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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Die Wenden in Hannover.

Daß sich in der preußischen und sächsischen Lausitz noch ein ziemlich star¬
ker Rest der Wenden findet, welche einst den größten Theil Norddeutschlands
bis hinauf nach Mecklenburg und Südholstein innehalten, und daß diese acht¬
zig bis hunderttausend Wenden des Gebiets der obern Spree neben ihrer
Sprache auch manche alte Sitte bewahrt haben, ist hinreichend bekannt, auch
den Lesern d. Bl. dnrch Schilderung dieser slavischen Enclave des östlichen
Mitteldeutschland veranschaulicht worden. Neu dagegen war uns und möchte
dem größten Theil unsres Publicums sein, zu erfahren, daß auch das Weifen¬
land Bewohner hat. die sich Wenden nennen und vor nicht langer Zeit sich
noch eines Idioms bedienten, welches als ein verdorbener slavischer Dialekt bezeichnet
werden muß -- eine Kunde, die wir einer uns soeben zugegangenen Festschrift
"Das hannoversche Wendland"*) verdanken und von der wir das Wich¬
tigste mittheilen als ein Seiicnstück zu jenem früheren Berichte und als ein Bei¬
spiel der Art und Weise, wie sich die Germanisirung dieser Ueberbleivsel sla¬
vischer Nationalität vollzieht.

Fahren wir mit der Eisenbahn von Hannover nach dem freundlichen Aetzen
am Ostrande der lüneburger Haide und wenden wir uns von hier weiter öst¬
lich über den Höhenzug, welcher die Wasserscheide der Ilmenau und Jeetzel
bildet, so sehen wir jenseits des dahinter sich hinziehenden Thales sich abermals
Hügel erheben, die von dem Volke der Gegend die krcycnhagner Berge, von
Andern wohl auch mit einer nicht mehr ungewöhnlichen Hyperbel "die wen"
dische Schweiz" genannt werden, und von deren Gipfeln man eine lachende
Thalebene mit hübschen, stattlichen Dörfern und wohlbestallten Getreidefeldern
überblickt. Dies ist das hannoversche Wendland, welches die Aemter Lüchow
und Gartow umfaßt, und in welches wir nunmehr hinabsteigen, um uns mit
seinen Bewohnern zu beschäftigen.



") Der ganze Titel lautet: Das hannoversche Wendland. Festschrift, dem Centmlaus-
schufst der königlichen Landwirthschafts.Gesellschaft zu Celle bei seiner.Anwesenheit im Wend.
lande im Sommer 1862 gewidmet von dein landwirthschaftlichen Localverein des Wcndiandcs
zu Lüchow. Lüchow, in Commission der A- Scmcrschen Buchhandlung. 1862. 161 S. Quart.
Grenzboten IV. 1864. 26
Die Wenden in Hannover.

Daß sich in der preußischen und sächsischen Lausitz noch ein ziemlich star¬
ker Rest der Wenden findet, welche einst den größten Theil Norddeutschlands
bis hinauf nach Mecklenburg und Südholstein innehalten, und daß diese acht¬
zig bis hunderttausend Wenden des Gebiets der obern Spree neben ihrer
Sprache auch manche alte Sitte bewahrt haben, ist hinreichend bekannt, auch
den Lesern d. Bl. dnrch Schilderung dieser slavischen Enclave des östlichen
Mitteldeutschland veranschaulicht worden. Neu dagegen war uns und möchte
dem größten Theil unsres Publicums sein, zu erfahren, daß auch das Weifen¬
land Bewohner hat. die sich Wenden nennen und vor nicht langer Zeit sich
noch eines Idioms bedienten, welches als ein verdorbener slavischer Dialekt bezeichnet
werden muß — eine Kunde, die wir einer uns soeben zugegangenen Festschrift
„Das hannoversche Wendland"*) verdanken und von der wir das Wich¬
tigste mittheilen als ein Seiicnstück zu jenem früheren Berichte und als ein Bei¬
spiel der Art und Weise, wie sich die Germanisirung dieser Ueberbleivsel sla¬
vischer Nationalität vollzieht.

Fahren wir mit der Eisenbahn von Hannover nach dem freundlichen Aetzen
am Ostrande der lüneburger Haide und wenden wir uns von hier weiter öst¬
lich über den Höhenzug, welcher die Wasserscheide der Ilmenau und Jeetzel
bildet, so sehen wir jenseits des dahinter sich hinziehenden Thales sich abermals
Hügel erheben, die von dem Volke der Gegend die krcycnhagner Berge, von
Andern wohl auch mit einer nicht mehr ungewöhnlichen Hyperbel „die wen«
dische Schweiz" genannt werden, und von deren Gipfeln man eine lachende
Thalebene mit hübschen, stattlichen Dörfern und wohlbestallten Getreidefeldern
überblickt. Dies ist das hannoversche Wendland, welches die Aemter Lüchow
und Gartow umfaßt, und in welches wir nunmehr hinabsteigen, um uns mit
seinen Bewohnern zu beschäftigen.



") Der ganze Titel lautet: Das hannoversche Wendland. Festschrift, dem Centmlaus-
schufst der königlichen Landwirthschafts.Gesellschaft zu Celle bei seiner.Anwesenheit im Wend.
lande im Sommer 1862 gewidmet von dein landwirthschaftlichen Localverein des Wcndiandcs
zu Lüchow. Lüchow, in Commission der A- Scmcrschen Buchhandlung. 1862. 161 S. Quart.
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[0205] Die Wenden in Hannover. Daß sich in der preußischen und sächsischen Lausitz noch ein ziemlich star¬ ker Rest der Wenden findet, welche einst den größten Theil Norddeutschlands bis hinauf nach Mecklenburg und Südholstein innehalten, und daß diese acht¬ zig bis hunderttausend Wenden des Gebiets der obern Spree neben ihrer Sprache auch manche alte Sitte bewahrt haben, ist hinreichend bekannt, auch den Lesern d. Bl. dnrch Schilderung dieser slavischen Enclave des östlichen Mitteldeutschland veranschaulicht worden. Neu dagegen war uns und möchte dem größten Theil unsres Publicums sein, zu erfahren, daß auch das Weifen¬ land Bewohner hat. die sich Wenden nennen und vor nicht langer Zeit sich noch eines Idioms bedienten, welches als ein verdorbener slavischer Dialekt bezeichnet werden muß — eine Kunde, die wir einer uns soeben zugegangenen Festschrift „Das hannoversche Wendland"*) verdanken und von der wir das Wich¬ tigste mittheilen als ein Seiicnstück zu jenem früheren Berichte und als ein Bei¬ spiel der Art und Weise, wie sich die Germanisirung dieser Ueberbleivsel sla¬ vischer Nationalität vollzieht. Fahren wir mit der Eisenbahn von Hannover nach dem freundlichen Aetzen am Ostrande der lüneburger Haide und wenden wir uns von hier weiter öst¬ lich über den Höhenzug, welcher die Wasserscheide der Ilmenau und Jeetzel bildet, so sehen wir jenseits des dahinter sich hinziehenden Thales sich abermals Hügel erheben, die von dem Volke der Gegend die krcycnhagner Berge, von Andern wohl auch mit einer nicht mehr ungewöhnlichen Hyperbel „die wen« dische Schweiz" genannt werden, und von deren Gipfeln man eine lachende Thalebene mit hübschen, stattlichen Dörfern und wohlbestallten Getreidefeldern überblickt. Dies ist das hannoversche Wendland, welches die Aemter Lüchow und Gartow umfaßt, und in welches wir nunmehr hinabsteigen, um uns mit seinen Bewohnern zu beschäftigen. ") Der ganze Titel lautet: Das hannoversche Wendland. Festschrift, dem Centmlaus- schufst der königlichen Landwirthschafts.Gesellschaft zu Celle bei seiner.Anwesenheit im Wend. lande im Sommer 1862 gewidmet von dein landwirthschaftlichen Localverein des Wcndiandcs zu Lüchow. Lüchow, in Commission der A- Scmcrschen Buchhandlung. 1862. 161 S. Quart. Grenzboten IV. 1864. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/205>, abgerufen am 29.06.2024.