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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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konnten. Gerade das aber ist es, was Mommsen die Claudier lieb und werth macht,
denn er denkt sich nnn einmal ein Genie ungern anders, als um eine Haupteslänge
über andere Bürger hervorragend und neigt sehr dazu hin, die Begriffe Volksfreund
und Usurpator verschwimmen zu lassen: mit einem Wort, es ist ein tyrannischer
Zug in MommsenS Geschichtsauffassung.


Bumüller, Geschichte des Alterthums, 1, Theil.

Der Verfasser, der (wie man aus S. 275 sieht) rechtgläubiger Katholik ist,
stelli den alttestamentlichen Erzählungsstoff in seinem buchstäblichsten Sinne in die
Mitte der altorientalischen Geschichte. Er glaubt, daß die fünf Bücher, Mosis um
l5l>0 v. Chr, geschrieben sind, und verwahrt sich nachdrücklich gegen die Ansicht,
welche das Denker onomium mit der Reformation unter König Josia in Verbindung
bringt: "ans Manetho und Berosus . . . so wie aus den Inschriften der ägyptischen
und assyrisch-babylonischen Denkmäler ist noch keine Chronologie und Geschichte
wiederhergestellt worden, welche vor der ernsten und unbefangenen Kritik bestehen
könnte (S. K)." Der Verfasser hat nicht erwogen, daß man, eine Quelle als all¬
einige Norm anerkennend und die anderen Quellen danach corrigirend genau so
glatte Resultate wie die seinigen erzielen würde, wenn man statt des alten Testaments
die heiligen Annalen der Aegypter oder Babylonier zu Grunde legen wollte. Von
den Schwierigkeiten der biblischen Zeitrechnung weiß der Verfasser nichts, der sich
für diese einfach auf l)r. Weite im Kirchcnlexikvn beruft: sie werden aber bestehen,
so lange die Orthodoxie nicht^den Beweis beigebracht hat, daß einmal -it-^,52 und
el" anders Mal 20^-3" ist, und lassen sich befriedigend nur durch Zuratheziehung
profaner Geschichtsquellen löse". In allen den Theilen der altorientalischen Geschichte,
die nicht von den biblischen Berichten abhängen (aber freilich, welcher erhielte nicht
ans diesen sei" Linke!), bekundet der Verfasser eine solide historische und philologische
Vorbildung, eingehende Kenntniß der neuesten Forschungen und durchweg Geschmack
und gesundes Urtheil. Die ziemlich häufigen gegen Duncker gerichteten Anmerkungen
sind zu", Theil wohlbegründet. Eine Geschichte im höheren Sinne ist freilich mit
einer Grundanschauung, wie die des Verfassers, nicht möglich: trotzdem macht das
Buch keinen schlechten Eindruck, weil sein Verfasser allem Anscheine nach wirklich
von dem überzeugt ist, was er schreibt, und sticht darum vortheilhaft von den meisten
Producten unserer Ultramontanen ab, die ihre Unwissenschaftlichkeit mit eitlcnr Schein
profaner Gelehrsamkeit aufzuputzen lieben, weil sie nicht den Muth haben, so bar-
nirt zu scheinen als sie sind.




Mit Ur. 4O beginnt diese Zeitschrift ein neues Vuart-si,
welches durch alle ZZAichhKttdluNgcN lind Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im September 180^.
Die VerltligsKandtmilg.




Veremtwvrtlichcr Redncleur: or. M r i p Busch.
Verlag von F. L. Herdig. - Druck von C. E. Mberl in Leipzig.

konnten. Gerade das aber ist es, was Mommsen die Claudier lieb und werth macht,
denn er denkt sich nnn einmal ein Genie ungern anders, als um eine Haupteslänge
über andere Bürger hervorragend und neigt sehr dazu hin, die Begriffe Volksfreund
und Usurpator verschwimmen zu lassen: mit einem Wort, es ist ein tyrannischer
Zug in MommsenS Geschichtsauffassung.


Bumüller, Geschichte des Alterthums, 1, Theil.

Der Verfasser, der (wie man aus S. 275 sieht) rechtgläubiger Katholik ist,
stelli den alttestamentlichen Erzählungsstoff in seinem buchstäblichsten Sinne in die
Mitte der altorientalischen Geschichte. Er glaubt, daß die fünf Bücher, Mosis um
l5l>0 v. Chr, geschrieben sind, und verwahrt sich nachdrücklich gegen die Ansicht,
welche das Denker onomium mit der Reformation unter König Josia in Verbindung
bringt: „ans Manetho und Berosus . . . so wie aus den Inschriften der ägyptischen
und assyrisch-babylonischen Denkmäler ist noch keine Chronologie und Geschichte
wiederhergestellt worden, welche vor der ernsten und unbefangenen Kritik bestehen
könnte (S. K)." Der Verfasser hat nicht erwogen, daß man, eine Quelle als all¬
einige Norm anerkennend und die anderen Quellen danach corrigirend genau so
glatte Resultate wie die seinigen erzielen würde, wenn man statt des alten Testaments
die heiligen Annalen der Aegypter oder Babylonier zu Grunde legen wollte. Von
den Schwierigkeiten der biblischen Zeitrechnung weiß der Verfasser nichts, der sich
für diese einfach auf l)r. Weite im Kirchcnlexikvn beruft: sie werden aber bestehen,
so lange die Orthodoxie nicht^den Beweis beigebracht hat, daß einmal -it-^,52 und
el» anders Mal 20^-3» ist, und lassen sich befriedigend nur durch Zuratheziehung
profaner Geschichtsquellen löse». In allen den Theilen der altorientalischen Geschichte,
die nicht von den biblischen Berichten abhängen (aber freilich, welcher erhielte nicht
ans diesen sei» Linke!), bekundet der Verfasser eine solide historische und philologische
Vorbildung, eingehende Kenntniß der neuesten Forschungen und durchweg Geschmack
und gesundes Urtheil. Die ziemlich häufigen gegen Duncker gerichteten Anmerkungen
sind zu», Theil wohlbegründet. Eine Geschichte im höheren Sinne ist freilich mit
einer Grundanschauung, wie die des Verfassers, nicht möglich: trotzdem macht das
Buch keinen schlechten Eindruck, weil sein Verfasser allem Anscheine nach wirklich
von dem überzeugt ist, was er schreibt, und sticht darum vortheilhaft von den meisten
Producten unserer Ultramontanen ab, die ihre Unwissenschaftlichkeit mit eitlcnr Schein
profaner Gelehrsamkeit aufzuputzen lieben, weil sie nicht den Muth haben, so bar-
nirt zu scheinen als sie sind.




Mit Ur. 4O beginnt diese Zeitschrift ein neues Vuart-si,
welches durch alle ZZAichhKttdluNgcN lind Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im September 180^.
Die VerltligsKandtmilg.




Veremtwvrtlichcr Redncleur: or. M r i p Busch.
Verlag von F. L. Herdig. - Druck von C. E. Mberl in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/44>, abgerufen am 29.06.2024.