Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.H. S. Reimarus. Hermann Samuel Reimarus und seine Schutzschrist für die vernünftigen Ver¬ Wer die schriftstellerische Thätigkeit des Verfassers des Lebens Jesu auf¬ Daß er dieses Andenken erneuert hat. ist schon an sich, abgesehen von H. S. Reimarus. Hermann Samuel Reimarus und seine Schutzschrist für die vernünftigen Ver¬ Wer die schriftstellerische Thätigkeit des Verfassers des Lebens Jesu auf¬ Daß er dieses Andenken erneuert hat. ist schon an sich, abgesehen von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113657"/> </div> <div n="1"> <head> H. S. Reimarus.</head><lb/> <p xml:id="ID_1280"> Hermann Samuel Reimarus und seine Schutzschrist für die vernünftigen Ver¬<lb/> ehrer Gottes. Von David Friedrich Strauß. Leipzig. 1862.</p><lb/> <p xml:id="ID_1281"> Wer die schriftstellerische Thätigkeit des Verfassers des Lebens Jesu auf¬<lb/> merksam verfolgt hat, wird nicht erstaunt sein, ihm jetzt mit einer Schrift über<lb/> den Urheber der Wolfenbüttler Fragmente zu begegnen. Hat er sich bisher<lb/> mit besondrer Vorliebe dem psychologischen Studium solcher Charaktere zuge¬<lb/> wandt, welche ihrer Zeit in irgend einer Weise als anrüchig galten, und be¬<lb/> sonders den Männern des herrschenden Kirchenglaubens ein Aergerniß waren,<lb/> so kam bei Reimarus noch der Umstand hinzu, daß er hier einen Schriftsteller<lb/> on sich hatte, der mehr als irgend ein anderer seiner eignen Geistesart ver¬<lb/> wandt war und alle seine Kräfte einem Feld zugewandt hatte, auf welchem<lb/> er selbst sich zuerst einen dauernden Namen gewonnen hatte. Und doch zu¬<lb/> gleich wieder welche Verschiedenheit des Charakters, die gerade den feinen,<lb/> psychologischen Beobachter doppelt reizen mühte! Hier der rücksichtslose<lb/> Forscher des 19. Jahrhunderts, dem es innerstes Bedürfniß war. das was<lb/> ihm als wahr galt, offen vor der Welt zu bekennen, dort der umsichtig<lb/> bedächtige Gelehrte des 18. Jahrhunderts, der bis zur letzten Stunde emsig<lb/> feilte an dem Werk seines Lebens, es sorgsam verschloß vor den Augen der<lb/> Welt und kaum einem kleinen Kreis auserwählter Freunde einen Einblick ver¬<lb/> stattete. Hier der Theologe eins der Schule Hegel's und Baur's, der kaum<lb/> nachdem sich die Pforten des Tübinger Stifts hinter ihm geschlossen, „mit<lb/> kühner Hand die Brandfackel in das morsche Gebäude der Orthodoxie warf",<lb/> unbekümmert was der Erfolg sein mochte,, dort der Schüler Wolf's und der<lb/> englischen Deisten, der die Luft noch uicht fin geheuer hielt, um mit seiner<lb/> vermeintlichen Entlarvung des Christenthums mitten darein zu platzen, der<lb/> vielmehr mi.t unbefangener Miene in dem Gebäude aus- und einging,<lb/> das er nächtlicher Weile schonungslos uiuenninirte, die Wirkung ,einer ande¬<lb/> ren^ aufgeklärteren Zeit, vorbehaltend. Diese Verwandtschaft einerseits und ,<lb/> andrerseits diese Verschiedenheit machte Strauß gerade zum rechten Mauth<lb/> das Andenken des vielbesprochenen Buches zu erneuern, mit der Liebe, die ihm<lb/> und seinem Jahrhundert gebührt, und zugleich mit der Kritik, die ihnen die<lb/> fortgeschrittene Wissenschaft nicht ersparen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1282" next="#ID_1283"> Daß er dieses Andenken erneuert hat. ist schon an sich, abgesehen von<lb/> den Motiven, die Strauß in den Zuständen der Gegenwart fand, ein ent-<lb/> schiednes Verdienst. Reimarus, der Fragmentist. war in der That bis jetzt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0415]
H. S. Reimarus.
Hermann Samuel Reimarus und seine Schutzschrist für die vernünftigen Ver¬
ehrer Gottes. Von David Friedrich Strauß. Leipzig. 1862.
Wer die schriftstellerische Thätigkeit des Verfassers des Lebens Jesu auf¬
merksam verfolgt hat, wird nicht erstaunt sein, ihm jetzt mit einer Schrift über
den Urheber der Wolfenbüttler Fragmente zu begegnen. Hat er sich bisher
mit besondrer Vorliebe dem psychologischen Studium solcher Charaktere zuge¬
wandt, welche ihrer Zeit in irgend einer Weise als anrüchig galten, und be¬
sonders den Männern des herrschenden Kirchenglaubens ein Aergerniß waren,
so kam bei Reimarus noch der Umstand hinzu, daß er hier einen Schriftsteller
on sich hatte, der mehr als irgend ein anderer seiner eignen Geistesart ver¬
wandt war und alle seine Kräfte einem Feld zugewandt hatte, auf welchem
er selbst sich zuerst einen dauernden Namen gewonnen hatte. Und doch zu¬
gleich wieder welche Verschiedenheit des Charakters, die gerade den feinen,
psychologischen Beobachter doppelt reizen mühte! Hier der rücksichtslose
Forscher des 19. Jahrhunderts, dem es innerstes Bedürfniß war. das was
ihm als wahr galt, offen vor der Welt zu bekennen, dort der umsichtig
bedächtige Gelehrte des 18. Jahrhunderts, der bis zur letzten Stunde emsig
feilte an dem Werk seines Lebens, es sorgsam verschloß vor den Augen der
Welt und kaum einem kleinen Kreis auserwählter Freunde einen Einblick ver¬
stattete. Hier der Theologe eins der Schule Hegel's und Baur's, der kaum
nachdem sich die Pforten des Tübinger Stifts hinter ihm geschlossen, „mit
kühner Hand die Brandfackel in das morsche Gebäude der Orthodoxie warf",
unbekümmert was der Erfolg sein mochte,, dort der Schüler Wolf's und der
englischen Deisten, der die Luft noch uicht fin geheuer hielt, um mit seiner
vermeintlichen Entlarvung des Christenthums mitten darein zu platzen, der
vielmehr mi.t unbefangener Miene in dem Gebäude aus- und einging,
das er nächtlicher Weile schonungslos uiuenninirte, die Wirkung ,einer ande¬
ren^ aufgeklärteren Zeit, vorbehaltend. Diese Verwandtschaft einerseits und ,
andrerseits diese Verschiedenheit machte Strauß gerade zum rechten Mauth
das Andenken des vielbesprochenen Buches zu erneuern, mit der Liebe, die ihm
und seinem Jahrhundert gebührt, und zugleich mit der Kritik, die ihnen die
fortgeschrittene Wissenschaft nicht ersparen kann.
Daß er dieses Andenken erneuert hat. ist schon an sich, abgesehen von
den Motiven, die Strauß in den Zuständen der Gegenwart fand, ein ent-
schiednes Verdienst. Reimarus, der Fragmentist. war in der That bis jetzt
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