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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Ein Pfarrhaus im Kriege.

Als vor einigen Jahren die Regierung des Herzogthums Gotha auch in
den Dörfern laufende Chroniken über interessante Erlebnisse der Ortschaften
einrichtete, wurden die alten Acten, welche der Zufall, oft nur mangelnde
Gelegenheit des Verkaufes, in den Dorfarchiven bewahrt hatte, dazu die Ein-
zeichnungen der Geistlichen in Kirchenbücher und die etwa vorhandenen Urkunden
aus dem Mittelalter einiger Beachtung theilhaftig. Es ergab sich dabei, daß
in mehren Dörfern Aufzeichnungen früherer Geistlichen vorhanden waren. Sie
sind für die Sittengeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts nicht ohne Interesse.
Leider reichen sie wohl nirgend aus, Material für die Geschichte des einzelnen
Dorfes zu geben, die Continuität fehlt überall, die ergänzenden Dorfacten und
Flurbücher aus früheren Jahrhunderten sind meist in traurigem Zustande.

Und doch hätten die Schicksale eines kleinen Ortes in zweckmäßiger Dar¬
stellung ganz besonderen Werth, sie würden das Leben der Kleinen in den
großen Leiden und politischen Ereignissen alter Zeit uns ganz anders nahe
legen, als die Geschichte vermag. Wir würden aus der Flureintheilung, dem
Bau des Dorfes, den Dorfsagen, den Abgaben der Dorfbewohner, dem Ver¬
hältniß zur Gutsherrschaft, aus Beschreibung der Seuchen, Unglücksfälle, sowie
der Dorfgebräuche und Feste in Verbindung mit den geschichtlichen Ereignissen
des Ortes ein schönes Bild von dem Stillleben, den Leiden und Freuden des
deutschen Landmannes in früherer Zeit gewinnen. Solche Arbeit, welche, mit
gutem historischen Wissen ausgeführt, das Gemeingiltige kräftig hervorhebt,
wird vielleicht immer ein frommer Wunsch bleiben.

Begreiflich haben unter den etwa erhaltenen Aufzeichnungen der Dörfer
die des letzten Jahrhunderts für das größere Publikum geringes Interesse.
Schon deshalb, weil hier andere, reichere Quellen der Erkenntniß des Volks¬
lebens zu Gebote stehn. Namentlich die Aufzeichnungen aus den Kriegsjahren
vom siebenjährigen Kriege melden doch in der Hauptsache nur das immer
wiederkehrende Leid: Lieferungen für die Heere, Pressuren durch die Einquartie¬
rung, Leiden und Gefahr der Landleute, die alten Drangsale des Krieges,
welche unsere Väter fast in jedem Theile Deutschlands ertragen haben, deren
Nachwirkungen bis in die gegenwärtige Generation fühlbar geworden sind.

Wenn hier doch eine solche Aufzeichnung aus dem Anfang dieses Jahr¬
hunderts mitgetheilt wird, so bescheidet sich dieselbe allerdings, wenig Neues
zu bringen. Aber man wird der lebendigen Schilderung durch einen treuherzigen
Berichterstatter doch mit Antheil folgen und die Perspective beobachten, welche


Ein Pfarrhaus im Kriege.

Als vor einigen Jahren die Regierung des Herzogthums Gotha auch in
den Dörfern laufende Chroniken über interessante Erlebnisse der Ortschaften
einrichtete, wurden die alten Acten, welche der Zufall, oft nur mangelnde
Gelegenheit des Verkaufes, in den Dorfarchiven bewahrt hatte, dazu die Ein-
zeichnungen der Geistlichen in Kirchenbücher und die etwa vorhandenen Urkunden
aus dem Mittelalter einiger Beachtung theilhaftig. Es ergab sich dabei, daß
in mehren Dörfern Aufzeichnungen früherer Geistlichen vorhanden waren. Sie
sind für die Sittengeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts nicht ohne Interesse.
Leider reichen sie wohl nirgend aus, Material für die Geschichte des einzelnen
Dorfes zu geben, die Continuität fehlt überall, die ergänzenden Dorfacten und
Flurbücher aus früheren Jahrhunderten sind meist in traurigem Zustande.

Und doch hätten die Schicksale eines kleinen Ortes in zweckmäßiger Dar¬
stellung ganz besonderen Werth, sie würden das Leben der Kleinen in den
großen Leiden und politischen Ereignissen alter Zeit uns ganz anders nahe
legen, als die Geschichte vermag. Wir würden aus der Flureintheilung, dem
Bau des Dorfes, den Dorfsagen, den Abgaben der Dorfbewohner, dem Ver¬
hältniß zur Gutsherrschaft, aus Beschreibung der Seuchen, Unglücksfälle, sowie
der Dorfgebräuche und Feste in Verbindung mit den geschichtlichen Ereignissen
des Ortes ein schönes Bild von dem Stillleben, den Leiden und Freuden des
deutschen Landmannes in früherer Zeit gewinnen. Solche Arbeit, welche, mit
gutem historischen Wissen ausgeführt, das Gemeingiltige kräftig hervorhebt,
wird vielleicht immer ein frommer Wunsch bleiben.

Begreiflich haben unter den etwa erhaltenen Aufzeichnungen der Dörfer
die des letzten Jahrhunderts für das größere Publikum geringes Interesse.
Schon deshalb, weil hier andere, reichere Quellen der Erkenntniß des Volks¬
lebens zu Gebote stehn. Namentlich die Aufzeichnungen aus den Kriegsjahren
vom siebenjährigen Kriege melden doch in der Hauptsache nur das immer
wiederkehrende Leid: Lieferungen für die Heere, Pressuren durch die Einquartie¬
rung, Leiden und Gefahr der Landleute, die alten Drangsale des Krieges,
welche unsere Väter fast in jedem Theile Deutschlands ertragen haben, deren
Nachwirkungen bis in die gegenwärtige Generation fühlbar geworden sind.

Wenn hier doch eine solche Aufzeichnung aus dem Anfang dieses Jahr¬
hunderts mitgetheilt wird, so bescheidet sich dieselbe allerdings, wenig Neues
zu bringen. Aber man wird der lebendigen Schilderung durch einen treuherzigen
Berichterstatter doch mit Antheil folgen und die Perspective beobachten, welche


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[0145] Ein Pfarrhaus im Kriege. Als vor einigen Jahren die Regierung des Herzogthums Gotha auch in den Dörfern laufende Chroniken über interessante Erlebnisse der Ortschaften einrichtete, wurden die alten Acten, welche der Zufall, oft nur mangelnde Gelegenheit des Verkaufes, in den Dorfarchiven bewahrt hatte, dazu die Ein- zeichnungen der Geistlichen in Kirchenbücher und die etwa vorhandenen Urkunden aus dem Mittelalter einiger Beachtung theilhaftig. Es ergab sich dabei, daß in mehren Dörfern Aufzeichnungen früherer Geistlichen vorhanden waren. Sie sind für die Sittengeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts nicht ohne Interesse. Leider reichen sie wohl nirgend aus, Material für die Geschichte des einzelnen Dorfes zu geben, die Continuität fehlt überall, die ergänzenden Dorfacten und Flurbücher aus früheren Jahrhunderten sind meist in traurigem Zustande. Und doch hätten die Schicksale eines kleinen Ortes in zweckmäßiger Dar¬ stellung ganz besonderen Werth, sie würden das Leben der Kleinen in den großen Leiden und politischen Ereignissen alter Zeit uns ganz anders nahe legen, als die Geschichte vermag. Wir würden aus der Flureintheilung, dem Bau des Dorfes, den Dorfsagen, den Abgaben der Dorfbewohner, dem Ver¬ hältniß zur Gutsherrschaft, aus Beschreibung der Seuchen, Unglücksfälle, sowie der Dorfgebräuche und Feste in Verbindung mit den geschichtlichen Ereignissen des Ortes ein schönes Bild von dem Stillleben, den Leiden und Freuden des deutschen Landmannes in früherer Zeit gewinnen. Solche Arbeit, welche, mit gutem historischen Wissen ausgeführt, das Gemeingiltige kräftig hervorhebt, wird vielleicht immer ein frommer Wunsch bleiben. Begreiflich haben unter den etwa erhaltenen Aufzeichnungen der Dörfer die des letzten Jahrhunderts für das größere Publikum geringes Interesse. Schon deshalb, weil hier andere, reichere Quellen der Erkenntniß des Volks¬ lebens zu Gebote stehn. Namentlich die Aufzeichnungen aus den Kriegsjahren vom siebenjährigen Kriege melden doch in der Hauptsache nur das immer wiederkehrende Leid: Lieferungen für die Heere, Pressuren durch die Einquartie¬ rung, Leiden und Gefahr der Landleute, die alten Drangsale des Krieges, welche unsere Väter fast in jedem Theile Deutschlands ertragen haben, deren Nachwirkungen bis in die gegenwärtige Generation fühlbar geworden sind. Wenn hier doch eine solche Aufzeichnung aus dem Anfang dieses Jahr¬ hunderts mitgetheilt wird, so bescheidet sich dieselbe allerdings, wenig Neues zu bringen. Aber man wird der lebendigen Schilderung durch einen treuherzigen Berichterstatter doch mit Antheil folgen und die Perspective beobachten, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/145>, abgerufen am 21.12.2024.