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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Mseit der Heerstraße.

Ein freundliches Städtchen im mittleren Deutschland. Mit der ansehn¬
lichen Handelsstadt, von der diese Blätter neulich erzählten, kann es nicht von
fern sich messen. Die Rührigkeit seiner wackern Bewohner hat noch den be¬
haglichen Charakter früherer Tage; nirgends ein Hasten und Drängen, -- geht
man Mittags über den sonnigen Markt, hat jeder noch seinen eigenen Schat¬
ten. Eine Eisenbahn führt zwar vorüber, doch werden die Aktionäre nicht gern
daran erinnert, da der Verkehr ein bescheidenes Maß bisher nicht überschritt.
Ganz im Grünen versteckt und von sanftwelligen Höhen umgeben, liegt das
Städtchen fast heimlich da, wie unberührt vom Lärm der Außenwelt. Aber das
Echo des Kriegs dringt doch hinein.

Man wollte es lange nicht glauben, daß man könnte in Mitleidenschaft
gezogen werden. Uns deutschen Kleinstaatlern ist das staatliche Bewußtsein so
gering entwickelt, daß wir eine ausgesprochene VorlKbe für die bequeme Zu¬
schauerrolle empfinden. Nicht aus Mangel mannhaften Sinns; aber man
meint, zu machtlos zu sein, um irgendwie wirksam eingreifen zu können, und
vergißt darüber, daß unsere eigenen Geschicke es sind, die entschieden werden,
und daß es doch wenig ehrenvoll ist, während deß unthätig seitwärts zu sitzen
und höchstens am Biertisch kritisch die Streitfragen zu beleuchten. Sind wir
übrigens über dies erste Stadium hinweg und haben einen Entschluß zu fassen
vermocht, stehen wir unsern Mann so tapfer wie die Großen. Und dies¬
mal wurde es auch den schwankendsten leicht: der famose Mobilisirungs-
beschluß des Bundestags ließ keinen Mittelweg offen; man mußte Partei
ergreisen, und nun ergriff man sie. Wir waren plötzlich mitten im Kriege.

Er begann sehr friedlich. Die kleine Garnison war abgezogen und hatte
uns in unserm freundlichen Thal mit der schönsten Junisonne allein gelassen.
Ein paar Schienen der Eisenbahn waren aufgerissen worden, auch der Tele¬
graph hatte seine Thätigkeit einstellen Müssen, und nun lagen wir einsam
wie eine Insel im Weltmeer. Ehe die altmodische Fahrpost aus ihrem Winkel
hervorgeholt und zur gemächlichen Reise in Stand gesetzt war, vergingen doch
immer ein paar Tage, -- Tage ohne Zeitungen, während die Welt aus den
Fugen ging. Mitten im Herzen Deutschlands sitzend, waren wir aus der Welt-
geschichte heraus und verstanden allmälig den Schmerz des armen Schlemihl,
keinen Schatten zu werfen.

Aber die Ereignisse wenigstens sollten ihre Schatten bald wieder bis zu
uns hin werfen. Breite dunkle Schatten. Gerüchte tauchten auf von blutigen


Grenzboten III. 1866. 22
Mseit der Heerstraße.

Ein freundliches Städtchen im mittleren Deutschland. Mit der ansehn¬
lichen Handelsstadt, von der diese Blätter neulich erzählten, kann es nicht von
fern sich messen. Die Rührigkeit seiner wackern Bewohner hat noch den be¬
haglichen Charakter früherer Tage; nirgends ein Hasten und Drängen, — geht
man Mittags über den sonnigen Markt, hat jeder noch seinen eigenen Schat¬
ten. Eine Eisenbahn führt zwar vorüber, doch werden die Aktionäre nicht gern
daran erinnert, da der Verkehr ein bescheidenes Maß bisher nicht überschritt.
Ganz im Grünen versteckt und von sanftwelligen Höhen umgeben, liegt das
Städtchen fast heimlich da, wie unberührt vom Lärm der Außenwelt. Aber das
Echo des Kriegs dringt doch hinein.

Man wollte es lange nicht glauben, daß man könnte in Mitleidenschaft
gezogen werden. Uns deutschen Kleinstaatlern ist das staatliche Bewußtsein so
gering entwickelt, daß wir eine ausgesprochene VorlKbe für die bequeme Zu¬
schauerrolle empfinden. Nicht aus Mangel mannhaften Sinns; aber man
meint, zu machtlos zu sein, um irgendwie wirksam eingreifen zu können, und
vergißt darüber, daß unsere eigenen Geschicke es sind, die entschieden werden,
und daß es doch wenig ehrenvoll ist, während deß unthätig seitwärts zu sitzen
und höchstens am Biertisch kritisch die Streitfragen zu beleuchten. Sind wir
übrigens über dies erste Stadium hinweg und haben einen Entschluß zu fassen
vermocht, stehen wir unsern Mann so tapfer wie die Großen. Und dies¬
mal wurde es auch den schwankendsten leicht: der famose Mobilisirungs-
beschluß des Bundestags ließ keinen Mittelweg offen; man mußte Partei
ergreisen, und nun ergriff man sie. Wir waren plötzlich mitten im Kriege.

Er begann sehr friedlich. Die kleine Garnison war abgezogen und hatte
uns in unserm freundlichen Thal mit der schönsten Junisonne allein gelassen.
Ein paar Schienen der Eisenbahn waren aufgerissen worden, auch der Tele¬
graph hatte seine Thätigkeit einstellen Müssen, und nun lagen wir einsam
wie eine Insel im Weltmeer. Ehe die altmodische Fahrpost aus ihrem Winkel
hervorgeholt und zur gemächlichen Reise in Stand gesetzt war, vergingen doch
immer ein paar Tage, — Tage ohne Zeitungen, während die Welt aus den
Fugen ging. Mitten im Herzen Deutschlands sitzend, waren wir aus der Welt-
geschichte heraus und verstanden allmälig den Schmerz des armen Schlemihl,
keinen Schatten zu werfen.

Aber die Ereignisse wenigstens sollten ihre Schatten bald wieder bis zu
uns hin werfen. Breite dunkle Schatten. Gerüchte tauchten auf von blutigen


Grenzboten III. 1866. 22
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[0187] Mseit der Heerstraße. Ein freundliches Städtchen im mittleren Deutschland. Mit der ansehn¬ lichen Handelsstadt, von der diese Blätter neulich erzählten, kann es nicht von fern sich messen. Die Rührigkeit seiner wackern Bewohner hat noch den be¬ haglichen Charakter früherer Tage; nirgends ein Hasten und Drängen, — geht man Mittags über den sonnigen Markt, hat jeder noch seinen eigenen Schat¬ ten. Eine Eisenbahn führt zwar vorüber, doch werden die Aktionäre nicht gern daran erinnert, da der Verkehr ein bescheidenes Maß bisher nicht überschritt. Ganz im Grünen versteckt und von sanftwelligen Höhen umgeben, liegt das Städtchen fast heimlich da, wie unberührt vom Lärm der Außenwelt. Aber das Echo des Kriegs dringt doch hinein. Man wollte es lange nicht glauben, daß man könnte in Mitleidenschaft gezogen werden. Uns deutschen Kleinstaatlern ist das staatliche Bewußtsein so gering entwickelt, daß wir eine ausgesprochene VorlKbe für die bequeme Zu¬ schauerrolle empfinden. Nicht aus Mangel mannhaften Sinns; aber man meint, zu machtlos zu sein, um irgendwie wirksam eingreifen zu können, und vergißt darüber, daß unsere eigenen Geschicke es sind, die entschieden werden, und daß es doch wenig ehrenvoll ist, während deß unthätig seitwärts zu sitzen und höchstens am Biertisch kritisch die Streitfragen zu beleuchten. Sind wir übrigens über dies erste Stadium hinweg und haben einen Entschluß zu fassen vermocht, stehen wir unsern Mann so tapfer wie die Großen. Und dies¬ mal wurde es auch den schwankendsten leicht: der famose Mobilisirungs- beschluß des Bundestags ließ keinen Mittelweg offen; man mußte Partei ergreisen, und nun ergriff man sie. Wir waren plötzlich mitten im Kriege. Er begann sehr friedlich. Die kleine Garnison war abgezogen und hatte uns in unserm freundlichen Thal mit der schönsten Junisonne allein gelassen. Ein paar Schienen der Eisenbahn waren aufgerissen worden, auch der Tele¬ graph hatte seine Thätigkeit einstellen Müssen, und nun lagen wir einsam wie eine Insel im Weltmeer. Ehe die altmodische Fahrpost aus ihrem Winkel hervorgeholt und zur gemächlichen Reise in Stand gesetzt war, vergingen doch immer ein paar Tage, — Tage ohne Zeitungen, während die Welt aus den Fugen ging. Mitten im Herzen Deutschlands sitzend, waren wir aus der Welt- geschichte heraus und verstanden allmälig den Schmerz des armen Schlemihl, keinen Schatten zu werfen. Aber die Ereignisse wenigstens sollten ihre Schatten bald wieder bis zu uns hin werfen. Breite dunkle Schatten. Gerüchte tauchten auf von blutigen Grenzboten III. 1866. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/187>, abgerufen am 22.07.2024.