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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Das Cavinet der Kupferstiche und Handzeichnungen in Berlin.
i.

Wenn man die breiten Marmorstufen hinaufgestiegen ist, welche im Trep¬
penhause des neuen Museums von dem mittleren, den Gipsabgüssen vorbe-
haltenen Stockwerk, an jene beiden mit den kaulbachschen Malereien bedeckten
Wände anlehnend, zur obern Höhe des mächtigen Raums führen, und nun an
der gipsernen Nachbildung der berühmten "Kapelle" vom athenischen Erechtheion
steht, welche hier, ziemlich befremdlich und seltsam, den schon so engen Gang
vor dem großen östlichen Fenster noch mehr beengend, den ganzen Treppenbau
krönt, so hat man zur Linken wie zur Rechten je eine jener schönen Thüren von
dunkelglcinzendem, polirtem. edlem Holz, welche sich vor jeder Abtheilung des
Gebäudes finden; die eine, neben dem Bilde deS babylonischen Thurmbaues,
offen stehend, die andere gegenüber, neben dem des Reformationszeitalters,
geschlossen. Jene führt zu den Sälen der Kunstkammer, lzunächst zu dem der
architektonischen Modelle und Kunsttischlerarbeiten; diese zum Cabinet der Kupfer¬
stiche und Handzeichnungen. Aus diesem schmalen Verbindungsgänge zwischen
beiden staut sich gewöhnlich die compacteste Masse von Museumsbesuchern.
naiven Fremden, von Lohnlakaien oder gebildeten Eingebornen geführt, und
gläubigen Berlinern, für welche der traditionelle künstlerische Heiligenschein um
Kaulbachs Haupt noch in ungeschwächtem Glänze strahlt. Hier läßt der Er¬
klärer dieser gemalten Rebus, welche den Entwickelungsgang der Menschheit in
gewaltigen Zügen zu schildern prätendiren, mit inniger Selbstbefriedigung sein
Licht leuchten vor den Augen seines Zuhörerkreises, und über der Genugthuung,
die "tiefsinnigen Ideen" des Meisters so geläufig herzählen und expliciren zu
können, schwingt er sich zu immer begeisterterer Bewunderung dessen auf, welcher
durch die Art seiner "weltgeschichtlichen" Gebilde ihm die Gelegenheit und Mög¬
lichkeit gab, sich jenes ziemlich wohlfeile Vergnügen zu verschaffen. Bei dem
Reformationsbilde wird dasselbe augenblicklich noch durch Gerüste und ver¬
deckende Papierwände behindert; der Maler Dettmers, ein echter, oder, wie
der hiesige Ausdruck lautet, "richtiger" berliner Colorist "pur savß", der sich
vor einigen Jahren schwerlich eine derartige monumentale Ausgabe hätte träu-


Vrenzboten III. 1865. 21
Das Cavinet der Kupferstiche und Handzeichnungen in Berlin.
i.

Wenn man die breiten Marmorstufen hinaufgestiegen ist, welche im Trep¬
penhause des neuen Museums von dem mittleren, den Gipsabgüssen vorbe-
haltenen Stockwerk, an jene beiden mit den kaulbachschen Malereien bedeckten
Wände anlehnend, zur obern Höhe des mächtigen Raums führen, und nun an
der gipsernen Nachbildung der berühmten „Kapelle" vom athenischen Erechtheion
steht, welche hier, ziemlich befremdlich und seltsam, den schon so engen Gang
vor dem großen östlichen Fenster noch mehr beengend, den ganzen Treppenbau
krönt, so hat man zur Linken wie zur Rechten je eine jener schönen Thüren von
dunkelglcinzendem, polirtem. edlem Holz, welche sich vor jeder Abtheilung des
Gebäudes finden; die eine, neben dem Bilde deS babylonischen Thurmbaues,
offen stehend, die andere gegenüber, neben dem des Reformationszeitalters,
geschlossen. Jene führt zu den Sälen der Kunstkammer, lzunächst zu dem der
architektonischen Modelle und Kunsttischlerarbeiten; diese zum Cabinet der Kupfer¬
stiche und Handzeichnungen. Aus diesem schmalen Verbindungsgänge zwischen
beiden staut sich gewöhnlich die compacteste Masse von Museumsbesuchern.
naiven Fremden, von Lohnlakaien oder gebildeten Eingebornen geführt, und
gläubigen Berlinern, für welche der traditionelle künstlerische Heiligenschein um
Kaulbachs Haupt noch in ungeschwächtem Glänze strahlt. Hier läßt der Er¬
klärer dieser gemalten Rebus, welche den Entwickelungsgang der Menschheit in
gewaltigen Zügen zu schildern prätendiren, mit inniger Selbstbefriedigung sein
Licht leuchten vor den Augen seines Zuhörerkreises, und über der Genugthuung,
die „tiefsinnigen Ideen" des Meisters so geläufig herzählen und expliciren zu
können, schwingt er sich zu immer begeisterterer Bewunderung dessen auf, welcher
durch die Art seiner „weltgeschichtlichen" Gebilde ihm die Gelegenheit und Mög¬
lichkeit gab, sich jenes ziemlich wohlfeile Vergnügen zu verschaffen. Bei dem
Reformationsbilde wird dasselbe augenblicklich noch durch Gerüste und ver¬
deckende Papierwände behindert; der Maler Dettmers, ein echter, oder, wie
der hiesige Ausdruck lautet, „richtiger" berliner Colorist „pur savß", der sich
vor einigen Jahren schwerlich eine derartige monumentale Ausgabe hätte träu-


Vrenzboten III. 1865. 21
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[0175] Das Cavinet der Kupferstiche und Handzeichnungen in Berlin. i. Wenn man die breiten Marmorstufen hinaufgestiegen ist, welche im Trep¬ penhause des neuen Museums von dem mittleren, den Gipsabgüssen vorbe- haltenen Stockwerk, an jene beiden mit den kaulbachschen Malereien bedeckten Wände anlehnend, zur obern Höhe des mächtigen Raums führen, und nun an der gipsernen Nachbildung der berühmten „Kapelle" vom athenischen Erechtheion steht, welche hier, ziemlich befremdlich und seltsam, den schon so engen Gang vor dem großen östlichen Fenster noch mehr beengend, den ganzen Treppenbau krönt, so hat man zur Linken wie zur Rechten je eine jener schönen Thüren von dunkelglcinzendem, polirtem. edlem Holz, welche sich vor jeder Abtheilung des Gebäudes finden; die eine, neben dem Bilde deS babylonischen Thurmbaues, offen stehend, die andere gegenüber, neben dem des Reformationszeitalters, geschlossen. Jene führt zu den Sälen der Kunstkammer, lzunächst zu dem der architektonischen Modelle und Kunsttischlerarbeiten; diese zum Cabinet der Kupfer¬ stiche und Handzeichnungen. Aus diesem schmalen Verbindungsgänge zwischen beiden staut sich gewöhnlich die compacteste Masse von Museumsbesuchern. naiven Fremden, von Lohnlakaien oder gebildeten Eingebornen geführt, und gläubigen Berlinern, für welche der traditionelle künstlerische Heiligenschein um Kaulbachs Haupt noch in ungeschwächtem Glänze strahlt. Hier läßt der Er¬ klärer dieser gemalten Rebus, welche den Entwickelungsgang der Menschheit in gewaltigen Zügen zu schildern prätendiren, mit inniger Selbstbefriedigung sein Licht leuchten vor den Augen seines Zuhörerkreises, und über der Genugthuung, die „tiefsinnigen Ideen" des Meisters so geläufig herzählen und expliciren zu können, schwingt er sich zu immer begeisterterer Bewunderung dessen auf, welcher durch die Art seiner „weltgeschichtlichen" Gebilde ihm die Gelegenheit und Mög¬ lichkeit gab, sich jenes ziemlich wohlfeile Vergnügen zu verschaffen. Bei dem Reformationsbilde wird dasselbe augenblicklich noch durch Gerüste und ver¬ deckende Papierwände behindert; der Maler Dettmers, ein echter, oder, wie der hiesige Ausdruck lautet, „richtiger" berliner Colorist „pur savß", der sich vor einigen Jahren schwerlich eine derartige monumentale Ausgabe hätte träu- Vrenzboten III. 1865. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/175>, abgerufen am 15.01.2025.