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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zum Kriege, an dem Preußen gegen Rußland theilnahm, so wagte möglicher-
weise Niemand, ihm den Besitz Sachsens streitig zu machen. Anders wahr¬
scheinlich, wenn Alexander zu friedlicher Ausgleichung die Hand bot und in
eine Theilung des Herzogthums Warschau willigte. Dann wurde gewiß vou
vielen Seiten behauptet, Preußen müsse mit den Erwerbungen in Polen zu¬
frieden sein, und sehr zweifelhaft ist, ob England dann ein Aeußerstes daran
gesetzt hätte, ihm noch Sachsen zu verschaffen. Eine Vergrößerung Preußens
aber blos durch polnische Gebiete mußte für den preußischen Staat und seine
Zukunft geradezu verderbenbringend sein. Slavische Elemente mehr als sich
mit der Zeit verzehren ließen in den Staatsorganismus aufgenommen, Ver¬
stärkung des landbesitzenden Adels, Mehrung der katholischen Bestandtheile des
Volkes, das sind Dinge, welche den Vortheil einer etwas bessern militärischen
Grenze sicherlich weit überwogen hätte".

Wie man aber auch darüber denken mag, außer Zweifel steht, daß Preu¬
ßen einen unverzeihlicher Fehler beging, indem es unterließ, sich der Unter¬
stützung seiner Ansprüche durch Nußland, der einzigen Macht, auf die es
nunmehr rechnen konnte, in bestimmt bindender Form zu versichern, und diese
schwere Unterlassungssünde fällt hauptsächlich den, Fürsten Hardenberg zur Last.




Der Philologentag in Meißen.

Die in der freundlichen Elbstadt versammelt gewesenen Philologen und
Schulmänner sind jetzt wieder heimgekehrt, und wenn sich, wie immer zu geschehen
pflegt, erst später aus der Fülle des dort Erlebten das herausheben wird, was
dem Einzelnen als schönes Besitzthum und werthvolle Erfahrung bleibt, so
müssen wir hiervon eine Empfindung ausnehmen, die sich gleichmäßig in allen
Gästen von dem ersten Tage unseres Beisammenseins an äußerte, und der von
verschiedenen Seiten ein mehr oder minder beredter Ausdruck verliehen wor¬
den ist.

Wir meinen das Gefühl der Dankbarkeit für die herzliche Gastfreundschaft,
die wir in Meißen gefunden, ein Gefühl, das um so lebhafter war, als die Klein¬
heit der Stadt die Unterbringung von etwa 320 Gästen sehr erschwert haben


zum Kriege, an dem Preußen gegen Rußland theilnahm, so wagte möglicher-
weise Niemand, ihm den Besitz Sachsens streitig zu machen. Anders wahr¬
scheinlich, wenn Alexander zu friedlicher Ausgleichung die Hand bot und in
eine Theilung des Herzogthums Warschau willigte. Dann wurde gewiß vou
vielen Seiten behauptet, Preußen müsse mit den Erwerbungen in Polen zu¬
frieden sein, und sehr zweifelhaft ist, ob England dann ein Aeußerstes daran
gesetzt hätte, ihm noch Sachsen zu verschaffen. Eine Vergrößerung Preußens
aber blos durch polnische Gebiete mußte für den preußischen Staat und seine
Zukunft geradezu verderbenbringend sein. Slavische Elemente mehr als sich
mit der Zeit verzehren ließen in den Staatsorganismus aufgenommen, Ver¬
stärkung des landbesitzenden Adels, Mehrung der katholischen Bestandtheile des
Volkes, das sind Dinge, welche den Vortheil einer etwas bessern militärischen
Grenze sicherlich weit überwogen hätte».

Wie man aber auch darüber denken mag, außer Zweifel steht, daß Preu¬
ßen einen unverzeihlicher Fehler beging, indem es unterließ, sich der Unter¬
stützung seiner Ansprüche durch Nußland, der einzigen Macht, auf die es
nunmehr rechnen konnte, in bestimmt bindender Form zu versichern, und diese
schwere Unterlassungssünde fällt hauptsächlich den, Fürsten Hardenberg zur Last.




Der Philologentag in Meißen.

Die in der freundlichen Elbstadt versammelt gewesenen Philologen und
Schulmänner sind jetzt wieder heimgekehrt, und wenn sich, wie immer zu geschehen
pflegt, erst später aus der Fülle des dort Erlebten das herausheben wird, was
dem Einzelnen als schönes Besitzthum und werthvolle Erfahrung bleibt, so
müssen wir hiervon eine Empfindung ausnehmen, die sich gleichmäßig in allen
Gästen von dem ersten Tage unseres Beisammenseins an äußerte, und der von
verschiedenen Seiten ein mehr oder minder beredter Ausdruck verliehen wor¬
den ist.

Wir meinen das Gefühl der Dankbarkeit für die herzliche Gastfreundschaft,
die wir in Meißen gefunden, ein Gefühl, das um so lebhafter war, als die Klein¬
heit der Stadt die Unterbringung von etwa 320 Gästen sehr erschwert haben


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[0106] zum Kriege, an dem Preußen gegen Rußland theilnahm, so wagte möglicher- weise Niemand, ihm den Besitz Sachsens streitig zu machen. Anders wahr¬ scheinlich, wenn Alexander zu friedlicher Ausgleichung die Hand bot und in eine Theilung des Herzogthums Warschau willigte. Dann wurde gewiß vou vielen Seiten behauptet, Preußen müsse mit den Erwerbungen in Polen zu¬ frieden sein, und sehr zweifelhaft ist, ob England dann ein Aeußerstes daran gesetzt hätte, ihm noch Sachsen zu verschaffen. Eine Vergrößerung Preußens aber blos durch polnische Gebiete mußte für den preußischen Staat und seine Zukunft geradezu verderbenbringend sein. Slavische Elemente mehr als sich mit der Zeit verzehren ließen in den Staatsorganismus aufgenommen, Ver¬ stärkung des landbesitzenden Adels, Mehrung der katholischen Bestandtheile des Volkes, das sind Dinge, welche den Vortheil einer etwas bessern militärischen Grenze sicherlich weit überwogen hätte». Wie man aber auch darüber denken mag, außer Zweifel steht, daß Preu¬ ßen einen unverzeihlicher Fehler beging, indem es unterließ, sich der Unter¬ stützung seiner Ansprüche durch Nußland, der einzigen Macht, auf die es nunmehr rechnen konnte, in bestimmt bindender Form zu versichern, und diese schwere Unterlassungssünde fällt hauptsächlich den, Fürsten Hardenberg zur Last. Der Philologentag in Meißen. Die in der freundlichen Elbstadt versammelt gewesenen Philologen und Schulmänner sind jetzt wieder heimgekehrt, und wenn sich, wie immer zu geschehen pflegt, erst später aus der Fülle des dort Erlebten das herausheben wird, was dem Einzelnen als schönes Besitzthum und werthvolle Erfahrung bleibt, so müssen wir hiervon eine Empfindung ausnehmen, die sich gleichmäßig in allen Gästen von dem ersten Tage unseres Beisammenseins an äußerte, und der von verschiedenen Seiten ein mehr oder minder beredter Ausdruck verliehen wor¬ den ist. Wir meinen das Gefühl der Dankbarkeit für die herzliche Gastfreundschaft, die wir in Meißen gefunden, ein Gefühl, das um so lebhafter war, als die Klein¬ heit der Stadt die Unterbringung von etwa 320 Gästen sehr erschwert haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/106>, abgerufen am 15.01.2025.