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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Wie dem aber auch sei, diese und andere Fragen werden sich erst erledigen
lassen, wenn einmal die florentiner Papiere ans Tageslicht getreten sind. Wir
hoffen, daß durch sie die bisherigen Arbeiten über Michelangelo noch eine erhebliche
Bereicherung erfahren, daß Manches, was bis jetzt blos auf dem Weg der
Combination sich gewinnen ließ, dann documentarisch sich begründen lassen
Werde. Wir wünschen aber auch, daß die biographische Verwerthung dieses
Materials dann in eine Hand kommen möge, welche denselben hingebenden
Fleiß und denselben Geschmack zu dieser Arbeit mitbringe, wie sie Grimms
Werk auszeichnen. Am besten, wenn er dann selbst wieder Hand anlegt. Nachdem
er jetzt die äußeren Schicksale mit einer Ausführlichkeit, die wenige wesentliche
Nachträge mehr erfordern wird, behandelt hat. kann er sich um so unbeirrtcr durch
fernabführenden Ballast der noch ungelösten Aufgabe zuwenden, die volle
Persönlichkeit Michelangelos in den verschiedenartigen Aeußerungen seines Geistes
zu schildern und damit das Gesammtbild des außerordentlichen Mannes zu
W. L. vollenden.




Zur Erummmg an Lessinst.
von Heinrich v. Treitzschke. Bortrag, gehalten zu Leipzig am 22. Januar

Allein die Zeitgenossen winden dem Dichter den schönsten der Kränze. Ge¬
rechter vielleicht mag die Nachwelt richten, als einen Seherblick des Genius
mag sie Einzelnes preisen, was den Mitlebenden unverstanden vorüberschwebte.
Doch jene sraglose. unwillkürliche Rührung der Seelen, die der Künstler als
edelsten Lohn erstrebt, er wird sie am gewaltigsten in seiner Zeit erregen.
Wie könnte heute ein Jüngling von den Leiden des jungen Werthers so schmerz¬
lich ergriffen werden wie damals, da die Werther noch auf unsren Straßen
verkehrten? Und ich bezweifle, ob je eine moderne Hörerschaft den Scherzen
der Narren Shakespeares ein so herzliches baucherschüttcrndes Gelächter ent¬
gegengebracht hat, wie es dem Dichter zuscholl aus den Reihen der Gründ¬
linge seines Parterres. Denn immer wird heute inmitten der jubelnden Menge
ein nüchterner stehen und meinen: so, ganz so empfinden wir nicht mehr.
Alle Welt weiß, wie wenigen Dichtern beschieden ward, noch in der Zukunft
vom Bolle geliebt, nicht blos durchgrübelt zu werden von den Fachgelehrten.


Wie dem aber auch sei, diese und andere Fragen werden sich erst erledigen
lassen, wenn einmal die florentiner Papiere ans Tageslicht getreten sind. Wir
hoffen, daß durch sie die bisherigen Arbeiten über Michelangelo noch eine erhebliche
Bereicherung erfahren, daß Manches, was bis jetzt blos auf dem Weg der
Combination sich gewinnen ließ, dann documentarisch sich begründen lassen
Werde. Wir wünschen aber auch, daß die biographische Verwerthung dieses
Materials dann in eine Hand kommen möge, welche denselben hingebenden
Fleiß und denselben Geschmack zu dieser Arbeit mitbringe, wie sie Grimms
Werk auszeichnen. Am besten, wenn er dann selbst wieder Hand anlegt. Nachdem
er jetzt die äußeren Schicksale mit einer Ausführlichkeit, die wenige wesentliche
Nachträge mehr erfordern wird, behandelt hat. kann er sich um so unbeirrtcr durch
fernabführenden Ballast der noch ungelösten Aufgabe zuwenden, die volle
Persönlichkeit Michelangelos in den verschiedenartigen Aeußerungen seines Geistes
zu schildern und damit das Gesammtbild des außerordentlichen Mannes zu
W. L. vollenden.




Zur Erummmg an Lessinst.
von Heinrich v. Treitzschke. Bortrag, gehalten zu Leipzig am 22. Januar

Allein die Zeitgenossen winden dem Dichter den schönsten der Kränze. Ge¬
rechter vielleicht mag die Nachwelt richten, als einen Seherblick des Genius
mag sie Einzelnes preisen, was den Mitlebenden unverstanden vorüberschwebte.
Doch jene sraglose. unwillkürliche Rührung der Seelen, die der Künstler als
edelsten Lohn erstrebt, er wird sie am gewaltigsten in seiner Zeit erregen.
Wie könnte heute ein Jüngling von den Leiden des jungen Werthers so schmerz¬
lich ergriffen werden wie damals, da die Werther noch auf unsren Straßen
verkehrten? Und ich bezweifle, ob je eine moderne Hörerschaft den Scherzen
der Narren Shakespeares ein so herzliches baucherschüttcrndes Gelächter ent¬
gegengebracht hat, wie es dem Dichter zuscholl aus den Reihen der Gründ¬
linge seines Parterres. Denn immer wird heute inmitten der jubelnden Menge
ein nüchterner stehen und meinen: so, ganz so empfinden wir nicht mehr.
Alle Welt weiß, wie wenigen Dichtern beschieden ward, noch in der Zukunft
vom Bolle geliebt, nicht blos durchgrübelt zu werden von den Fachgelehrten.


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[0309] Wie dem aber auch sei, diese und andere Fragen werden sich erst erledigen lassen, wenn einmal die florentiner Papiere ans Tageslicht getreten sind. Wir hoffen, daß durch sie die bisherigen Arbeiten über Michelangelo noch eine erhebliche Bereicherung erfahren, daß Manches, was bis jetzt blos auf dem Weg der Combination sich gewinnen ließ, dann documentarisch sich begründen lassen Werde. Wir wünschen aber auch, daß die biographische Verwerthung dieses Materials dann in eine Hand kommen möge, welche denselben hingebenden Fleiß und denselben Geschmack zu dieser Arbeit mitbringe, wie sie Grimms Werk auszeichnen. Am besten, wenn er dann selbst wieder Hand anlegt. Nachdem er jetzt die äußeren Schicksale mit einer Ausführlichkeit, die wenige wesentliche Nachträge mehr erfordern wird, behandelt hat. kann er sich um so unbeirrtcr durch fernabführenden Ballast der noch ungelösten Aufgabe zuwenden, die volle Persönlichkeit Michelangelos in den verschiedenartigen Aeußerungen seines Geistes zu schildern und damit das Gesammtbild des außerordentlichen Mannes zu W. L. vollenden. Zur Erummmg an Lessinst. von Heinrich v. Treitzschke. Bortrag, gehalten zu Leipzig am 22. Januar Allein die Zeitgenossen winden dem Dichter den schönsten der Kränze. Ge¬ rechter vielleicht mag die Nachwelt richten, als einen Seherblick des Genius mag sie Einzelnes preisen, was den Mitlebenden unverstanden vorüberschwebte. Doch jene sraglose. unwillkürliche Rührung der Seelen, die der Künstler als edelsten Lohn erstrebt, er wird sie am gewaltigsten in seiner Zeit erregen. Wie könnte heute ein Jüngling von den Leiden des jungen Werthers so schmerz¬ lich ergriffen werden wie damals, da die Werther noch auf unsren Straßen verkehrten? Und ich bezweifle, ob je eine moderne Hörerschaft den Scherzen der Narren Shakespeares ein so herzliches baucherschüttcrndes Gelächter ent¬ gegengebracht hat, wie es dem Dichter zuscholl aus den Reihen der Gründ¬ linge seines Parterres. Denn immer wird heute inmitten der jubelnden Menge ein nüchterner stehen und meinen: so, ganz so empfinden wir nicht mehr. Alle Welt weiß, wie wenigen Dichtern beschieden ward, noch in der Zukunft vom Bolle geliebt, nicht blos durchgrübelt zu werden von den Fachgelehrten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/309>, abgerufen am 24.11.2024.