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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Die osficiöse Presse.

Die Hartnäckigkeit, mit der fast alle deutschen Regierungen daran fest¬
halten, ihren offiziösen Zeitungen ein kümmerliches Dasein zu fristen, zeigt, wie
wenig sie sich die Grundideen des repräsentativen Lebens zu eigen gemacht
haben.

Zwar kann es nicht Wunder nehmen, daß in Staaten wie in Hannover
und Hessen, wo die Regierungen vollkommen von der Bevölkerung isolirt find,
das Ministerium sich bemüht, die öffentliche Meinung zu bearbeiten, aber daß
man in Preußen auch unter einem liberalen Ministerium fortfuhr, von oben
herab jeden Act der Regierung in einer abhängigen Zeitung zu vertheidigen,
muß billig Wunder nehmen und auf große Unklarheit über die Bedeutung und
den Einfluß der Presse in unsrer Zeit schließen lassen.

Man nimmt eine Zeitung in die Hand, theils um neue Thatsachen zu
erfahren, theils um ein Urtheil über bereits bekannte Dinge zu hören. Das
Ansehen, das ein Blatt genießt, steht im Verhältniß zu der Zuverlässigkeit
seiner Nachrichten, dem Geschick, mit dem es geleitet wird, der Begabung seiner
Mitarbeiter, seiner Verbreitung und manchen andern nebensächlichen Bedingungen.
Vor allem andern aber verlangt das Publicum von einem Blatt, das öffent¬
liche Interessen bespricht, Unabhängigkeit. Dies heißt natürlich nicht
Parteilosigkeit. Im Gegentheil, jede Zeitschrift von Bedeutung muß in einem
entwickelten politischen Leben Parteifarbe tragen. Sogar das einzige große
europäische Journal, welches als unparteiischer internationaler Sprechsaal ge¬
gründet wurde, die IiMpsn<1ni.ri00 Lölgö nimmt in allen bedeutenden Fragen
ganz bestimmt Partei. Die Unabhängigkeit, die man verlangt, geht nur auf
die Negierung. Jede Regierung soll natürlich eine bestimmte Meinung haben
und diese auch geltend machen; am besten geschieht dies immer durch ihre Hand¬
lungen, und will sie diese vor einem größern Kreise erklären oder vertheidigen,
so bieten sich dafür die parlamentarischen Verhandlungen, für die auswärtige
Politik Depeschen und Eirculare, denen man beliebige Oeffentlichkeit geben
kann, endlich die amtliche Zeitung, welche die Ernennungen, Gesetz und Ver¬
ordnungen veröffentlicht. Eine ganz andre Stellung aber nimmt sie ein, wenn
sie in den Kampf der Presse hinabsteigt und ihre Stimme zu ihren eignen
Gunsten, zu ihrer Vertheidigung erhebt. Das politische Publicum will wol
hie Ansicht der Regierung wissen, aber nicht diese, sondern die, welche die Re-


Die osficiöse Presse.

Die Hartnäckigkeit, mit der fast alle deutschen Regierungen daran fest¬
halten, ihren offiziösen Zeitungen ein kümmerliches Dasein zu fristen, zeigt, wie
wenig sie sich die Grundideen des repräsentativen Lebens zu eigen gemacht
haben.

Zwar kann es nicht Wunder nehmen, daß in Staaten wie in Hannover
und Hessen, wo die Regierungen vollkommen von der Bevölkerung isolirt find,
das Ministerium sich bemüht, die öffentliche Meinung zu bearbeiten, aber daß
man in Preußen auch unter einem liberalen Ministerium fortfuhr, von oben
herab jeden Act der Regierung in einer abhängigen Zeitung zu vertheidigen,
muß billig Wunder nehmen und auf große Unklarheit über die Bedeutung und
den Einfluß der Presse in unsrer Zeit schließen lassen.

Man nimmt eine Zeitung in die Hand, theils um neue Thatsachen zu
erfahren, theils um ein Urtheil über bereits bekannte Dinge zu hören. Das
Ansehen, das ein Blatt genießt, steht im Verhältniß zu der Zuverlässigkeit
seiner Nachrichten, dem Geschick, mit dem es geleitet wird, der Begabung seiner
Mitarbeiter, seiner Verbreitung und manchen andern nebensächlichen Bedingungen.
Vor allem andern aber verlangt das Publicum von einem Blatt, das öffent¬
liche Interessen bespricht, Unabhängigkeit. Dies heißt natürlich nicht
Parteilosigkeit. Im Gegentheil, jede Zeitschrift von Bedeutung muß in einem
entwickelten politischen Leben Parteifarbe tragen. Sogar das einzige große
europäische Journal, welches als unparteiischer internationaler Sprechsaal ge¬
gründet wurde, die IiMpsn<1ni.ri00 Lölgö nimmt in allen bedeutenden Fragen
ganz bestimmt Partei. Die Unabhängigkeit, die man verlangt, geht nur auf
die Negierung. Jede Regierung soll natürlich eine bestimmte Meinung haben
und diese auch geltend machen; am besten geschieht dies immer durch ihre Hand¬
lungen, und will sie diese vor einem größern Kreise erklären oder vertheidigen,
so bieten sich dafür die parlamentarischen Verhandlungen, für die auswärtige
Politik Depeschen und Eirculare, denen man beliebige Oeffentlichkeit geben
kann, endlich die amtliche Zeitung, welche die Ernennungen, Gesetz und Ver¬
ordnungen veröffentlicht. Eine ganz andre Stellung aber nimmt sie ein, wenn
sie in den Kampf der Presse hinabsteigt und ihre Stimme zu ihren eignen
Gunsten, zu ihrer Vertheidigung erhebt. Das politische Publicum will wol
hie Ansicht der Regierung wissen, aber nicht diese, sondern die, welche die Re-


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[0027] Die osficiöse Presse. Die Hartnäckigkeit, mit der fast alle deutschen Regierungen daran fest¬ halten, ihren offiziösen Zeitungen ein kümmerliches Dasein zu fristen, zeigt, wie wenig sie sich die Grundideen des repräsentativen Lebens zu eigen gemacht haben. Zwar kann es nicht Wunder nehmen, daß in Staaten wie in Hannover und Hessen, wo die Regierungen vollkommen von der Bevölkerung isolirt find, das Ministerium sich bemüht, die öffentliche Meinung zu bearbeiten, aber daß man in Preußen auch unter einem liberalen Ministerium fortfuhr, von oben herab jeden Act der Regierung in einer abhängigen Zeitung zu vertheidigen, muß billig Wunder nehmen und auf große Unklarheit über die Bedeutung und den Einfluß der Presse in unsrer Zeit schließen lassen. Man nimmt eine Zeitung in die Hand, theils um neue Thatsachen zu erfahren, theils um ein Urtheil über bereits bekannte Dinge zu hören. Das Ansehen, das ein Blatt genießt, steht im Verhältniß zu der Zuverlässigkeit seiner Nachrichten, dem Geschick, mit dem es geleitet wird, der Begabung seiner Mitarbeiter, seiner Verbreitung und manchen andern nebensächlichen Bedingungen. Vor allem andern aber verlangt das Publicum von einem Blatt, das öffent¬ liche Interessen bespricht, Unabhängigkeit. Dies heißt natürlich nicht Parteilosigkeit. Im Gegentheil, jede Zeitschrift von Bedeutung muß in einem entwickelten politischen Leben Parteifarbe tragen. Sogar das einzige große europäische Journal, welches als unparteiischer internationaler Sprechsaal ge¬ gründet wurde, die IiMpsn<1ni.ri00 Lölgö nimmt in allen bedeutenden Fragen ganz bestimmt Partei. Die Unabhängigkeit, die man verlangt, geht nur auf die Negierung. Jede Regierung soll natürlich eine bestimmte Meinung haben und diese auch geltend machen; am besten geschieht dies immer durch ihre Hand¬ lungen, und will sie diese vor einem größern Kreise erklären oder vertheidigen, so bieten sich dafür die parlamentarischen Verhandlungen, für die auswärtige Politik Depeschen und Eirculare, denen man beliebige Oeffentlichkeit geben kann, endlich die amtliche Zeitung, welche die Ernennungen, Gesetz und Ver¬ ordnungen veröffentlicht. Eine ganz andre Stellung aber nimmt sie ein, wenn sie in den Kampf der Presse hinabsteigt und ihre Stimme zu ihren eignen Gunsten, zu ihrer Vertheidigung erhebt. Das politische Publicum will wol hie Ansicht der Regierung wissen, aber nicht diese, sondern die, welche die Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/27>, abgerufen am 05.02.2025.