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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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fragen so bunt verschlungen, daß, ohne Schädigung deutscher Interessen, für
den preußischen Staat die mannigfaltigsten Combinationen möglich sind und
gegen drohende Vergewaltigung von irgendeiner Seite her immer noch Trümpfe
mit Hilfenahme der andern ausgespielt werden können. Preußen hat in den
meisten europäischen Fragen die Hand frei und besitzt zugleich die Kraft, diese
Hand energisch dahin oder dorthin ju rühren.

Daher unser Vertrauen, daß an dem ursprünglichen Kriegsziel festgehalten
werden wird; zumal da Graf Bismarck, dächten wir, sich bisher im diploma¬
tischen Kampf den andern Herren am grünen Tisch nicht grade unebenbürtig
gezeigt hat. Das Kriegsziel aber ist und gekämpst wird um Artikel I des Re-
formentwurfes: Ausschluß Oestreichs aus dem deutschen Bund. Noch wollen
die Oestreicher den Gedanken nicht fassen; der "geniale- Schachzug ihrer ban¬
kerotten Diplomatie, meinen sie, habe dies Opfer verhütet. Aber ehe nicht
dieser Artikel acceptirt wird, nicht eher wird ein dauerhafter Friede in Deutsch¬
land geschlossen werden.




Die Situation in Venetien.

Militärischen Beobachtern war es nicht zweifelhaft, daß die zehn Tage nach
der Schlacht von Custozza begonnenen Operationen der Oestreicher auf dem ita¬
lienischen Minciouscr -- die Besetzung Voltas und Capri-illas und die kurze Be¬
schießung von Desenzano -- eine Zurückziehung der Hauptmacht nach Norden zu
maskiren bestimmt seien. Aber das verhängnißvolle "Zu spät" bewährte sich auch
hier als die KricgSdcvise der Kaiserlichen. Wie viel besser es gewesen wäre, in
Venetien nur die nothwendigste Truppenstärke aufzustellen, anstatt in unerschütterlichem
Vertrauen auf die herrliche Nordarmee dort eine Macht zu concentriren, die auch
die Offensive zu ergreifen im Stande war, das sah man in der Hofburg erst ein,
als die am Po und an der Etsch errungenen Vortheile durch den Gang der Er¬
eignisse in Böhmen mehr als aufgewogen wurden. Um der blutigen und doch un¬
fruchtbaren Gloire von Custozza willen hatte Benedek auf etliche Corps verzichten
müssen, die er an den Tagen von Trautenau und Königgrätz mit Schrecken ver¬
mißte. Für den italienischen Kriegsschauplatz war strengste Defensive geboten. War
das erkannt, so hätte man die 100,000 Mann, die jetzt mit äußerster Hast und
mit zweifelhafter Aussicht auf Nutzen aus Venetien an die Donau geschleppt werden,
gleich Anfangs dem böhmischen Heere zutheilen müssen. In Verona waren sie über¬
flüssig, in Böhmen hat ihr Mangel die furchtbare Katastrophe gezeitigt.

Zur Bezeichnung der Motive, welche zur Abstoßung Veneticns trieben, ist das
Arsenal brandmarkender Epitheta erschöpft. Wir fassen hier lediglich die mißliche
Situation ins Auge, welche aus dieser Musterleistung der k. k. Politik, die zwischen
"verflucht gescheidt" und "herzlich dumm" die jedenfalls unrühmliche Mitte hält, für
das florentiner Cabinet hervorging. Daß Victor Emanuel zufolge der politischen
Strategie Oestreichs dieselbe Provinz, aus der er soeben mit herbem Schlage ver-


fragen so bunt verschlungen, daß, ohne Schädigung deutscher Interessen, für
den preußischen Staat die mannigfaltigsten Combinationen möglich sind und
gegen drohende Vergewaltigung von irgendeiner Seite her immer noch Trümpfe
mit Hilfenahme der andern ausgespielt werden können. Preußen hat in den
meisten europäischen Fragen die Hand frei und besitzt zugleich die Kraft, diese
Hand energisch dahin oder dorthin ju rühren.

Daher unser Vertrauen, daß an dem ursprünglichen Kriegsziel festgehalten
werden wird; zumal da Graf Bismarck, dächten wir, sich bisher im diploma¬
tischen Kampf den andern Herren am grünen Tisch nicht grade unebenbürtig
gezeigt hat. Das Kriegsziel aber ist und gekämpst wird um Artikel I des Re-
formentwurfes: Ausschluß Oestreichs aus dem deutschen Bund. Noch wollen
die Oestreicher den Gedanken nicht fassen; der „geniale- Schachzug ihrer ban¬
kerotten Diplomatie, meinen sie, habe dies Opfer verhütet. Aber ehe nicht
dieser Artikel acceptirt wird, nicht eher wird ein dauerhafter Friede in Deutsch¬
land geschlossen werden.




Die Situation in Venetien.

Militärischen Beobachtern war es nicht zweifelhaft, daß die zehn Tage nach
der Schlacht von Custozza begonnenen Operationen der Oestreicher auf dem ita¬
lienischen Minciouscr — die Besetzung Voltas und Capri-illas und die kurze Be¬
schießung von Desenzano — eine Zurückziehung der Hauptmacht nach Norden zu
maskiren bestimmt seien. Aber das verhängnißvolle „Zu spät" bewährte sich auch
hier als die KricgSdcvise der Kaiserlichen. Wie viel besser es gewesen wäre, in
Venetien nur die nothwendigste Truppenstärke aufzustellen, anstatt in unerschütterlichem
Vertrauen auf die herrliche Nordarmee dort eine Macht zu concentriren, die auch
die Offensive zu ergreifen im Stande war, das sah man in der Hofburg erst ein,
als die am Po und an der Etsch errungenen Vortheile durch den Gang der Er¬
eignisse in Böhmen mehr als aufgewogen wurden. Um der blutigen und doch un¬
fruchtbaren Gloire von Custozza willen hatte Benedek auf etliche Corps verzichten
müssen, die er an den Tagen von Trautenau und Königgrätz mit Schrecken ver¬
mißte. Für den italienischen Kriegsschauplatz war strengste Defensive geboten. War
das erkannt, so hätte man die 100,000 Mann, die jetzt mit äußerster Hast und
mit zweifelhafter Aussicht auf Nutzen aus Venetien an die Donau geschleppt werden,
gleich Anfangs dem böhmischen Heere zutheilen müssen. In Verona waren sie über¬
flüssig, in Böhmen hat ihr Mangel die furchtbare Katastrophe gezeitigt.

Zur Bezeichnung der Motive, welche zur Abstoßung Veneticns trieben, ist das
Arsenal brandmarkender Epitheta erschöpft. Wir fassen hier lediglich die mißliche
Situation ins Auge, welche aus dieser Musterleistung der k. k. Politik, die zwischen
„verflucht gescheidt" und „herzlich dumm" die jedenfalls unrühmliche Mitte hält, für
das florentiner Cabinet hervorging. Daß Victor Emanuel zufolge der politischen
Strategie Oestreichs dieselbe Provinz, aus der er soeben mit herbem Schlage ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/175>, abgerufen am 03.07.2024.