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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Hause verzichten. Das wäre der Act der Selbstverleugnung, der seiner würdig
wäre. Und die Nation würde ihm für diesen großen Entschluß von Herzen
danken.




Vermischte Literatur.

Denkwürdigkeiten des Domherrn Grafen von W, von, Beginn der
ersten französischen Revolution bis zur neuesten Zeit. Leipzig, Bergson-Soncnbcrg,
1864. 374 S. ,

Unter der Form von Memoiren eines streng katholischen und aristokratisch-
feudale" alten Herrn giebt der Verfasser eine in manchen Partien nicht übel ge¬
lungene Jronisirung der Kreuzzeitungspnrtci, aus der er indessen bisweilen heraus¬
fällt, so daß man die Absicht merkt und der Spaß in den Born fällt. Der Erfindung
liegen die Erfahrungen und Erlebnisse eines vielbewegten wirtlichen Lebens zu Grunde.
Der Verfasser hat überall ein wenig, bisweilen ziemlich tief hinter die Coulissen der
Haupt- und Staatsactionen seiner Zeit gesehen, seine Velescnhcit in der Skandal-
chronik der vornehmen Welt, aus der er reichliche Beispiele mittheilt, seine Lieb¬
haberei für pikante Anekdoten, seine große .Kenntniß von allerlei Persönlichkeiten in
Cavalier- und Hofsphären läßt uns auf ein Mitglied der niederen Diplomatie und einen
Vielgereisten schließen. Daß der Domherr und Graf eine außergewöhnlich genaue
Kenntniß sämmtlicher Schriften besitzt, mit denen der bekannte Neigcbaur die deutsche
Literatur bereichert hat, und daß er auch die kleinsten und unbedeutendsten dieser
Bücher, Broschüren und Aufsätze zu citiren weiß und auch da zu citiren für nöthig
hält, wo dies Andern nicht in den Sinn kommen würde, mag weiter rathen helfen.
Einzelne der eingcflocktnen Anekdoten sind hübsch und man, auch Manches von den
Beiträgen, die das Buch zur Kulturgeschichte des Adels, zu dem Verständniß der
frühern Verhältnisse von Guisherrn uno Bauern u, d. in. liefert, ist von Werth.
Im Ganzen ist das Buch aber doch nnr eine Speculation auf den Geschmack an
Klatschgeschichle", und wen" damit die Absicht verbunden gewesen sein sollte, die
gute Sache zu fördern, so können wir nicht sagen, daß dieser Weg der rechte war,
und ebensowenig, daß das Vermögen des Verfassers für die Form ausreichte.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L, Herbig. -- Druck von -C. E. Elben in Leipzig.

Hause verzichten. Das wäre der Act der Selbstverleugnung, der seiner würdig
wäre. Und die Nation würde ihm für diesen großen Entschluß von Herzen
danken.




Vermischte Literatur.

Denkwürdigkeiten des Domherrn Grafen von W, von, Beginn der
ersten französischen Revolution bis zur neuesten Zeit. Leipzig, Bergson-Soncnbcrg,
1864. 374 S. ,

Unter der Form von Memoiren eines streng katholischen und aristokratisch-
feudale» alten Herrn giebt der Verfasser eine in manchen Partien nicht übel ge¬
lungene Jronisirung der Kreuzzeitungspnrtci, aus der er indessen bisweilen heraus¬
fällt, so daß man die Absicht merkt und der Spaß in den Born fällt. Der Erfindung
liegen die Erfahrungen und Erlebnisse eines vielbewegten wirtlichen Lebens zu Grunde.
Der Verfasser hat überall ein wenig, bisweilen ziemlich tief hinter die Coulissen der
Haupt- und Staatsactionen seiner Zeit gesehen, seine Velescnhcit in der Skandal-
chronik der vornehmen Welt, aus der er reichliche Beispiele mittheilt, seine Lieb¬
haberei für pikante Anekdoten, seine große .Kenntniß von allerlei Persönlichkeiten in
Cavalier- und Hofsphären läßt uns auf ein Mitglied der niederen Diplomatie und einen
Vielgereisten schließen. Daß der Domherr und Graf eine außergewöhnlich genaue
Kenntniß sämmtlicher Schriften besitzt, mit denen der bekannte Neigcbaur die deutsche
Literatur bereichert hat, und daß er auch die kleinsten und unbedeutendsten dieser
Bücher, Broschüren und Aufsätze zu citiren weiß und auch da zu citiren für nöthig
hält, wo dies Andern nicht in den Sinn kommen würde, mag weiter rathen helfen.
Einzelne der eingcflocktnen Anekdoten sind hübsch und man, auch Manches von den
Beiträgen, die das Buch zur Kulturgeschichte des Adels, zu dem Verständniß der
frühern Verhältnisse von Guisherrn uno Bauern u, d. in. liefert, ist von Werth.
Im Ganzen ist das Buch aber doch nnr eine Speculation auf den Geschmack an
Klatschgeschichle», und wen» damit die Absicht verbunden gewesen sein sollte, die
gute Sache zu fördern, so können wir nicht sagen, daß dieser Weg der rechte war,
und ebensowenig, daß das Vermögen des Verfassers für die Form ausreichte.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L, Herbig. — Druck von -C. E. Elben in Leipzig.
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[0048] Hause verzichten. Das wäre der Act der Selbstverleugnung, der seiner würdig wäre. Und die Nation würde ihm für diesen großen Entschluß von Herzen danken. Vermischte Literatur. Denkwürdigkeiten des Domherrn Grafen von W, von, Beginn der ersten französischen Revolution bis zur neuesten Zeit. Leipzig, Bergson-Soncnbcrg, 1864. 374 S. , Unter der Form von Memoiren eines streng katholischen und aristokratisch- feudale» alten Herrn giebt der Verfasser eine in manchen Partien nicht übel ge¬ lungene Jronisirung der Kreuzzeitungspnrtci, aus der er indessen bisweilen heraus¬ fällt, so daß man die Absicht merkt und der Spaß in den Born fällt. Der Erfindung liegen die Erfahrungen und Erlebnisse eines vielbewegten wirtlichen Lebens zu Grunde. Der Verfasser hat überall ein wenig, bisweilen ziemlich tief hinter die Coulissen der Haupt- und Staatsactionen seiner Zeit gesehen, seine Velescnhcit in der Skandal- chronik der vornehmen Welt, aus der er reichliche Beispiele mittheilt, seine Lieb¬ haberei für pikante Anekdoten, seine große .Kenntniß von allerlei Persönlichkeiten in Cavalier- und Hofsphären läßt uns auf ein Mitglied der niederen Diplomatie und einen Vielgereisten schließen. Daß der Domherr und Graf eine außergewöhnlich genaue Kenntniß sämmtlicher Schriften besitzt, mit denen der bekannte Neigcbaur die deutsche Literatur bereichert hat, und daß er auch die kleinsten und unbedeutendsten dieser Bücher, Broschüren und Aufsätze zu citiren weiß und auch da zu citiren für nöthig hält, wo dies Andern nicht in den Sinn kommen würde, mag weiter rathen helfen. Einzelne der eingcflocktnen Anekdoten sind hübsch und man, auch Manches von den Beiträgen, die das Buch zur Kulturgeschichte des Adels, zu dem Verständniß der frühern Verhältnisse von Guisherrn uno Bauern u, d. in. liefert, ist von Werth. Im Ganzen ist das Buch aber doch nnr eine Speculation auf den Geschmack an Klatschgeschichle», und wen» damit die Absicht verbunden gewesen sein sollte, die gute Sache zu fördern, so können wir nicht sagen, daß dieser Weg der rechte war, und ebensowenig, daß das Vermögen des Verfassers für die Form ausreichte. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L, Herbig. — Druck von -C. E. Elben in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/48>, abgerufen am 28.09.2024.