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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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und mit ausdrücklicher Genehmigung des Herrn Professor Dr. Fichte in Tübingen
hier erfolgt.

Ich lasse den Abdruck nach einer diplomatisch genauen Copie der Originale
geschehen, weil ich zu Aenderungen der darin, allerdings nicht immer ganz con-
sequent, beobachteten Orthographie und Jntcrpunction nach modernen Grund¬
sätzen mich nicht berechtigt und es auch nicht für nöthig lenkte. die vorkommen¬
den kleinen Unfertigkeiten und Ungenauigkeiten eigenmächtig und, wie's geschehen
müßte, bisweilen auch willkürlich zu verbessern.

Der Zweck dieser Mittheilung ist, Fichte zu zeigen, wie er war, vorzüglich
von der gemüthvollen Seite seines Wesens und in den Beziehungen zu seiner
Familien bei der Offenheit seines Herzens verbindet sich dem reinsten Wohl¬
wollen auch hier die bei ihm überall durchschlagende Entschiedenheit des Willens.

Der erste Brief ist aus Schulpforta geschrieben, ein halbes Jahr nach der
am 4. Oct. 1774 erfolgten Aufnahme des damals kaum zwölf und ein halbes
Jahr alten Knaben. Zu der Schilderung, die wir in seiner Lebensbeschreibung
(I, 10--17) von seinem Aufenthalte auf dieser Fürstenschule erhalten, fügt dieser
Brief ein Genrebildchen, welches uns bereits in dem jungen Schüler einerseits
den ehrlichen, strengen Charakter andeutet, andererseits eine zartfühlende Ge¬
wandtheit zeigt, mit der er das Anerbieten seines, Vaters von sich weist, ihm
eine Sorte seiner Waaren zu liefern, die Gottlieb unter seinen Mitschülern ver¬
treiben sollte. An dem Briefe ist auch eine für das sehr jugendliche Alter des
Schreibers auffallend aufgeschriebene Hand zu bemerken.
'

'1.

Herzliebster Vater

Euren Brief habe ich erst heute, als den 1 Aprill erhalten. Ich habe
'bisher mit Schmerzen gewartet, und fast vor Freuden wurde ich außer mir als
ich hörte es sey ein Brief an mich da. denn ich glaubte gewiß daß etwas darinn
seyn würde. In etlichen Tagen ist der üx^mLn aus welcher 14 Tage währet,
und wo wir verschiedene Sachen ausarbeiten müßen, die nach Dreßden geschickt
werden. Wir bekommen auch übermorgen die Lousui-M, da wir entweder wegen
unseres Fleißes gelobt oder wegen unserer Faulheit gescholten werden. Dieses
wird nun alles nach Dreßden in die Regierung berichtet. Da ich nun gewiß
weiß daß ich ein sehr gutes ja fast das beste Lob bekommen werde, so kostet mich
doch auch dieses entsetzlich Geld. Denn es ist hier die fatale Gewohnheit daß wer
eine gute Zensur bekommt den 6. Obersten in seiner Claße und 5. Obersten
am Tische jeden ein ganz Stück Kuchen kauffen muß welches 1 Gr. 3 Pf.
kostet also zusammen 13 Gr. 9 Pf. Ob ich nun glsich dieses Lxainen 5 Gr.
K Pf. verdient habe, so bleibt doch noch 8 Gr. 3 Pf. welche mir auch schon
mein Ober-Geselle ein sehr hübscher Mensch, geborgt hat. Doch was ich übri¬
gens verdiene langt kaum zu den vielen Waßer Krüger welche man hier kau-


und mit ausdrücklicher Genehmigung des Herrn Professor Dr. Fichte in Tübingen
hier erfolgt.

Ich lasse den Abdruck nach einer diplomatisch genauen Copie der Originale
geschehen, weil ich zu Aenderungen der darin, allerdings nicht immer ganz con-
sequent, beobachteten Orthographie und Jntcrpunction nach modernen Grund¬
sätzen mich nicht berechtigt und es auch nicht für nöthig lenkte. die vorkommen¬
den kleinen Unfertigkeiten und Ungenauigkeiten eigenmächtig und, wie's geschehen
müßte, bisweilen auch willkürlich zu verbessern.

Der Zweck dieser Mittheilung ist, Fichte zu zeigen, wie er war, vorzüglich
von der gemüthvollen Seite seines Wesens und in den Beziehungen zu seiner
Familien bei der Offenheit seines Herzens verbindet sich dem reinsten Wohl¬
wollen auch hier die bei ihm überall durchschlagende Entschiedenheit des Willens.

Der erste Brief ist aus Schulpforta geschrieben, ein halbes Jahr nach der
am 4. Oct. 1774 erfolgten Aufnahme des damals kaum zwölf und ein halbes
Jahr alten Knaben. Zu der Schilderung, die wir in seiner Lebensbeschreibung
(I, 10—17) von seinem Aufenthalte auf dieser Fürstenschule erhalten, fügt dieser
Brief ein Genrebildchen, welches uns bereits in dem jungen Schüler einerseits
den ehrlichen, strengen Charakter andeutet, andererseits eine zartfühlende Ge¬
wandtheit zeigt, mit der er das Anerbieten seines, Vaters von sich weist, ihm
eine Sorte seiner Waaren zu liefern, die Gottlieb unter seinen Mitschülern ver¬
treiben sollte. An dem Briefe ist auch eine für das sehr jugendliche Alter des
Schreibers auffallend aufgeschriebene Hand zu bemerken.
'

'1.

Herzliebster Vater

Euren Brief habe ich erst heute, als den 1 Aprill erhalten. Ich habe
'bisher mit Schmerzen gewartet, und fast vor Freuden wurde ich außer mir als
ich hörte es sey ein Brief an mich da. denn ich glaubte gewiß daß etwas darinn
seyn würde. In etlichen Tagen ist der üx^mLn aus welcher 14 Tage währet,
und wo wir verschiedene Sachen ausarbeiten müßen, die nach Dreßden geschickt
werden. Wir bekommen auch übermorgen die Lousui-M, da wir entweder wegen
unseres Fleißes gelobt oder wegen unserer Faulheit gescholten werden. Dieses
wird nun alles nach Dreßden in die Regierung berichtet. Da ich nun gewiß
weiß daß ich ein sehr gutes ja fast das beste Lob bekommen werde, so kostet mich
doch auch dieses entsetzlich Geld. Denn es ist hier die fatale Gewohnheit daß wer
eine gute Zensur bekommt den 6. Obersten in seiner Claße und 5. Obersten
am Tische jeden ein ganz Stück Kuchen kauffen muß welches 1 Gr. 3 Pf.
kostet also zusammen 13 Gr. 9 Pf. Ob ich nun glsich dieses Lxainen 5 Gr.
K Pf. verdient habe, so bleibt doch noch 8 Gr. 3 Pf. welche mir auch schon
mein Ober-Geselle ein sehr hübscher Mensch, geborgt hat. Doch was ich übri¬
gens verdiene langt kaum zu den vielen Waßer Krüger welche man hier kau-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/90>, abgerufen am 05.02.2025.