
frieslands aufsteigt, ein preußischer Nebel werden soll. Und er beginnt sogleich,
wenn er ein echter Deutscher ist. kritische Musterung über den vorhandenen
Hausrath seines Lebens und sucht, wie weit er zu der neuen Habe passe.
Manches, was ihm lange Zeit für eisenfest gegolten hat, ist plötzlich hinfällig
geworden.

Er findet unter anderem, daß die.Thaten und Leiden des letzten Monats
allen Landkarten Deutschlands dringend eine Rectification auferlegen. Schon in
den letzten Wochen war der Patriot mit diesem Zweig höherer Industrie un-
ablässig unzufrieden, der beste Atlas bot ihm vielleicht nicht die Dörfer Sadowa


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[0221] Die Stimmung vor dem Frieden. Wie eine Windsbraut fuhr der Krieg über die deutschen Länder, er schüttete seinen ehernen Hagel aus die Fluren, ehe wir es gedacht, und er ist vorüber¬ gerauscht, weit schneller, als wir geahnt. Aus den zerstampften Halmen der Schlachtfelder hebt schüchtern der junge Friede sein rosiges Antlitz. Vier Wochen lebten wir unter dem Zwang der größten und furchtbarsten Ereignisse, welche je die Seelen der Menschen bewegt haben; wie ein Traum, wie eine Be- zauberung war diese Zeit, wir schauen erstaunt um uns in eine veränderte Welt. Das deutsche Volk ist in der Lage eines armen Kindes, welches Plötzlich hört, daß heut Geburtstag sei und zugleich einen großen zugebundenen Beutel als Angebinde in seinem Schoße sieht. Ueberrascht und getheilt zwischen Freude und Schreck zieht es an den Schnüren, aber zugleich regt sich heimlicher Wunsch und Begehrlichkeit, seine Gedanken fliegen über alles weg, was die Augen schauen, und es hofft eine noch nicht sichtbare Fülle von Schätzen, die es sich lange ersehnt hat. So sieht der Deutsche verwundert die zahlreichen Schilder¬ häuser von Hessen-Kassel mit neuer schwarzer und weißer Farbe gestrichen, er schaut das Blechkreuz am Czako der Landwehr auf den Straßen sächsischer Städte, er hört, daß der Höhenrauch, der im Frühlinge aus den Mooren Ost¬ frieslands aufsteigt, ein preußischer Nebel werden soll. Und er beginnt sogleich, wenn er ein echter Deutscher ist. kritische Musterung über den vorhandenen Hausrath seines Lebens und sucht, wie weit er zu der neuen Habe passe. Manches, was ihm lange Zeit für eisenfest gegolten hat, ist plötzlich hinfällig geworden. Er findet unter anderem, daß die.Thaten und Leiden des letzten Monats allen Landkarten Deutschlands dringend eine Rectification auferlegen. Schon in den letzten Wochen war der Patriot mit diesem Zweig höherer Industrie un- ablässig unzufrieden, der beste Atlas bot ihm vielleicht nicht die Dörfer Sadowa Grmjboten III- 186K. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/221>, abgerufen am 22.07.2024.