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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Briefe über Oestreich.
Oestreich und Ungarn.
1.

Die Befürchtung, die wir vor einiger Zeit in diesen Blättern aussprachen,
daß Oestreich die polnische Frage und die Jsojirung, der Preußen infolge der¬
selben verfallen ist, dazu benutzen würde, um einen Druck auf Preußens Stel¬
lung in Deutschland auszuüben, ist mit der Berufung des frankfurter Fürsten¬
tags in Erfüllung gegangen. Daß wir dem östreichischen Projecte gegenüber
eine entschieden negative Haltung annehmen und in demselben nur eine Ab¬
lenkung von den Bahnen sehen, die allein zu einer reellen, nicht blos dem
Scheine dienenden, sondern den Frciheits- und Einheitsbedürfnissen der Nation
wahrhaft Genüge leistenden Neugestaltung Deutschlands führen können, darf
uns nicht abhalten, anzuerkennen, daß das Borgehen Oestreichs von einer Ent¬
schlossenheit zeugte, an der es Preußen in entscheidenden Momenten schon mehr
als einmal gemangelt hat. Daß die östreichische Negierung die Schwäche und
völlige Isolirung Preußens zu einer kräftigen Diversion gegen die Machtstellung
dieses Staates benutzte, daraus wollen wir ihr keinen Vorwurf machen. Es
wäre eine merkwürdige Selbstverläugnung Oestreichs gewesen, wenn es einen
Augenblick unbenutzt gelassen hätte, in dem das berliner Cabinet weder aus die
Bundesgenossenschaft des deutschen Bockes noch auf die der deutschen Höfe
zählen konnte, einen Augenblick, in dem zum ersten Male seit den Zeiten des
großen Friedrich kaum von einer preußischen Partei in Deutschland geredet
werden konnte. Ob indessen wirklich (wenn wir die Frage nicht vom deutschen,
sondern vom östreichischen Standpunkt aus betrachten) aus den Fürstenconfe-
rcnzen, auch für den Fall, daß sie zu bleibenden Resultaten führen, eine
dauernde Kräftigung Oestreichs hervorzugehen verspricht,'ob vor Allem die Be¬
strebungen Oestreichs, die Gesammtheit seiner Staaten durch ein gemeinsames
constitutivnelles Band zu vereinigen, eine Förderung in der zeitweiligen Reali-
sirung seiner deutschen Pläne finden würden, darüber wird wohl auch dem be¬
geistertsten Anhänger des Neformprojectes, wenn es ihm gelingt, sich aus einen
Augenblick aus den heitern Regionen großdeutscher Zukunftsherrlichkeit in die


Gre"zboten IV. 1
Briefe über Oestreich.
Oestreich und Ungarn.
1.

Die Befürchtung, die wir vor einiger Zeit in diesen Blättern aussprachen,
daß Oestreich die polnische Frage und die Jsojirung, der Preußen infolge der¬
selben verfallen ist, dazu benutzen würde, um einen Druck auf Preußens Stel¬
lung in Deutschland auszuüben, ist mit der Berufung des frankfurter Fürsten¬
tags in Erfüllung gegangen. Daß wir dem östreichischen Projecte gegenüber
eine entschieden negative Haltung annehmen und in demselben nur eine Ab¬
lenkung von den Bahnen sehen, die allein zu einer reellen, nicht blos dem
Scheine dienenden, sondern den Frciheits- und Einheitsbedürfnissen der Nation
wahrhaft Genüge leistenden Neugestaltung Deutschlands führen können, darf
uns nicht abhalten, anzuerkennen, daß das Borgehen Oestreichs von einer Ent¬
schlossenheit zeugte, an der es Preußen in entscheidenden Momenten schon mehr
als einmal gemangelt hat. Daß die östreichische Negierung die Schwäche und
völlige Isolirung Preußens zu einer kräftigen Diversion gegen die Machtstellung
dieses Staates benutzte, daraus wollen wir ihr keinen Vorwurf machen. Es
wäre eine merkwürdige Selbstverläugnung Oestreichs gewesen, wenn es einen
Augenblick unbenutzt gelassen hätte, in dem das berliner Cabinet weder aus die
Bundesgenossenschaft des deutschen Bockes noch auf die der deutschen Höfe
zählen konnte, einen Augenblick, in dem zum ersten Male seit den Zeiten des
großen Friedrich kaum von einer preußischen Partei in Deutschland geredet
werden konnte. Ob indessen wirklich (wenn wir die Frage nicht vom deutschen,
sondern vom östreichischen Standpunkt aus betrachten) aus den Fürstenconfe-
rcnzen, auch für den Fall, daß sie zu bleibenden Resultaten führen, eine
dauernde Kräftigung Oestreichs hervorzugehen verspricht,'ob vor Allem die Be¬
strebungen Oestreichs, die Gesammtheit seiner Staaten durch ein gemeinsames
constitutivnelles Band zu vereinigen, eine Förderung in der zeitweiligen Reali-
sirung seiner deutschen Pläne finden würden, darüber wird wohl auch dem be¬
geistertsten Anhänger des Neformprojectes, wenn es ihm gelingt, sich aus einen
Augenblick aus den heitern Regionen großdeutscher Zukunftsherrlichkeit in die


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[0009] Briefe über Oestreich. Oestreich und Ungarn. 1. Die Befürchtung, die wir vor einiger Zeit in diesen Blättern aussprachen, daß Oestreich die polnische Frage und die Jsojirung, der Preußen infolge der¬ selben verfallen ist, dazu benutzen würde, um einen Druck auf Preußens Stel¬ lung in Deutschland auszuüben, ist mit der Berufung des frankfurter Fürsten¬ tags in Erfüllung gegangen. Daß wir dem östreichischen Projecte gegenüber eine entschieden negative Haltung annehmen und in demselben nur eine Ab¬ lenkung von den Bahnen sehen, die allein zu einer reellen, nicht blos dem Scheine dienenden, sondern den Frciheits- und Einheitsbedürfnissen der Nation wahrhaft Genüge leistenden Neugestaltung Deutschlands führen können, darf uns nicht abhalten, anzuerkennen, daß das Borgehen Oestreichs von einer Ent¬ schlossenheit zeugte, an der es Preußen in entscheidenden Momenten schon mehr als einmal gemangelt hat. Daß die östreichische Negierung die Schwäche und völlige Isolirung Preußens zu einer kräftigen Diversion gegen die Machtstellung dieses Staates benutzte, daraus wollen wir ihr keinen Vorwurf machen. Es wäre eine merkwürdige Selbstverläugnung Oestreichs gewesen, wenn es einen Augenblick unbenutzt gelassen hätte, in dem das berliner Cabinet weder aus die Bundesgenossenschaft des deutschen Bockes noch auf die der deutschen Höfe zählen konnte, einen Augenblick, in dem zum ersten Male seit den Zeiten des großen Friedrich kaum von einer preußischen Partei in Deutschland geredet werden konnte. Ob indessen wirklich (wenn wir die Frage nicht vom deutschen, sondern vom östreichischen Standpunkt aus betrachten) aus den Fürstenconfe- rcnzen, auch für den Fall, daß sie zu bleibenden Resultaten führen, eine dauernde Kräftigung Oestreichs hervorzugehen verspricht,'ob vor Allem die Be¬ strebungen Oestreichs, die Gesammtheit seiner Staaten durch ein gemeinsames constitutivnelles Band zu vereinigen, eine Förderung in der zeitweiligen Reali- sirung seiner deutschen Pläne finden würden, darüber wird wohl auch dem be¬ geistertsten Anhänger des Neformprojectes, wenn es ihm gelingt, sich aus einen Augenblick aus den heitern Regionen großdeutscher Zukunftsherrlichkeit in die Gre»zboten IV. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/9>, abgerufen am 15.01.2025.