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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Ans General Wilson's Tagebüchern.
i.

Als mir vor einigen Wochen über General WNson's interessantes Werk
"Geheime Geschichte des russischen Feldzugs" berichteten, erwähnten wir auch
seine "Tagebücher", die er seiner Arbeit zu Grunde legt. Sie sind in 2
Bänden bei John Murray in London unter dem Titel "?rivats viarz? ot
(-eneral Lir Robert wilson" erschienen und erstrecken sich nicht bloß auf das
Jahr 1312, sondern auch auf den Feldzug von 1813 in Deutschland und auf
den von 1814 in Italien, wo General Wilson als englischer Commissär bei dem
General Bellegarde verweilte. Unter dem unmittelbarsten Eindruck der Ereig¬
nisse geschrieben, geben sie ein treues Bild der Stimmungen, Hoffnungen und
Täuschungen jener Tage; aber so vielfach der Verfasser, in Folge seiner ein¬
flußreichen Stellung und seiner gewinnenden Persönlichkeit, Gelegenheit hatte
die Sachlage von den verschiedensten Standpunkten aus zu betrachten und
Mit so großem Eifer er sie benutzt hat, so läßt sich doch nicht leugnen, daß die
Auszeichnungen seines Tagebuchs etwas zu sehr das Gepräge seiner unmittel¬
baren Umgebung tragen. Wir sagten seines Tagebuchs, denn in verschiede¬
nen wichtigen, als Anhang beigefügten Depeschen finden sich die ersten Ein¬
drücke meistens berichtigt und das Urtheil ist weniger einseitig. Dies soll
dem Verfasser nicht zum Tadel gereichen; denn es ist natürlich, daß das,
was man täglich, und in unmittelbarster Nähe sieht und hört, größern
Einfluß auf das Urtheil übt. als das. was aus der Ferne zu uns herüber-
schallt. So kommt es denn, daß General Wilson aus dem Feldzuge von
1812 eine allzu hohe Meinung von der Superiorität der russischen Soldaten
und Generäle mit nach Deutschland bringt; daß er dann mit dem russischen
Hauptquartier die Unlust theilt, den Krieg über die Oder hinaus fortzu¬
setzen; daß er in dem ersten Ueberschreiten der Elbe das reine Verderben sieht
und für die Nothwendigkeit, in Deutschland so viel Boden als möglich zu
gewinnen, wenig oder keinen Sinn hat; daß er, später im östreichischen Haupt¬
quartier angestellt, die schüchterne Kriegführung Schwarzenbergs von den Ver¬
hältnissen für geboten erachtet und die entscheidenden Erfolge der schlesischen


Grenzboten III. 1361. 31
Ans General Wilson's Tagebüchern.
i.

Als mir vor einigen Wochen über General WNson's interessantes Werk
„Geheime Geschichte des russischen Feldzugs" berichteten, erwähnten wir auch
seine „Tagebücher", die er seiner Arbeit zu Grunde legt. Sie sind in 2
Bänden bei John Murray in London unter dem Titel „?rivats viarz? ot
(-eneral Lir Robert wilson" erschienen und erstrecken sich nicht bloß auf das
Jahr 1312, sondern auch auf den Feldzug von 1813 in Deutschland und auf
den von 1814 in Italien, wo General Wilson als englischer Commissär bei dem
General Bellegarde verweilte. Unter dem unmittelbarsten Eindruck der Ereig¬
nisse geschrieben, geben sie ein treues Bild der Stimmungen, Hoffnungen und
Täuschungen jener Tage; aber so vielfach der Verfasser, in Folge seiner ein¬
flußreichen Stellung und seiner gewinnenden Persönlichkeit, Gelegenheit hatte
die Sachlage von den verschiedensten Standpunkten aus zu betrachten und
Mit so großem Eifer er sie benutzt hat, so läßt sich doch nicht leugnen, daß die
Auszeichnungen seines Tagebuchs etwas zu sehr das Gepräge seiner unmittel¬
baren Umgebung tragen. Wir sagten seines Tagebuchs, denn in verschiede¬
nen wichtigen, als Anhang beigefügten Depeschen finden sich die ersten Ein¬
drücke meistens berichtigt und das Urtheil ist weniger einseitig. Dies soll
dem Verfasser nicht zum Tadel gereichen; denn es ist natürlich, daß das,
was man täglich, und in unmittelbarster Nähe sieht und hört, größern
Einfluß auf das Urtheil übt. als das. was aus der Ferne zu uns herüber-
schallt. So kommt es denn, daß General Wilson aus dem Feldzuge von
1812 eine allzu hohe Meinung von der Superiorität der russischen Soldaten
und Generäle mit nach Deutschland bringt; daß er dann mit dem russischen
Hauptquartier die Unlust theilt, den Krieg über die Oder hinaus fortzu¬
setzen; daß er in dem ersten Ueberschreiten der Elbe das reine Verderben sieht
und für die Nothwendigkeit, in Deutschland so viel Boden als möglich zu
gewinnen, wenig oder keinen Sinn hat; daß er, später im östreichischen Haupt¬
quartier angestellt, die schüchterne Kriegführung Schwarzenbergs von den Ver¬
hältnissen für geboten erachtet und die entscheidenden Erfolge der schlesischen


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[0251] Ans General Wilson's Tagebüchern. i. Als mir vor einigen Wochen über General WNson's interessantes Werk „Geheime Geschichte des russischen Feldzugs" berichteten, erwähnten wir auch seine „Tagebücher", die er seiner Arbeit zu Grunde legt. Sie sind in 2 Bänden bei John Murray in London unter dem Titel „?rivats viarz? ot (-eneral Lir Robert wilson" erschienen und erstrecken sich nicht bloß auf das Jahr 1312, sondern auch auf den Feldzug von 1813 in Deutschland und auf den von 1814 in Italien, wo General Wilson als englischer Commissär bei dem General Bellegarde verweilte. Unter dem unmittelbarsten Eindruck der Ereig¬ nisse geschrieben, geben sie ein treues Bild der Stimmungen, Hoffnungen und Täuschungen jener Tage; aber so vielfach der Verfasser, in Folge seiner ein¬ flußreichen Stellung und seiner gewinnenden Persönlichkeit, Gelegenheit hatte die Sachlage von den verschiedensten Standpunkten aus zu betrachten und Mit so großem Eifer er sie benutzt hat, so läßt sich doch nicht leugnen, daß die Auszeichnungen seines Tagebuchs etwas zu sehr das Gepräge seiner unmittel¬ baren Umgebung tragen. Wir sagten seines Tagebuchs, denn in verschiede¬ nen wichtigen, als Anhang beigefügten Depeschen finden sich die ersten Ein¬ drücke meistens berichtigt und das Urtheil ist weniger einseitig. Dies soll dem Verfasser nicht zum Tadel gereichen; denn es ist natürlich, daß das, was man täglich, und in unmittelbarster Nähe sieht und hört, größern Einfluß auf das Urtheil übt. als das. was aus der Ferne zu uns herüber- schallt. So kommt es denn, daß General Wilson aus dem Feldzuge von 1812 eine allzu hohe Meinung von der Superiorität der russischen Soldaten und Generäle mit nach Deutschland bringt; daß er dann mit dem russischen Hauptquartier die Unlust theilt, den Krieg über die Oder hinaus fortzu¬ setzen; daß er in dem ersten Ueberschreiten der Elbe das reine Verderben sieht und für die Nothwendigkeit, in Deutschland so viel Boden als möglich zu gewinnen, wenig oder keinen Sinn hat; daß er, später im östreichischen Haupt¬ quartier angestellt, die schüchterne Kriegführung Schwarzenbergs von den Ver¬ hältnissen für geboten erachtet und die entscheidenden Erfolge der schlesischen Grenzboten III. 1361. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/251>, abgerufen am 29.06.2024.