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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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des Franzosen für die Bildung der sichtbaren Seite des Lebens, für Gestalt,
Form und Farbe mit berechtigter Ueberlegenheit aus der Welt des falschen
in die Welt des reinen Scheins.




Abbildung der hochmögenden Republik von Engelland
Ein deutsches Schmähgedicht aus die englische Republik.

Es kann wol im Allgemeinen als unbestritten angenommen werden daß
die Politik der Poesie nicht hold sei und daß schon vielleicht deshalb ein "po¬
litisch Lied" auch oft ein "garstig Lied" sein wird. Ganz besonders gilt das
natürlich von den Producten solcher Zeiten, in denen die Dichtkunst über¬
haupt auf einer niedrigen Stufe steht. Aber auf der andern Seite haben die
politischen Gedichte vor den übrigen literarischen Leistungen einer solchen Epoche
einen außerordentlichen Vorzug. Was ihnen an poetischem Werthe abgeht,
^setzen sie häusig durch historischen Gehalt. Sie dienen vorzüglich dazu, die
Anschauungen und Stimmungen, zunächst zwar nur ihrer Verfasser, doch, da
diese meistens auch nur einer von vielen Andern ihres Volkes getheilten Ge¬
sinnung Ausdruck verleihen, auch dieser Andern kennen zu lernen.

Es gilt das eben Gesagte ganz besonders von der deutschen Dichtung
des siebenzehnten Jahrhunderts. Wer möchte wol heut noch gern durch diese
endlos dürren Steppen wandern, die nur dann und wann einmal auf kurzer
Strecke durch eine grüne Oase unterbrochen werden? Wir verargen es Nie-
wandem. der hier flüchtigen Schrittes weitereilt und sich lieber den blühenden
Gefilden zuwendet, auf denen ein volles Jahrhundert später die classischen
Werke unsrer größten Dichter hervorgesproßt sind. Aber der Geschichtsfreund,
^in nicht allein an ästhetischer Befriedigung gelegen sein kann, verweilt mit¬
unter auch in solch unerquicklichen Gegenden mit lebhaftem Interesse. Wie
leren Abdallah in dem morgenländischen Mährchen, nachdem er sein Auge
"Ut der wunderbaren Salbe bestrichen. die köstlichsten, zuvor verborgenen
schätze sichtbar wurden, so eröffnet sich dem. der mit historischem Sinne die
politischen Dichtungen des siebenzehnten Jahrhunderts liest, da. wo er vorher nur
Gebens poetischen Genuß gesucht, ein reicher Einblick in die Gedanken und
Pfühle, mit welchen längst hingeschwundene Geschlechter dereinst an den
großen Ereignissen ihrer Epoche Theil genommen haben.


des Franzosen für die Bildung der sichtbaren Seite des Lebens, für Gestalt,
Form und Farbe mit berechtigter Ueberlegenheit aus der Welt des falschen
in die Welt des reinen Scheins.




Abbildung der hochmögenden Republik von Engelland
Ein deutsches Schmähgedicht aus die englische Republik.

Es kann wol im Allgemeinen als unbestritten angenommen werden daß
die Politik der Poesie nicht hold sei und daß schon vielleicht deshalb ein „po¬
litisch Lied" auch oft ein „garstig Lied" sein wird. Ganz besonders gilt das
natürlich von den Producten solcher Zeiten, in denen die Dichtkunst über¬
haupt auf einer niedrigen Stufe steht. Aber auf der andern Seite haben die
politischen Gedichte vor den übrigen literarischen Leistungen einer solchen Epoche
einen außerordentlichen Vorzug. Was ihnen an poetischem Werthe abgeht,
^setzen sie häusig durch historischen Gehalt. Sie dienen vorzüglich dazu, die
Anschauungen und Stimmungen, zunächst zwar nur ihrer Verfasser, doch, da
diese meistens auch nur einer von vielen Andern ihres Volkes getheilten Ge¬
sinnung Ausdruck verleihen, auch dieser Andern kennen zu lernen.

Es gilt das eben Gesagte ganz besonders von der deutschen Dichtung
des siebenzehnten Jahrhunderts. Wer möchte wol heut noch gern durch diese
endlos dürren Steppen wandern, die nur dann und wann einmal auf kurzer
Strecke durch eine grüne Oase unterbrochen werden? Wir verargen es Nie-
wandem. der hier flüchtigen Schrittes weitereilt und sich lieber den blühenden
Gefilden zuwendet, auf denen ein volles Jahrhundert später die classischen
Werke unsrer größten Dichter hervorgesproßt sind. Aber der Geschichtsfreund,
^in nicht allein an ästhetischer Befriedigung gelegen sein kann, verweilt mit¬
unter auch in solch unerquicklichen Gegenden mit lebhaftem Interesse. Wie
leren Abdallah in dem morgenländischen Mährchen, nachdem er sein Auge
"Ut der wunderbaren Salbe bestrichen. die köstlichsten, zuvor verborgenen
schätze sichtbar wurden, so eröffnet sich dem. der mit historischem Sinne die
politischen Dichtungen des siebenzehnten Jahrhunderts liest, da. wo er vorher nur
Gebens poetischen Genuß gesucht, ein reicher Einblick in die Gedanken und
Pfühle, mit welchen längst hingeschwundene Geschlechter dereinst an den
großen Ereignissen ihrer Epoche Theil genommen haben.


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[0239] des Franzosen für die Bildung der sichtbaren Seite des Lebens, für Gestalt, Form und Farbe mit berechtigter Ueberlegenheit aus der Welt des falschen in die Welt des reinen Scheins. Abbildung der hochmögenden Republik von Engelland Ein deutsches Schmähgedicht aus die englische Republik. Es kann wol im Allgemeinen als unbestritten angenommen werden daß die Politik der Poesie nicht hold sei und daß schon vielleicht deshalb ein „po¬ litisch Lied" auch oft ein „garstig Lied" sein wird. Ganz besonders gilt das natürlich von den Producten solcher Zeiten, in denen die Dichtkunst über¬ haupt auf einer niedrigen Stufe steht. Aber auf der andern Seite haben die politischen Gedichte vor den übrigen literarischen Leistungen einer solchen Epoche einen außerordentlichen Vorzug. Was ihnen an poetischem Werthe abgeht, ^setzen sie häusig durch historischen Gehalt. Sie dienen vorzüglich dazu, die Anschauungen und Stimmungen, zunächst zwar nur ihrer Verfasser, doch, da diese meistens auch nur einer von vielen Andern ihres Volkes getheilten Ge¬ sinnung Ausdruck verleihen, auch dieser Andern kennen zu lernen. Es gilt das eben Gesagte ganz besonders von der deutschen Dichtung des siebenzehnten Jahrhunderts. Wer möchte wol heut noch gern durch diese endlos dürren Steppen wandern, die nur dann und wann einmal auf kurzer Strecke durch eine grüne Oase unterbrochen werden? Wir verargen es Nie- wandem. der hier flüchtigen Schrittes weitereilt und sich lieber den blühenden Gefilden zuwendet, auf denen ein volles Jahrhundert später die classischen Werke unsrer größten Dichter hervorgesproßt sind. Aber der Geschichtsfreund, ^in nicht allein an ästhetischer Befriedigung gelegen sein kann, verweilt mit¬ unter auch in solch unerquicklichen Gegenden mit lebhaftem Interesse. Wie leren Abdallah in dem morgenländischen Mährchen, nachdem er sein Auge "Ut der wunderbaren Salbe bestrichen. die köstlichsten, zuvor verborgenen schätze sichtbar wurden, so eröffnet sich dem. der mit historischem Sinne die politischen Dichtungen des siebenzehnten Jahrhunderts liest, da. wo er vorher nur Gebens poetischen Genuß gesucht, ein reicher Einblick in die Gedanken und Pfühle, mit welchen längst hingeschwundene Geschlechter dereinst an den großen Ereignissen ihrer Epoche Theil genommen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/239>, abgerufen am 13.11.2024.