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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Die Wahlbtweipmsi in Prenhen.

Die Vorbereitungen zu den preußischen Wahlen nehmen in immer höheren
Maße die Aufmerksamkeit der Deutschen und des Auslandes in Anspruch. Die
mannhafte Haltung der Wähler bewahrt sich fast überall in den Vorvcrsammlnngcn
und in der Presse, zahlreiche Proteste gegen die Wahlvcrfügungeu der neuen Mini¬
ster werden eifrig nachgedruckt und gelesen; auch die Kaufleute und Fabrikanten bringen
in großer Zahl die Rücksicht auf ihre persönlichen Interessen ihrem politischen Pflicht¬
gefühl zum Opfer. Land und Volk machen in dieser Bewegung den Eindruck einer
frischen zusammengefaßten Kraft, welche gegenüber dem unsichern Schwanken der
Negierung schon setzt unzweifelhaft macht, auf welcher Seite der endliche Sieg
sein wird.

ES ist möglich, daß einige der neuen Minister unter andern Verhältnissen wohl
geeignet zur Uebernahme der Regierung gewesen wären. Diesmal aber sind die
Verhältnisse nicht so angethan, daß ihnen eine nützliche und ehrenvolle Thätigkeit
prophezeit werden kann, und sie sind nach menschlichem Erkennen nur dazu in ihre
Aemter getreten, um widerwillig einen großen Erfolg des Liberalismus in Preußen
beschleunigen zu helfen. Wer unbefangen die Zustände dieses großen deutschen
Staats betrachtet, der kann, welcher Partei er persönlich angehöre, sich nicht ver¬
bergen, daß eine Restriktion der bereits formulirten Forderungen des Volkes zur
Zeit weder weise, noch rathsam, noch sogar möglich ist. Wahrscheinlich wird in
irgend einer Zukunft eine Periode kommen, wo die conservative Partei im Staate ein
besseres Recht erhält, wo ihre Intelligenz größer, ihre Zielpunkte' verständiger, ihre
Politik nützlicher für das Gedeihen des Staates ist. Diese Zeit mag dann eintreten,
wenn die Konservativen im Kampfe mit ihren Gegnern so viel gelernt und von
den fortbildendem Ideen sich angeeignet haben werden, daß der bessere Theil der
nationalen Kraft ihnen zufallen kann, und wo die Liberalen, verwöhnt durch Er¬
folge, übermüthig durch ihre Siege, geschwächt durch innere Parteiungen, im
In- und Auslande die herzliche Bcistinunung der Gemüther verloren haben. Aber
es kann noch langt dauern, bis es so weit kommt, und man kann voraussagen,
daß die älteren konservativen Parteiführer einen solchen Umschlag niemals durch ihre
Tüchtigkeit durchsetzen, vielleicht nicht erleben werden. Denn die Kräfte, mit
welchen sie in den parlamentarische'" Kcimpfcn, zu Feld ziehen, sind im Ganzen betrach¬
te! ohne Vergleich schwächer, als die ihrer Gegner. Ihre Bildung, ihre Interessen,
ihre Gesichtskreise sind enge begrenzt, ihr Verständniß für die höchsten Ausgaben
des Staats ist geringer. Ja zwischen der Masse ihrer Partei und den Liberalen
besteht ein tieferer Gegensatz: die Conservcitiven in Preußen sind gegenwärtig
unfähig, irgend eine Regierung zu stützen, weil es ihnen überhaupt an politischen
Ideen fehlt, und weil sie zur Zeit noch nichts sind, als eine große und einflußreiche
Cotcric, deren letztes Bestreben ist, gegen einige nothwendige Bedürfnisse der Gegen¬
wart zu reagiren, und zwar nur, seit diese neuen Bedürfnisse ihnen ungemüthlich find,


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Die Wahlbtweipmsi in Prenhen.

Die Vorbereitungen zu den preußischen Wahlen nehmen in immer höheren
Maße die Aufmerksamkeit der Deutschen und des Auslandes in Anspruch. Die
mannhafte Haltung der Wähler bewahrt sich fast überall in den Vorvcrsammlnngcn
und in der Presse, zahlreiche Proteste gegen die Wahlvcrfügungeu der neuen Mini¬
ster werden eifrig nachgedruckt und gelesen; auch die Kaufleute und Fabrikanten bringen
in großer Zahl die Rücksicht auf ihre persönlichen Interessen ihrem politischen Pflicht¬
gefühl zum Opfer. Land und Volk machen in dieser Bewegung den Eindruck einer
frischen zusammengefaßten Kraft, welche gegenüber dem unsichern Schwanken der
Negierung schon setzt unzweifelhaft macht, auf welcher Seite der endliche Sieg
sein wird.

ES ist möglich, daß einige der neuen Minister unter andern Verhältnissen wohl
geeignet zur Uebernahme der Regierung gewesen wären. Diesmal aber sind die
Verhältnisse nicht so angethan, daß ihnen eine nützliche und ehrenvolle Thätigkeit
prophezeit werden kann, und sie sind nach menschlichem Erkennen nur dazu in ihre
Aemter getreten, um widerwillig einen großen Erfolg des Liberalismus in Preußen
beschleunigen zu helfen. Wer unbefangen die Zustände dieses großen deutschen
Staats betrachtet, der kann, welcher Partei er persönlich angehöre, sich nicht ver¬
bergen, daß eine Restriktion der bereits formulirten Forderungen des Volkes zur
Zeit weder weise, noch rathsam, noch sogar möglich ist. Wahrscheinlich wird in
irgend einer Zukunft eine Periode kommen, wo die conservative Partei im Staate ein
besseres Recht erhält, wo ihre Intelligenz größer, ihre Zielpunkte' verständiger, ihre
Politik nützlicher für das Gedeihen des Staates ist. Diese Zeit mag dann eintreten,
wenn die Konservativen im Kampfe mit ihren Gegnern so viel gelernt und von
den fortbildendem Ideen sich angeeignet haben werden, daß der bessere Theil der
nationalen Kraft ihnen zufallen kann, und wo die Liberalen, verwöhnt durch Er¬
folge, übermüthig durch ihre Siege, geschwächt durch innere Parteiungen, im
In- und Auslande die herzliche Bcistinunung der Gemüther verloren haben. Aber
es kann noch langt dauern, bis es so weit kommt, und man kann voraussagen,
daß die älteren konservativen Parteiführer einen solchen Umschlag niemals durch ihre
Tüchtigkeit durchsetzen, vielleicht nicht erleben werden. Denn die Kräfte, mit
welchen sie in den parlamentarische'» Kcimpfcn, zu Feld ziehen, sind im Ganzen betrach¬
te! ohne Vergleich schwächer, als die ihrer Gegner. Ihre Bildung, ihre Interessen,
ihre Gesichtskreise sind enge begrenzt, ihr Verständniß für die höchsten Ausgaben
des Staats ist geringer. Ja zwischen der Masse ihrer Partei und den Liberalen
besteht ein tieferer Gegensatz: die Conservcitiven in Preußen sind gegenwärtig
unfähig, irgend eine Regierung zu stützen, weil es ihnen überhaupt an politischen
Ideen fehlt, und weil sie zur Zeit noch nichts sind, als eine große und einflußreiche
Cotcric, deren letztes Bestreben ist, gegen einige nothwendige Bedürfnisse der Gegen¬
wart zu reagiren, und zwar nur, seit diese neuen Bedürfnisse ihnen ungemüthlich find,


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[0203] Die Wahlbtweipmsi in Prenhen. Die Vorbereitungen zu den preußischen Wahlen nehmen in immer höheren Maße die Aufmerksamkeit der Deutschen und des Auslandes in Anspruch. Die mannhafte Haltung der Wähler bewahrt sich fast überall in den Vorvcrsammlnngcn und in der Presse, zahlreiche Proteste gegen die Wahlvcrfügungeu der neuen Mini¬ ster werden eifrig nachgedruckt und gelesen; auch die Kaufleute und Fabrikanten bringen in großer Zahl die Rücksicht auf ihre persönlichen Interessen ihrem politischen Pflicht¬ gefühl zum Opfer. Land und Volk machen in dieser Bewegung den Eindruck einer frischen zusammengefaßten Kraft, welche gegenüber dem unsichern Schwanken der Negierung schon setzt unzweifelhaft macht, auf welcher Seite der endliche Sieg sein wird. ES ist möglich, daß einige der neuen Minister unter andern Verhältnissen wohl geeignet zur Uebernahme der Regierung gewesen wären. Diesmal aber sind die Verhältnisse nicht so angethan, daß ihnen eine nützliche und ehrenvolle Thätigkeit prophezeit werden kann, und sie sind nach menschlichem Erkennen nur dazu in ihre Aemter getreten, um widerwillig einen großen Erfolg des Liberalismus in Preußen beschleunigen zu helfen. Wer unbefangen die Zustände dieses großen deutschen Staats betrachtet, der kann, welcher Partei er persönlich angehöre, sich nicht ver¬ bergen, daß eine Restriktion der bereits formulirten Forderungen des Volkes zur Zeit weder weise, noch rathsam, noch sogar möglich ist. Wahrscheinlich wird in irgend einer Zukunft eine Periode kommen, wo die conservative Partei im Staate ein besseres Recht erhält, wo ihre Intelligenz größer, ihre Zielpunkte' verständiger, ihre Politik nützlicher für das Gedeihen des Staates ist. Diese Zeit mag dann eintreten, wenn die Konservativen im Kampfe mit ihren Gegnern so viel gelernt und von den fortbildendem Ideen sich angeeignet haben werden, daß der bessere Theil der nationalen Kraft ihnen zufallen kann, und wo die Liberalen, verwöhnt durch Er¬ folge, übermüthig durch ihre Siege, geschwächt durch innere Parteiungen, im In- und Auslande die herzliche Bcistinunung der Gemüther verloren haben. Aber es kann noch langt dauern, bis es so weit kommt, und man kann voraussagen, daß die älteren konservativen Parteiführer einen solchen Umschlag niemals durch ihre Tüchtigkeit durchsetzen, vielleicht nicht erleben werden. Denn die Kräfte, mit welchen sie in den parlamentarische'» Kcimpfcn, zu Feld ziehen, sind im Ganzen betrach¬ te! ohne Vergleich schwächer, als die ihrer Gegner. Ihre Bildung, ihre Interessen, ihre Gesichtskreise sind enge begrenzt, ihr Verständniß für die höchsten Ausgaben des Staats ist geringer. Ja zwischen der Masse ihrer Partei und den Liberalen besteht ein tieferer Gegensatz: die Conservcitiven in Preußen sind gegenwärtig unfähig, irgend eine Regierung zu stützen, weil es ihnen überhaupt an politischen Ideen fehlt, und weil sie zur Zeit noch nichts sind, als eine große und einflußreiche Cotcric, deren letztes Bestreben ist, gegen einige nothwendige Bedürfnisse der Gegen¬ wart zu reagiren, und zwar nur, seit diese neuen Bedürfnisse ihnen ungemüthlich find, 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/203>, abgerufen am 05.01.2025.