Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Wir empfehlen die Schrift angelegentlich, besonders den Schleswig-Hol¬ Der Idealismus in der Politik. Es ist ja wohl Schopenhauer, der irgendwo in seinen Schriften die bittre, Wir empfehlen die Schrift angelegentlich, besonders den Schleswig-Hol¬ Der Idealismus in der Politik. Es ist ja wohl Schopenhauer, der irgendwo in seinen Schriften die bittre, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283674"/> <p xml:id="ID_910"> Wir empfehlen die Schrift angelegentlich, besonders den Schleswig-Hol¬<lb/> steinern, denen jetzt so viel Sand in die Augen gestreut wird, und die man so<lb/> eifrig über das, was ihr wahres Interesse ist. zu täuschen sucht. Wollen sie<lb/> durchaus bei ihrem selbständigen Staat beharren, so mögen sie wenigstens<lb/> wissen, daß er ihnen, selbst abgesehen von den Kriegsschulden, erheblich mehr<lb/> kosten wird als das Ergebniß eines Arrangements, welches Erfüllung der preu¬<lb/> ßischen Forderungen zum Ziel hat.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der Idealismus in der Politik.</head><lb/> <p xml:id="ID_911" next="#ID_912"> Es ist ja wohl Schopenhauer, der irgendwo in seinen Schriften die bittre,<lb/> aber nicht unzutreffende Bemerkung macht: „Der Franzose verbindet mit dem<lb/> Worte la<Zö. der Engländer mit iclsa einen sehr alltäglichen, aber doch ganz<lb/> bestimmten und deutlichen Sinn. Hingegen dem Deutschen, wenn man ihm<lb/> von Ideen redet, fängt an der Kopf zu schwindeln, alle Besonnenheit verläßt<lb/> ihn, ihm wird, als solle er in den Luftballon steigen/' Mir fällt dieser Aus¬<lb/> spruch immer wieder ein. wenn ich die Art und Weise prüfend mustere, mit<lb/> welcher der Deutsche, über den Ideen von Recht und Macht sich erhitzend, das<lb/> Einfachste in der politischen Krisis der Gegenwart außer Augen verliert, um<lb/> das Entlegenste festzuhalten. „Alle Besonnenheit verläßt ihn. ihm wird, als<lb/> solle er in den Luftballon steigen." Seit das Bewußtsein eines feindlichen<lb/> Gegensatzes zwischen Recht und Macht in steigender Beängstigung die Gemüther<lb/> ergriffen hat, kann man dies in Wahrheit von den Deutschen sagen. Die<lb/> Macht geräth in die Gefahr für rechtlos erklärt zu werden, blos deshalb, weil<lb/> sie mächtig ist, wie andererseits manches sogenannte Recht sich nicht vollgiltiger<lb/> legitimiren zu können glaubt, als indem es auf die Schwäche seines Trägers<lb/> verweist. Zwischendurch wird zuweilen mit Emphase und mit größter Begeiste¬<lb/> rung erklärt, daß doch dem Recht eine ungeheure, alles besiegende Macht inne-<lb/> wohne, aber an den unzähligen diesem Capitel gewidmeten Toasten und Tisch¬<lb/> reden nagt der nüchterne Zweifel, der sich aus dem Bewußtsein der Gegenwart<lb/> nicht mehr verdrängen läßt, ob tausend mit papiernen Rechten ausstaffierte<lb/> Existenzen nicht dadurch rechtskräftig zum Tode verurtheilt sind, daß sie nicht<lb/> die Macht haben sich aufrecht zu erhalten. Denn Existenzfragen sind Macht-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0321]
Wir empfehlen die Schrift angelegentlich, besonders den Schleswig-Hol¬
steinern, denen jetzt so viel Sand in die Augen gestreut wird, und die man so
eifrig über das, was ihr wahres Interesse ist. zu täuschen sucht. Wollen sie
durchaus bei ihrem selbständigen Staat beharren, so mögen sie wenigstens
wissen, daß er ihnen, selbst abgesehen von den Kriegsschulden, erheblich mehr
kosten wird als das Ergebniß eines Arrangements, welches Erfüllung der preu¬
ßischen Forderungen zum Ziel hat.
Der Idealismus in der Politik.
Es ist ja wohl Schopenhauer, der irgendwo in seinen Schriften die bittre,
aber nicht unzutreffende Bemerkung macht: „Der Franzose verbindet mit dem
Worte la<Zö. der Engländer mit iclsa einen sehr alltäglichen, aber doch ganz
bestimmten und deutlichen Sinn. Hingegen dem Deutschen, wenn man ihm
von Ideen redet, fängt an der Kopf zu schwindeln, alle Besonnenheit verläßt
ihn, ihm wird, als solle er in den Luftballon steigen/' Mir fällt dieser Aus¬
spruch immer wieder ein. wenn ich die Art und Weise prüfend mustere, mit
welcher der Deutsche, über den Ideen von Recht und Macht sich erhitzend, das
Einfachste in der politischen Krisis der Gegenwart außer Augen verliert, um
das Entlegenste festzuhalten. „Alle Besonnenheit verläßt ihn. ihm wird, als
solle er in den Luftballon steigen." Seit das Bewußtsein eines feindlichen
Gegensatzes zwischen Recht und Macht in steigender Beängstigung die Gemüther
ergriffen hat, kann man dies in Wahrheit von den Deutschen sagen. Die
Macht geräth in die Gefahr für rechtlos erklärt zu werden, blos deshalb, weil
sie mächtig ist, wie andererseits manches sogenannte Recht sich nicht vollgiltiger
legitimiren zu können glaubt, als indem es auf die Schwäche seines Trägers
verweist. Zwischendurch wird zuweilen mit Emphase und mit größter Begeiste¬
rung erklärt, daß doch dem Recht eine ungeheure, alles besiegende Macht inne-
wohne, aber an den unzähligen diesem Capitel gewidmeten Toasten und Tisch¬
reden nagt der nüchterne Zweifel, der sich aus dem Bewußtsein der Gegenwart
nicht mehr verdrängen läßt, ob tausend mit papiernen Rechten ausstaffierte
Existenzen nicht dadurch rechtskräftig zum Tode verurtheilt sind, daß sie nicht
die Macht haben sich aufrecht zu erhalten. Denn Existenzfragen sind Macht-
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