Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Politische CorresMdenz. 2. Wenn die allgemeine Aufmerksamkeit nicht so aufgeregt dem deutschen Man darf nicht verkennen, daß diese unfertige Verfassung, welche bis jetzt Politische CorresMdenz. 2. Wenn die allgemeine Aufmerksamkeit nicht so aufgeregt dem deutschen Man darf nicht verkennen, daß diese unfertige Verfassung, welche bis jetzt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0630" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284457"/> </div> <div n="1"> <head> Politische CorresMdenz.<lb/> 2. </head><lb/> <p xml:id="ID_1827"> Wenn die allgemeine Aufmerksamkeit nicht so aufgeregt dem deutschen<lb/> Norden zugewendet wäre, würde, was sich jetzt in Oestreich vollzieht, auch in<lb/> Deutschland mit größter Theilnahme beobachtet werden. Denn dort ist die bis¬<lb/> herige Verfassung geräuschlos, ohne Widerstand, ja ohne laute Theilnahme des<lb/> Volkes nicht aufgehoben, aber unmöglich gemacht worden. Es war vor siebzehn<lb/> Jahren eine Todesgefahr des Staates nöthig, um den Regierenden die Er¬<lb/> kenntniß zu geben, daß auch ihr Staat in den verhaßten Formen regiert werden<lb/> müsse, welche den Leidenschaften einen gesetzlichen Spielraum verschaffen, der<lb/> Regierung aber die Möglichkeit, ihre Völker durch die politischen Führer der¬<lb/> selben zu leiten. Der künstliche Bau der Februarverfassung war der erste Ver¬<lb/> such des Kaiserstaates, sich nach den unabweisbaren Bedürfnissen der Zeit zu<lb/> regeneriren. Es gelang nicht, die Gesammtheit der Stämme durch diese Ver¬<lb/> fassung zusammenzubinden, nach sechzehn Jahren legt man diesen Versuch bei<lb/> Seite, still und mit freundlichem Antlitz, wie man zu Wien dergleichen abthut,<lb/> und man denkt auf ein neues Experiment.</p><lb/> <p xml:id="ID_1828" next="#ID_1829"> Man darf nicht verkennen, daß diese unfertige Verfassung, welche bis jetzt<lb/> gegolten, der Regierung die wichtigsten Dienste gethan hat, der Reichsrath hat<lb/> ihr Credit verschafft, also die Möglichkeit zu existiren. Die politische Thätigkeit<lb/> desselben hat auch eine Presse und die Theilnahme der Völker an ihren größten<lb/> Interessen großgezogen, Millionen haben sich als Oestreicher fühlen gelernt,<lb/> auch in den Stämmen, welche nach einer Separatstellung innerhalb des Staates<lb/> streben, ist die Erkenntniß der Vortheile lebendig geworden, welche der politische<lb/> Zusammenhang mit dem Ganzen für sie hat. In sechzehn gefährlichen Jahren<lb/> ist außerdem für Besserung der Rechtspflege, der Administration, der Unter¬<lb/> richtsanstalten, für die Entwickelung der Industrie und des Landbaues sehr viel<lb/> geschehen, wenige Oestreicher werden das frohe Gefühl von sich fern halten,<lb/> daß die Entwicklung ihrer Cultur in starkem Fortschritt sei, und daß das Er¬<lb/> wachen des politischen Lebens, wie ungenügend seine Formen waren, diesen<lb/> Segen über den Staat gebracht habe. Denn nie und nirgend vielleicht ist<lb/> das Glück einer Verfassung den Menschen so eindringlich geworden, als gerade<lb/> in dem Staat, dessen Konstitution die irrationalste war, welche je ein moderner<lb/> Staatskünstler erdacht hat. Freilich auch wer die guten Wirkungen der Ver¬<lb/> fassung freudig zugab, konnte die Empfindung nicht los werden, daß sie inner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0630]
Politische CorresMdenz.
2.
Wenn die allgemeine Aufmerksamkeit nicht so aufgeregt dem deutschen
Norden zugewendet wäre, würde, was sich jetzt in Oestreich vollzieht, auch in
Deutschland mit größter Theilnahme beobachtet werden. Denn dort ist die bis¬
herige Verfassung geräuschlos, ohne Widerstand, ja ohne laute Theilnahme des
Volkes nicht aufgehoben, aber unmöglich gemacht worden. Es war vor siebzehn
Jahren eine Todesgefahr des Staates nöthig, um den Regierenden die Er¬
kenntniß zu geben, daß auch ihr Staat in den verhaßten Formen regiert werden
müsse, welche den Leidenschaften einen gesetzlichen Spielraum verschaffen, der
Regierung aber die Möglichkeit, ihre Völker durch die politischen Führer der¬
selben zu leiten. Der künstliche Bau der Februarverfassung war der erste Ver¬
such des Kaiserstaates, sich nach den unabweisbaren Bedürfnissen der Zeit zu
regeneriren. Es gelang nicht, die Gesammtheit der Stämme durch diese Ver¬
fassung zusammenzubinden, nach sechzehn Jahren legt man diesen Versuch bei
Seite, still und mit freundlichem Antlitz, wie man zu Wien dergleichen abthut,
und man denkt auf ein neues Experiment.
Man darf nicht verkennen, daß diese unfertige Verfassung, welche bis jetzt
gegolten, der Regierung die wichtigsten Dienste gethan hat, der Reichsrath hat
ihr Credit verschafft, also die Möglichkeit zu existiren. Die politische Thätigkeit
desselben hat auch eine Presse und die Theilnahme der Völker an ihren größten
Interessen großgezogen, Millionen haben sich als Oestreicher fühlen gelernt,
auch in den Stämmen, welche nach einer Separatstellung innerhalb des Staates
streben, ist die Erkenntniß der Vortheile lebendig geworden, welche der politische
Zusammenhang mit dem Ganzen für sie hat. In sechzehn gefährlichen Jahren
ist außerdem für Besserung der Rechtspflege, der Administration, der Unter¬
richtsanstalten, für die Entwickelung der Industrie und des Landbaues sehr viel
geschehen, wenige Oestreicher werden das frohe Gefühl von sich fern halten,
daß die Entwicklung ihrer Cultur in starkem Fortschritt sei, und daß das Er¬
wachen des politischen Lebens, wie ungenügend seine Formen waren, diesen
Segen über den Staat gebracht habe. Denn nie und nirgend vielleicht ist
das Glück einer Verfassung den Menschen so eindringlich geworden, als gerade
in dem Staat, dessen Konstitution die irrationalste war, welche je ein moderner
Staatskünstler erdacht hat. Freilich auch wer die guten Wirkungen der Ver¬
fassung freudig zugab, konnte die Empfindung nicht los werden, daß sie inner
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