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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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lebenskräftig sind", hat jüngst erst König Karl von Würtemberg gesagt; daß
die einzelnen Glieder einer würtembergischen. einer nassauischen und anderer
Sonderarmeen nicht lebenskräftig sind, haben die Ereignisse bewiesen; zeige
man nun den Muth ehrlichen Zugeständnisses. Wenn so viel Kraft, die jetzt
brach liegt und sich zersplittert, erhalten, gesammelt und einheitlich verwandt
wird, wollen wir das Blut segnen, das im Sommer dieses Jahres unsere
deutsche Erde netzt. Es wird dann nicht vergebens vergossen sein.

Wir, abseits der großen Heerstraße, harren bang jeder Kunde, die in unser
stilles Thal hereinbringt. Unsere Herzen sind außen bei den Fahnen Preußens.
An jedem sonnigen Tag denken wir der tapferen Krieger und sorgen, daß die
Gluth sie erschöpfe; an jedem regnerischen zittern wir, daß tückisches Fieber
ihnen nahe. Sie kämpfen für Deutschlands Zukunft. Wir jubeln über die
herrlichen Siege, und das Auge leuchtet, wo Einer dem Andern neue Botschaft
meldet. Wir sind deshalb nicht voll Uebermuths; auch auf ernste Kunde halten
wir uns gefaßt und sehen ohne Zagen selbst unter Friedenshoffnungen Wechsel¬
fällen des Glücks entgegen. Aber unerschütterlich steht unsre Zuversicht, daß kein
andrer Friede kommen wird, aus der Waffenruhe und ihren Verhandlungen, als
ein solcher, der Deutschland wahrhaft Frieden bringt; und daß dann glücklichere
Tage anbrechen werden, wo ein gemeinsames Gefühl uns alle bewegt.--
Tage, nach denen wir seit Kind auf sehnsüchtig ausgeschaut, ohne zu hoffen,
daß wir selbst sie erleben würden, Tage, wo aus Hannover und München wie
aus Dresden und Kassel, aus Berlin wie aus unserm friedlichen Städtchen,
unsere Männer zum Parlament und unsere Söhne zum Heer des einigen
Bl. Deutschlands ziehen.




Die erste Julwoche in wiener Spiegelbildern.

In den officiellen wiener Kreisen, insbesondere in der Umgebung der frü¬
heren Staatskanzlei gilt die Bezeichnung: kleindeutscher Geschichtsbaumeister als
der gröbste Schimpf. Kleindeutsche Geschichtsbaumeister, das sind Leute, die nach
officieller Ansicht von Natur bereits gründlich verdorben sind und sich überdies ihre
Verdorbenheit noch bezahlen lassen. Hätte Dante heutzutage gelebt, er würde gewiß
statt des Brutus und Cassius Sybel und Hauffer in Luzifers Rachen geschildert
haben. Nach der sittlichen Entrüstung zu schließen, welche in Wien über die klein-


Grenzvoten M. 1866. 23

lebenskräftig sind", hat jüngst erst König Karl von Würtemberg gesagt; daß
die einzelnen Glieder einer würtembergischen. einer nassauischen und anderer
Sonderarmeen nicht lebenskräftig sind, haben die Ereignisse bewiesen; zeige
man nun den Muth ehrlichen Zugeständnisses. Wenn so viel Kraft, die jetzt
brach liegt und sich zersplittert, erhalten, gesammelt und einheitlich verwandt
wird, wollen wir das Blut segnen, das im Sommer dieses Jahres unsere
deutsche Erde netzt. Es wird dann nicht vergebens vergossen sein.

Wir, abseits der großen Heerstraße, harren bang jeder Kunde, die in unser
stilles Thal hereinbringt. Unsere Herzen sind außen bei den Fahnen Preußens.
An jedem sonnigen Tag denken wir der tapferen Krieger und sorgen, daß die
Gluth sie erschöpfe; an jedem regnerischen zittern wir, daß tückisches Fieber
ihnen nahe. Sie kämpfen für Deutschlands Zukunft. Wir jubeln über die
herrlichen Siege, und das Auge leuchtet, wo Einer dem Andern neue Botschaft
meldet. Wir sind deshalb nicht voll Uebermuths; auch auf ernste Kunde halten
wir uns gefaßt und sehen ohne Zagen selbst unter Friedenshoffnungen Wechsel¬
fällen des Glücks entgegen. Aber unerschütterlich steht unsre Zuversicht, daß kein
andrer Friede kommen wird, aus der Waffenruhe und ihren Verhandlungen, als
ein solcher, der Deutschland wahrhaft Frieden bringt; und daß dann glücklichere
Tage anbrechen werden, wo ein gemeinsames Gefühl uns alle bewegt.—
Tage, nach denen wir seit Kind auf sehnsüchtig ausgeschaut, ohne zu hoffen,
daß wir selbst sie erleben würden, Tage, wo aus Hannover und München wie
aus Dresden und Kassel, aus Berlin wie aus unserm friedlichen Städtchen,
unsere Männer zum Parlament und unsere Söhne zum Heer des einigen
Bl. Deutschlands ziehen.




Die erste Julwoche in wiener Spiegelbildern.

In den officiellen wiener Kreisen, insbesondere in der Umgebung der frü¬
heren Staatskanzlei gilt die Bezeichnung: kleindeutscher Geschichtsbaumeister als
der gröbste Schimpf. Kleindeutsche Geschichtsbaumeister, das sind Leute, die nach
officieller Ansicht von Natur bereits gründlich verdorben sind und sich überdies ihre
Verdorbenheit noch bezahlen lassen. Hätte Dante heutzutage gelebt, er würde gewiß
statt des Brutus und Cassius Sybel und Hauffer in Luzifers Rachen geschildert
haben. Nach der sittlichen Entrüstung zu schließen, welche in Wien über die klein-


Grenzvoten M. 1866. 23
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[0195] lebenskräftig sind", hat jüngst erst König Karl von Würtemberg gesagt; daß die einzelnen Glieder einer würtembergischen. einer nassauischen und anderer Sonderarmeen nicht lebenskräftig sind, haben die Ereignisse bewiesen; zeige man nun den Muth ehrlichen Zugeständnisses. Wenn so viel Kraft, die jetzt brach liegt und sich zersplittert, erhalten, gesammelt und einheitlich verwandt wird, wollen wir das Blut segnen, das im Sommer dieses Jahres unsere deutsche Erde netzt. Es wird dann nicht vergebens vergossen sein. Wir, abseits der großen Heerstraße, harren bang jeder Kunde, die in unser stilles Thal hereinbringt. Unsere Herzen sind außen bei den Fahnen Preußens. An jedem sonnigen Tag denken wir der tapferen Krieger und sorgen, daß die Gluth sie erschöpfe; an jedem regnerischen zittern wir, daß tückisches Fieber ihnen nahe. Sie kämpfen für Deutschlands Zukunft. Wir jubeln über die herrlichen Siege, und das Auge leuchtet, wo Einer dem Andern neue Botschaft meldet. Wir sind deshalb nicht voll Uebermuths; auch auf ernste Kunde halten wir uns gefaßt und sehen ohne Zagen selbst unter Friedenshoffnungen Wechsel¬ fällen des Glücks entgegen. Aber unerschütterlich steht unsre Zuversicht, daß kein andrer Friede kommen wird, aus der Waffenruhe und ihren Verhandlungen, als ein solcher, der Deutschland wahrhaft Frieden bringt; und daß dann glücklichere Tage anbrechen werden, wo ein gemeinsames Gefühl uns alle bewegt.— Tage, nach denen wir seit Kind auf sehnsüchtig ausgeschaut, ohne zu hoffen, daß wir selbst sie erleben würden, Tage, wo aus Hannover und München wie aus Dresden und Kassel, aus Berlin wie aus unserm friedlichen Städtchen, unsere Männer zum Parlament und unsere Söhne zum Heer des einigen Bl. Deutschlands ziehen. Die erste Julwoche in wiener Spiegelbildern. In den officiellen wiener Kreisen, insbesondere in der Umgebung der frü¬ heren Staatskanzlei gilt die Bezeichnung: kleindeutscher Geschichtsbaumeister als der gröbste Schimpf. Kleindeutsche Geschichtsbaumeister, das sind Leute, die nach officieller Ansicht von Natur bereits gründlich verdorben sind und sich überdies ihre Verdorbenheit noch bezahlen lassen. Hätte Dante heutzutage gelebt, er würde gewiß statt des Brutus und Cassius Sybel und Hauffer in Luzifers Rachen geschildert haben. Nach der sittlichen Entrüstung zu schließen, welche in Wien über die klein- Grenzvoten M. 1866. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/195>, abgerufen am 03.07.2024.