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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Die Leibeigenen und Sklaven der Griechen und Römer.
i.

Wenn man sich darüber wundert, wie es möglich war, daß bei einem
Volke, welches den Werth der persönlichen Freiheit so tief erkannte und so hoch
schätzte, wie das hellenische, beinahe der ganzen dienenden und arbeitenden
Klasse das Recht auf gleichen Anspruch mit den Vollbürgern des Staats ent¬
zogen war; wenn man sich deshalb vom christlichen und philanthropischen
Standpunkte aus berufen fühlt, das classische Alterthum dieses Fleckens wegen
überhaupt herabzusetzen: so muß man erstens bedenken, daß die Anerkennung
der allgemeinen Menschenwürde, welche erst in der neueren Zeit angefangen
hat, die Aufhebung der Sklaverei zu veranlassen, der griechischen Nation noch
sehr fern lag und daß die griechischen Sklaven fast ausschließlich überwundene
oder gekaufte Angehörige fremder Völker waren, die der Heitere ebenso als von
Natur sich untergeordnete und zur Knechtschaft bestimmte Geschöpfe betrachtete,
wie der heutige Sklavenhalter im Lande der Freiheit die schwarzen Parias
äthiopischen Stammes. Jede spätere Generation wuchs in der vorgefundenen
Annahme einer wirklichen Rassenverschiedenheit auf. und da der freie Bürger
gerade der damit beschäftigten Sklaven willen jede Handarbeit haßte und seine
ganze Zeit darauf verwandte, den öffentlichen Versammlungen beizuwohnen,
die Redner anzuhören, sich in den Gymnasien zu üben und Feste mit zu feiern,
so wäre es ihm wohl noch viel schwerer gefallen, seine Sklaven frei zu geben,
als dem amerikanischen Plantagenbcsitzer; denn wo hätten in Hellas die freien
Arbeiter und Diener herkommen sollen? -- Selbst die bedeutendsten Philosophen
vermochten die Frage über die Rechtmäßigkeit des Sklavenstandes nicht Vor¬
urtheilslos zu erörtern. Denn zwar hatten Einige, wie Aristoteles berichtet,
schon richtig behauptet, daß es nur dem Gesetze nach Sklaven geben könne,
keineswegs aber der Natur nach, die keinen Unterschied zwischen Freien und Un¬
freien mache, und in einem Fragmente des Komikers Philemon heißt es: "Auch
wenn Jemand Sklave ist, besitzt er dasselbe Fleisch und Blut; denn auf der
Natur Geheiß wird Keiner je ein Sklave, sondern Fortuna würdigt seinen Leib
dazu herab;" allein Platon, der in seiner Republik freilich nur die letzten


Grenzboten II. 1362. 1
Die Leibeigenen und Sklaven der Griechen und Römer.
i.

Wenn man sich darüber wundert, wie es möglich war, daß bei einem
Volke, welches den Werth der persönlichen Freiheit so tief erkannte und so hoch
schätzte, wie das hellenische, beinahe der ganzen dienenden und arbeitenden
Klasse das Recht auf gleichen Anspruch mit den Vollbürgern des Staats ent¬
zogen war; wenn man sich deshalb vom christlichen und philanthropischen
Standpunkte aus berufen fühlt, das classische Alterthum dieses Fleckens wegen
überhaupt herabzusetzen: so muß man erstens bedenken, daß die Anerkennung
der allgemeinen Menschenwürde, welche erst in der neueren Zeit angefangen
hat, die Aufhebung der Sklaverei zu veranlassen, der griechischen Nation noch
sehr fern lag und daß die griechischen Sklaven fast ausschließlich überwundene
oder gekaufte Angehörige fremder Völker waren, die der Heitere ebenso als von
Natur sich untergeordnete und zur Knechtschaft bestimmte Geschöpfe betrachtete,
wie der heutige Sklavenhalter im Lande der Freiheit die schwarzen Parias
äthiopischen Stammes. Jede spätere Generation wuchs in der vorgefundenen
Annahme einer wirklichen Rassenverschiedenheit auf. und da der freie Bürger
gerade der damit beschäftigten Sklaven willen jede Handarbeit haßte und seine
ganze Zeit darauf verwandte, den öffentlichen Versammlungen beizuwohnen,
die Redner anzuhören, sich in den Gymnasien zu üben und Feste mit zu feiern,
so wäre es ihm wohl noch viel schwerer gefallen, seine Sklaven frei zu geben,
als dem amerikanischen Plantagenbcsitzer; denn wo hätten in Hellas die freien
Arbeiter und Diener herkommen sollen? — Selbst die bedeutendsten Philosophen
vermochten die Frage über die Rechtmäßigkeit des Sklavenstandes nicht Vor¬
urtheilslos zu erörtern. Denn zwar hatten Einige, wie Aristoteles berichtet,
schon richtig behauptet, daß es nur dem Gesetze nach Sklaven geben könne,
keineswegs aber der Natur nach, die keinen Unterschied zwischen Freien und Un¬
freien mache, und in einem Fragmente des Komikers Philemon heißt es: „Auch
wenn Jemand Sklave ist, besitzt er dasselbe Fleisch und Blut; denn auf der
Natur Geheiß wird Keiner je ein Sklave, sondern Fortuna würdigt seinen Leib
dazu herab;" allein Platon, der in seiner Republik freilich nur die letzten


Grenzboten II. 1362. 1
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[0009] Die Leibeigenen und Sklaven der Griechen und Römer. i. Wenn man sich darüber wundert, wie es möglich war, daß bei einem Volke, welches den Werth der persönlichen Freiheit so tief erkannte und so hoch schätzte, wie das hellenische, beinahe der ganzen dienenden und arbeitenden Klasse das Recht auf gleichen Anspruch mit den Vollbürgern des Staats ent¬ zogen war; wenn man sich deshalb vom christlichen und philanthropischen Standpunkte aus berufen fühlt, das classische Alterthum dieses Fleckens wegen überhaupt herabzusetzen: so muß man erstens bedenken, daß die Anerkennung der allgemeinen Menschenwürde, welche erst in der neueren Zeit angefangen hat, die Aufhebung der Sklaverei zu veranlassen, der griechischen Nation noch sehr fern lag und daß die griechischen Sklaven fast ausschließlich überwundene oder gekaufte Angehörige fremder Völker waren, die der Heitere ebenso als von Natur sich untergeordnete und zur Knechtschaft bestimmte Geschöpfe betrachtete, wie der heutige Sklavenhalter im Lande der Freiheit die schwarzen Parias äthiopischen Stammes. Jede spätere Generation wuchs in der vorgefundenen Annahme einer wirklichen Rassenverschiedenheit auf. und da der freie Bürger gerade der damit beschäftigten Sklaven willen jede Handarbeit haßte und seine ganze Zeit darauf verwandte, den öffentlichen Versammlungen beizuwohnen, die Redner anzuhören, sich in den Gymnasien zu üben und Feste mit zu feiern, so wäre es ihm wohl noch viel schwerer gefallen, seine Sklaven frei zu geben, als dem amerikanischen Plantagenbcsitzer; denn wo hätten in Hellas die freien Arbeiter und Diener herkommen sollen? — Selbst die bedeutendsten Philosophen vermochten die Frage über die Rechtmäßigkeit des Sklavenstandes nicht Vor¬ urtheilslos zu erörtern. Denn zwar hatten Einige, wie Aristoteles berichtet, schon richtig behauptet, daß es nur dem Gesetze nach Sklaven geben könne, keineswegs aber der Natur nach, die keinen Unterschied zwischen Freien und Un¬ freien mache, und in einem Fragmente des Komikers Philemon heißt es: „Auch wenn Jemand Sklave ist, besitzt er dasselbe Fleisch und Blut; denn auf der Natur Geheiß wird Keiner je ein Sklave, sondern Fortuna würdigt seinen Leib dazu herab;" allein Platon, der in seiner Republik freilich nur die letzten Grenzboten II. 1362. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/9>, abgerufen am 05.01.2025.