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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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untersucht, und noch weniger wird er sich dafür in seinen alten Tagen soweit
erwärmt haben, daß er geneigt gewesen wäre, sich ihretwegen mit seinen Nachbarn
in Deutschland ernstlich zu entzweien. Hätte er Hoffnung haben können, daß
dabei etwas für sein Preußen herauskäme, so ließe sich etwas Derartiges eher
denken.

"Gleichwohl aber," so schließt Kapp sein Urtheil über diese Verhältnisse,
wie uns dünkt, sehr richtig, "liegt in Friedrichs Worten und Maßregeln eine
solche geistige Ueberlegenheit und eine solche souveräne Verachtung der elenden
Bereicherungsmittelchen der kleinen Reichsfürsten ausgedrückt, daß man sich den
Jubel der Unterdrückten und die Freude der bei dem schmachvollen Handel Un-
betheiligten sehr wohl erklären kann. Das Volk liebt es, seinen Helden seine
eignen besten Gedanken unterzuschieben, es macht sie zu Trägern seiner liebsten
Wünsche und Hoffnungen. So wurde denn auch auf Grund von ein paar
scharfen Aeußerungen, die der amerikanischen Revolution günstig waren und
die geizigen und gierigen Fürsten brandmarkten, in Friedrich verfaß und die
Verachtung aller denkenden Zeitgenossen gegen die Seelenverkäuferei verkörpert."




Die Mestamentlichen Propheten.

Das ganze Alterthum glaubte daran, daß die Gottheit gewisse Menschen
"uf übernatürliche Weise mit der Gabe ausstatte, Verborgenes der Vergangen"
^it, Gegenwart und Zukunft ans Licht zu bringen. Ja durch bloße Vermitt¬
lung todter Sachen meinte man in die göttlichen Geheimnisse eindringen zu
^n"en; man sagte wahr aus den Eingeweiden der Opferthiere, dem Fluge der
^ögel. dem Sande und vielen andern Dingen. Diese letzte Art, das Verbor¬
gne zu enthüllen, tritt im Volke Israel fast ganz zurück; nur das Loos, dem
^n eine unmittelbare göttliche Lenkung zuschrieb, wird hier noch zuweilen in
änlicher Weise gebraucht; auch die s. g, .Urim und Tummim" des hohen
Priesters, welche als Mittel betrachtet werden, die göttliche Entscheidung zu
^kennen, scheinen eine Art Loos gewesen zu sein. Weit wichtiger ist bei den
Hebräern die Verkündigung des göttlichen Willens und Wissens durch unmittel¬
bare Erleuchtung begeisterter Männer. Ein solcher heißt gewöhnlich Xabi
"Sprecher" oder lioö "Seher", auch Iloss "Schauer". Die Anschauung, welche der


untersucht, und noch weniger wird er sich dafür in seinen alten Tagen soweit
erwärmt haben, daß er geneigt gewesen wäre, sich ihretwegen mit seinen Nachbarn
in Deutschland ernstlich zu entzweien. Hätte er Hoffnung haben können, daß
dabei etwas für sein Preußen herauskäme, so ließe sich etwas Derartiges eher
denken.

„Gleichwohl aber," so schließt Kapp sein Urtheil über diese Verhältnisse,
wie uns dünkt, sehr richtig, „liegt in Friedrichs Worten und Maßregeln eine
solche geistige Ueberlegenheit und eine solche souveräne Verachtung der elenden
Bereicherungsmittelchen der kleinen Reichsfürsten ausgedrückt, daß man sich den
Jubel der Unterdrückten und die Freude der bei dem schmachvollen Handel Un-
betheiligten sehr wohl erklären kann. Das Volk liebt es, seinen Helden seine
eignen besten Gedanken unterzuschieben, es macht sie zu Trägern seiner liebsten
Wünsche und Hoffnungen. So wurde denn auch auf Grund von ein paar
scharfen Aeußerungen, die der amerikanischen Revolution günstig waren und
die geizigen und gierigen Fürsten brandmarkten, in Friedrich verfaß und die
Verachtung aller denkenden Zeitgenossen gegen die Seelenverkäuferei verkörpert."




Die Mestamentlichen Propheten.

Das ganze Alterthum glaubte daran, daß die Gottheit gewisse Menschen
"uf übernatürliche Weise mit der Gabe ausstatte, Verborgenes der Vergangen«
^it, Gegenwart und Zukunft ans Licht zu bringen. Ja durch bloße Vermitt¬
lung todter Sachen meinte man in die göttlichen Geheimnisse eindringen zu
^n»en; man sagte wahr aus den Eingeweiden der Opferthiere, dem Fluge der
^ögel. dem Sande und vielen andern Dingen. Diese letzte Art, das Verbor¬
gne zu enthüllen, tritt im Volke Israel fast ganz zurück; nur das Loos, dem
^n eine unmittelbare göttliche Lenkung zuschrieb, wird hier noch zuweilen in
änlicher Weise gebraucht; auch die s. g, .Urim und Tummim" des hohen
Priesters, welche als Mittel betrachtet werden, die göttliche Entscheidung zu
^kennen, scheinen eine Art Loos gewesen zu sein. Weit wichtiger ist bei den
Hebräern die Verkündigung des göttlichen Willens und Wissens durch unmittel¬
bare Erleuchtung begeisterter Männer. Ein solcher heißt gewöhnlich Xabi
»Sprecher" oder lioö „Seher", auch Iloss „Schauer". Die Anschauung, welche der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/441>, abgerufen am 15.01.2025.